"Deutsche Wirtschaft ist leistungsfähig"

Moderation: Gabi Wuttke · 26.07.2012
Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Michael Meister hat vor dem Hintergrund der jüngsten Entscheidungen der US-Ratingagentur Moody's die Leistungsfähigkeit Deutschlands betont. Zugleich räumte er ein, dass die Warnungen vor einer Zuspitzung der Krise ernst zu nehmen seien.
Gabi Wuttke: Sie kommen nicht nur aus deutschen Landen, die 17 Wirtschaftswissenschaftler, die den EU-Spitzen den Marsch blasen. Europa schlafwandle in den letzten Wochen in ein Desaster von nicht kalkulierbaren Ausmaßen. Dabei gäbe es Lösungen.

Die Studie rumste mit Wucht auch ins sommerliche Deutschland, nach der Rettungsschirmschelte von deutschen Ökonomen, nach Moody's negativer Zukunftsbewertung für Deutschland, sechs Bundesländer und nun auch 17 Banken. Denn mit gehangen ist mit gefangen.

Am Telefon begrüße ich Michael Meister, den stellvertretenden Fraktionschef von CDU und CSU im Bundestag. Schönen guten Morgen!

Michael Meister: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Gehört diese Kritik für Sie in die Ablage Populismus oder nehmen Sie sie ernst?

Meister: Also, die Kritik von Moody's muss man schon ernst nehmen, man muss sich tatsächlich damit auseinandersetzen, wie leistungsfähig ist Deutschland. Da bin ich optimistisch, wenn ich unsere Finanzpolitik aktuell sehe, wenn ich die Wirtschaftspolitik sehe, die deutsche Wirtschaft ist leistungsfähig.

Und insofern muss man auch, glaube ich, differenzieren - das hat ja Moody's auch gemacht -, langfristig ist Deutschland stabil auf höchstem Niveau, kurzfristig sieht man einige Bedrohungen aus der Diskussion um den Euro, und das ist in der Bewertung zum Ausdruck gekommen. Ich glaube, insofern muss man das Urteil etwas differenzierter anschauen.

Wuttke: Die 17 Wirtschaftswissenschaftler mahnen schnell umfassende Maßnahmen an. Das, was sie gesagt haben, nämlich ein schlafwandlerischer Weg in ein Desaster, das sind harte Worte. Ist das für Sie Populismus?

Meister: Also, ich glaube, man muss mal einfach gedanklich zwei Jahre zurückgehen und sich mal überlegen, wo wir vor zwei Jahren standen, was mittlerweile erreicht worden ist. Ich nenne nur als Stichwort Fiskalpakt, dann die Diskussion Stärkung des Maastricht-Vertrages, um mal zwei Punkte zu nennen.

Jetzt die Absicht, noch in diesem Jahr konkrete Vorschläge zu machen für eine gemeinsame Bankenaufsicht, die ganzen Regulierungen, die im Finanzmarkt passiert sind, ich glaube, da ist Europa strukturell jenseits der ganzen Rettungsmaßnahmen in den vergangenen 24 Monaten massiv vorangekommen.

Wenn das damals jemand vorhergesagt hätte, dass wir das schaffen würden, dann wäre der, glaube ich, ins Abenteuerland versetzt worden. Also, insofern rate ich auch hier zu Realismus: Wir haben ungeheuer viel vorangebracht, allerdings ist die Erwartungshaltung der Anleger, der Investoren, der Märkte sehr hoch und wir haben natürlich mit Griechenland, mit der Frage, was passiert in Spanien jetzt konkret in der Umsetzung der Bankenstabilisierung, offene Fragen. Und das führt zu Verunsicherung und das führt dann auch zu Problemen.

Wuttke: Wenn Sie sagen, die Forderungen seien, oder vielmehr die Einschätzung sei durch diese 17 renommierten Wirtschaftswissenschaftler unrealistisch vorgenommen worden, dann ist deren Platzierung in der politischen Sommerpause für Sie öffentlichkeitswirksame Wichtigtuerei?

Meister: Nein. Ich sage ja nicht, dass das unrealistisch ist. Es ist richtig, dass wir mit dem, was wir in den letzten zwei Jahren gemacht haben, nicht am Ziel sind. Es wird weiterer Maßnahmen bedürfen, wir müssen die Schuldenbremse jetzt in die nationalen Verfassungen umsetzen. Sie muss dann eingehalten werden, das ist eine riesige Anstrengung für alle. Wir müssen schauen, dass wir den ESM tatsächlich operativ hinbekommen. Da haben wir ja bei uns in Deutschland Karlsruhe noch offen, in anderen Ländern stehen noch Parlamentsentscheidungen aus.

Also, da steht eine ganze Menge auf der Agenda. Auch die Bankenunion, wenn es im Herbst von Herrn Barroso Vorschläge gibt, ist die ja noch nicht ins Werk gesetzt, sondern dann beginnt ja erst die Diskussion um die gesetzgeberische Umsetzung. Da gibt es viele offene Fragen. Also, insofern würde ich sagen, wir haben eine ganze Menge getan, das sollte man auf der einen Seite sehen; aber es ist auch richtig, anzumahnen, in dem Status, in dem wir momentan sind, werden wir eine gemeinsame Währung nicht dauerhaft führen können.

Dazu ist mehr Gemeinschaft in der Finanz- und mehr Gemeinschaft in der Wirtschaftspolitik innerhalb der Währungszone notwendig.

Wuttke: Das Stichwort, das Sie nicht genannt haben, ist für die Ökonomen dieser Studien - dabei sind Mitglieder des Deutschen Sachverständigenrates -, für sie besonders wichtig, wäre ein temporärer Schuldentilgungsfonds. Bei dem wiederum wäre Deutschland natürlich besonders gefordert. Raten Sie den deutschen Steuerzahlern, sich darauf mal einzustellen?

Meister: Also, ich glaube, wir müssen uns einfach grundsätzlich überlegen, in welcher Richtung wir die Krise bekämpfen wollen. Wir haben uns bisher entschieden, zu sagen: Es gibt dort, wo es zwingend notwendig ist, Hilfe, Solidarität, aber immer mit der Auflage, dass im Einzelfall auch der Betreffende seine Probleme löst.

In der Sekunde, in der Sie zu einer solchen Maßnahme greifen, müssen Sie natürlich ein Stück weit unkonditionierte Hilfe gewähren, weil Sie ja dann für alle ab einem gewissen Grad Verschuldung, sozusagen diese gemeinschaftliche Garantie, die gemeinschaftliche Haftung anbieten.

Und ich glaube, an der Stelle wäre es einfach ein Wechsel in der Grundphilosophie, die bisher gegangen sind, ein Stück weit mehr Gemeinschaftshaftung und weniger Teilhaftungsprinzip, wie wir es bisher verfolgt haben.

Wuttke: Ja, genau ist das ja die Frage, ob die Kritik der 17 Ökonomen nicht eben genau diese Frage stellt, dass die Philosophie zur Bewältigung der Krise die falsche war. Wobei man natürlich auch noch sagen muss: Unser aller Chefin wäre es am liebsten, wir würden keine Schulden vergemeinschaften, aber es könnte eben, sagen diese Wirtschaftswissenschaftler, Licht am Ende des Tunnels bedeuten!

Meister: Also, ich glaube, bei dieser Diskussion ist es extrem wichtig, die Reihenfolge der Schritte zu beachten. Wir haben immer gesagt, Verantwortungsentscheidung und Haftungsentscheidung muss in einer Hand sein. Solange Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik national entschieden wird, muss auch die Verantwortung und Haftung dafür national sein.

Wenn es gelingt, zu einer europäischen Finanzpolitik zu kommen, Entscheidungen dann europaweit nach gemeinsamen Regeln getroffen werden, dann kann man auch im danach folgenden Schritt, wenn das implementiert ist, über gemeinsame Haftung nachdenken.

Es kann aber nicht sein, dass man zunächst die Haftung vergemeinschaftet, die Handlungskompetenz aber national behält und dann, sagen wir mal, der deutsche Steuerzahler für irgendwelche Entscheidungen, auf die er keinen Einfluss hat und auch keinen Einfluss nehmen kann, die Haftung trägt.

Wuttke: Aber es wäre doch ein Vertrauensbeweis, und wiederum - das wissen wir inzwischen alle - ohne einen wirklich langfristigen Vertrauensbeweis wird sich die Lage nicht beruhigen. Wir sprechen nur noch von hypersensiblen Märkten und von der großen psychologischen Wirkung, die Schritt-für-Schritt-Politik hat.

Meister: Das Problem ist, dass wir einen solchen Vorschuss ja schon mal gewährt haben zu Beginn der Währungsunion, am 1. Januar 99. Das haben ja mit Ausnahme Deutschlands alle Länder bekommen, indem sie dann plötzlich über Nacht, ohne Strukturen zu verändern, extrem niedrige Zinsen hatten und damit einen massiven Finanzierungsvorteil.

Und leider ist sozusagen dieser damals gewährte Vorschuss nicht genutzt worden, die Strukturen in der richtigen Weise anzupassen, sonst wären wir heute nicht in der bedrohlichen Lage. Insofern ist es mit Vertrauensvorschuss, wenn man da einmal in die Irre gelaufen ist, etwas schwierig.

Wuttke: Von den Vorschlägen der 17 internationalen Wirtschaftswissenschaftler hält Michael Meister, der stellvertretenden Fraktionschef von CDU und CSU im Bundestag nicht viel. Ich danke Ihnen, Herr Meister, für das Interview im Deutschlandradio Kultur!

Meister: Einen schönen Morgen, Frau Wuttke, Wiederhören!

Wuttke: Danke!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Logo der Ratingagentur Moody's in New York© dpa / picture alliance / Andrew Gombert
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