Deutsche Umwelthilfe warnt vor längeren Laufzeiten

Rainer Baake im Gespräch mit Marietta Schwarz · 10.08.2010
Der Bundesgeschäftsführers der Deutschen Umwelthilfe, Rainer Baake, warnt vor einer Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken. Deutschland werde dadurch "gewaltige" Probleme mit dem Stromsystem bekommen.
Moderatorin: Wenn es nach Umweltminister Norbert Röttgen geht, soll Deutschland bis 2050 vollständig durch erneuerbare Energien versorgt werden, der Ausstieg aus der Atomenergie ist dafür Grundvoraussetzung, erhöht er doch den Druck, auf fortschrittliche Energiegewinnung umzustellen. Bekanntlich steht Röttgen in der Bundesregierung damit aber mehr oder weniger allein auf weiter Flur – die plant die Verlängerung der Laufzeiten bei den AKWs. Aus Regierungskreisen wurde jetzt bekannt, auf was für ein Szenario wir uns möglicherweise einstellen können. Alte Reaktoren sollen schon bald abgeschaltet werden, während die neueren aber noch eine ganze Weile laufen sollen. Wie lange, das ist offen und das bleibt vielleicht sogar offen. Über dieses Konzept wollen wir sprechen mit Rainer Baake, er ist Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe und organisierte unter Rot-Grün den Ausstieg aus der Atomenergie. Guten Morgen, Herr Baake!

Rainer Baake: Einen schönen guten Morgen!

Moderatorin: Diese Unterscheidung in alte und neue Kraftwerke klingt erst mal sehr plausibel, was spricht dagegen?

Baake: Also da spricht überhaupt nichts dagegen, alte Kraftwerke abzuschalten, ganz im Gegenteil, das ist das Gebot der Stunde. Die ältesten Anlagen sind die unsichersten, und es ist seit dem Ausstiegsbeschluss aus dem Jahr 2000 noch etwas hinzugekommen, nämlich der Terroranschlag in New York und in Washington. Seitdem ist es eben kein vernachlässigbares Restrisiko mehr, dass mit einem Passagierflugzeug die Zivilgesellschaft getroffen werden soll. Und diese alten Anlagen sind in keiner Weise gesichert gegen solche Angriffe, und deshalb ist es dringend erforderlich, sie sofort vom Netz zu nehmen.

Moderatorin: Also sind Sie einverstanden mit dem Vorstoß?

Baake: Nein, natürlich nicht, weil der Vorschlag beinhaltet etwas ganz anderes, nämlich eine Verlängerung der Laufzeiten für die jüngeren Reaktoren. Das ist natürlich nicht sinnvoll. Einerseits sind die Probleme natürlich bei diesen Reaktoren grundsätzlich dieselben, auch die neuen Reaktoren sind nicht 100 Prozent sicher, das heißt, auch in denen kann ein schwerer Unfall passieren, auch für diese Anlagen gibt es keine Entsorgungsmöglichkeit für den Atommüll. Also die Probleme sind dort zwar etwas geringer, was die Sicherheitsfrage betrifft, aber grundsätzlich nicht anders.

Nein, aber ein anderes Problem wird uns an dieser Stelle dann natürlich beschäftigen, und das ist die nicht mehr vorhandene Möglichkeit, erneuerbare Energien und Atom in einem Stromsystem zu fahren. Rot-Grün hatte ja im Jahr 2000 nicht nur den Atomausstieg beschlossen, sondern auch den Einstieg und die Förderung der erneuerbaren Energien – diese Entwicklung ist so rasant vorangekommen und wird in den nächsten zehn Jahren noch ganz rasant weitergehen, dass diese Bundesregierung letzte Woche Mittwoch im Kabinett gegenüber der EU einen Bericht beschlossen hat, wo sie sagt, wir werden 2020 schon 40 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien in den Netzen haben. Und das heißt, 40 Prozent im Jahresdurchschnitt, dass wir viele Zeiten haben werden, wo die erneuerbaren Energien 100 Prozent der Stromversorgung in Deutschland abdecken, in anderen Zeiten dann weniger.

Und es ist ganz wichtig, dass der restliche Kraftwerkspark sich an diese fluktuierende Einspeisung aus den erneuerbaren Energien anpassen kann. Und Kernkraftwerke können das nicht. Sie können nicht das Kernkraftwerk morgens, wenn dann Photovoltaikstrom einsetzt, um neun Uhr abschalten und nachmittags um 16 Uhr wieder einschalten, dafür sind die Anlagen zu träge.

Moderatorin: Herr Baake, haben Sie denn seinerzeit bei den Verhandlungen über den Ausstieg 2002 schon gespürt, dass die Energiewirtschaft den Vertrag wieder aufkündigen will?

Baake: Nein, die Energiewirtschaft hat seinerzeit von sich aus eine Formel vorgeschlagen, die auch ganz vorne im Vertrag drin steht, dass sich nämlich beide Seiten darauf verpflichten, dauerhaft für die Umsetzung dieser Vereinbarung einzutreten. Das haben die Vorstandsvorsitzenden der vier Konzerne damals unterzeichnet, zusammen mit dem Bundeskanzler und zwei Bundesministern, und es gehört zu den besonderen Erfahrungen zu erleben, dass offensichtlich nicht mal die Unterschrift von Vorstandsvorsitzenden geschweige denn ihr Wort etwas gilt. Das sind keine ehrbaren Kaufleute.

Moderatorin: Nun hat ja die jetzige Bundesregierung auch noch ein paar Argumente für die Laufzeitverlängerung in der Hand, die Abgaben der AKW-Betreiber sollen die Umstellung auf erneuerbare Energien mit finanzieren, außerdem soll ja auch eine Brennelementesteuer eingeführt werden. Was spricht dagegen, diese Milliarden einzusammeln?

Baake: Ich habe nichts dagegen, wenn der Bundesfinanzminister sagt, ich brauche zusätzliche Mittel, und bisher ist die Kernenergie privilegiert, weil sie zum Beispiel im Rahmen des europäischen Emissionshandels nicht herangezogen wird. Außerdem muss sie mit bezahlen für die atomaren Folgelasten, zum Beispiel bei der Asse. Das ist schon vernünftig, eine Brennelementesteuer einzuführen, aber diese Frage ist eine, die völlig unabhängig ist von der Frage, wie lange die Kernkraftwerke nun laufen sollen. Weil ich sagte ja gerade, die Probleme, die wir mit unserem Stromsystem bekommen werden, die werden gewaltig sein, weil das, was die Regierung jetzt will, nämlich auf der einen Seite Laufzeiten von Kernkraftwerken verlängern und Ausbau der Erneuerbaren, geht nicht zusammen.

Moderatorin: Nun gibt es ja in der Regierung auch ein paar Menschen, die dagegen agieren. Zu nennen vielleicht da auf jeden Fall Norbert Röttgen, aber auch die Ministerpräsidenten McAllister und der FDP-Politiker Kubicki. Wie einflussreich sind denn diese schwarz-gelben AKW-Gegner?

Baake: Das weiß ich nicht, das werden wir dann im Herbst sehen, wenn die Regierung eine Entscheidung treffen muss, aber es ist ja etwas anderes passiert: Die Koalition hat auch durch ihre Energiepolitik das wichtigste Bundesland, nämlich Nordrhein-Westfalen, verloren, und eine Laufzeitverlängerung wird ohne eine Zustimmung des Bundesrates nicht möglich sein. Und die sehe ich im Moment nicht.

Moderatorin: Rainer Baake, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Baake: Bitte sehr, auf Wiederhören!