Deutsch-israelische Beziehung

Der Hass soll nicht bleiben

Deutsch-israelische Freundschaft - hier bei einem Fußball-Länderspiel im Mai 2012 in Leipzig
Junge Israelis reisen nach Deutschland, um zu feiern, hier bei einem Fußballspiel. © dpa / picture alliance / Jens Wolf
Von Torsten Teichmann  · 12.05.2015
Seit 50 Jahren gibt es diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. Die Kontakte sind inzwischen eng. Es scheint, als habe die junge Generation die Befangenheit im Umgang miteinander abgelegt. Doch der Weg war nicht leicht.
Malkitta Dubnikov ist Anfang der 70er Jahre das erste Mal von Israel nach Deutschland gereist. Auf dem Esstisch ihres Hauses in Holot, südlich von Tel Aviv hat sie Fotos, Artikel und persönliche Erinnerungstücke ausgebreitet. Sie erzählt: Damals habe sie in Eilat gearbeitet; im Tourismus; in der südlichsten israelischen Stadt, am Roten Meer. Der erste Flug nach Deutschland war eine Dienstreise auf Einladung von Hapag Lloyd. Und das Hotel lag mitten in der Stadt:
"Mit dieser Stadt wird mir noch etwas passieren. Früh bin ich aufgestanden, habe gefrühstückt alles war toll. Und dann bin ich raus, hatte keine Ahnung wo geh ich jetzt hin. Also bin ich nach rechts gegangen, das war genau Richtung Marienplatz. Und ich gehe und kucke. Und manchmal hast Du solche Gedanken, die so bei Dir vorbei gehen. Ein paar Sekunden nur. Und ich dachte, mit dieser Stadt wird dir noch etwas passieren."
Die Bedeutung, die der erste Besuch in der Bundesrepublik für Malkitta Dubnikov hatte, wird erst deutlich, wenn sie über die Zeit davor spricht; über das, was ihr die Mutter später erklärt und mitgegeben hat. Aus einer Plastiktüte holt die 72-Jährige gelbe Stofffetzen. Es sind Sterne auf denen "Jude" steht. Aus einer anderen Tüte zieht sie Puppen aus Stoff und Stroh:
"Das sind die Puppen, die mir meine Mutter in Bergen-Belsen gemacht hat. Um mit mir zu spielen in der Baracke. Das sind die Decken. Weiß Du, alles, was dort war. Und Stroh von den Matratzen. Hat sie alles verwendet, damit sie mit mir spielen konnte. Ich war klein, ein Baby noch."
Die Spielpuppen haben gemalte und gestickte Gesichter. Das Stroh sticht an einigen Puppenarmen durch. Als das Konzentrationslager Bergen-Belsen im Frühjahr 1945 befreit wird und Malkitta im August mit den Eltern in Palästina ankommt, damals britisches Mandatsgebiet, da hatte die Mutter das Spielzeug aus dem Konzentrationslager neben dem wenigen, was ihnen blieb, mitgenommen. Sie waren der Katastrophe entkommen, dem millionenfachen Mord an europäischen Juden durch Deutsche.
"Das war unser Haus, wir hatten einen Garten."
Familie zählte zu den Jeckes
Malkita Dubnikov zeigt ein Foto vom Haus in der Wolfsohnstraße in Holon, einer Vorstadt von Tel Aviv. Ihre Familie, die Eltern hießen Levi, zählte seit der Ankunft zur Gruppe der Jeckes. Jeckes heißen die Einwanderer aus Deutschland, die zuerst in den 30er Jahren nach Palästina kamen und dann in einer zweiten Welle nach der Verfolgung und dem Ende des Hitler-Regimes in Europa, also nach 1945.
In der Wolfsohnstraße in Holon teilten alle das gleiche Schicksal. Deutschland waren sie entkommen, der Weg zurück blieb für die allermeisten abgeschnitten. Aber natürlich sprachen sie Deutsch, lasen den Kindern Peterchens Mondfahrt vor, redeten über Schiller und Goethe. Die Emigranten waren geprägt von einer Gesellschaft, die für sie lebensgefährlich geworden war.
"Aber was ich Dir sagen wollte, weil wir waren noch in der Wolfsohnstraße, wo wir noch nichts zu fressen hatten, entschuldige für das Wort. Aber irgendwie, war das so geprägt bei meinen Eltern diese Kultur und alles was sie auf ihrem Buckel hatten – das konnte die Nazis ihnen nicht wegnehmen. Verstehst Du mit der ganzen Boshaftigkeit und so, diese Sachen bleiben."
Der Gedanke ist Malkitta Dubnikov wichtig. Sie steht am Esstisch, schaut über die Schwarz-weiß-Bilder. Worüber sie spricht, das sind nicht nur die Wurzeln der Eltern, sondern auch die eigenen. Ihre Mutter war traumatisiert und voller Ablehnung nach ihrer Verfolgung in Europa. Und trotzdem habe sie ständig von zuhause gesprochen und Deutschland gemeint, so Malkitta Dubnikov:
"Da war in der Ben Yehuda Straße ein Geschäft, wie hieß er? Landsberger! Das war ein Bücherladen und der hatte auch Platten und so. Und dort hat sie sich gemietet einen Plattenspieler und Platten und hat einmal in der Woche Zuhause Platten angemacht. Das sind alle Nachbarn gekommen. Da war ein Zimmer und eine Wohnküche, ich habe in der Wohnküche geschlafen. ... Ich sehe das vor meinen Augen, als wäre es gestern."
Diesen Zwiespalt zwischen Ablehnung und kultureller Prägung trug eine ganze Generation deutscher Emigranten in sich.
Ohne eine Ablehnung Deutschlands, ohne den Verweis darauf, nie wieder etwas mit Deutschland zu tun haben zu wollen, sei man nicht als Israeli zu verstehen gewesen, schreibt der Historiker Dan Diner. Der frühere Botschafter in Deutschland, Avi Primor erklärt, dass Ende der 40er Jahre niemand in Deutschland oder Israel an eine Aussöhnung geglaubt habe.
"Viele Dinge haben sich entwickelt. Zunächst einmal die deutsch–israelischen Beziehungen, die sich in einer Art und Weise entwickelt haben, die niemand in Wirklichkeit haben wollte. Die haben sich widerwillig entwickelt. Das hat mit dem Widergutmachungsabkommen zu tun gehabt, das man im September 1952 in Luxemburg unterschrieben hat."
Deutschland begann in der Folge Waren im Wert von drei Milliarden D-Mark an Israel zu liefern: Lokomotiven, Ersatzteile, Autos und Maschinen, so beschreibt es Ex-Botschafter Primor:
"Und da mussten Israelis nach Deutschland, um sich mit den deutschen Maschinen vertraut zu machen und mussten auch in Israel deutsche Experten empfangen. Und da dachten die Israelis, sie würden das beruflich, technisch machen aber nicht gesellschaftlich, sie würden sich mit Deutschen nicht anfreunden. Das hat natürlich nie funktionieren können. Wenn Leute zusammen arbeiten und zusammen leben, dann lernen sie sich kennen und dann sehen sie vor Augen Menschen und nicht irgendwelche Gespenster oder Vertreter einer besonderen Geschichte."
Das Verhältnis wandelte sich zum ersten Mal mit der Umsetzung des Abkommens. Deutschland unterstütze Israel recht bald im Geheimen auch militärisch. Der nächste Schritt: 1961 verfolgte die deutsche Öffentlichkeit den Prozess gegen den Drahtzieher der Deportation und millionenfachen Ermordung von Juden, Adolf Eichmann in Jerusalem. Das große Interesse in Deutschland hat Israelis wie Botschafter Avi Primor beeindruckt. Und schließlich nehmen beide Staaten 1965 diplomatische Beziehungen auf – vor 50 Jahren.
Doch der Wandel ist zunächst politisch: Im Elternhaus von Malkitta Dubnikov in Holon hatte sich durch die offizielle Annäherung nur wenig getan. Die Wiedergutmachung der Bundesrepublik hatten die Eltern schließlich angenommen. Aber die Mutter wollte immer noch nichts von Deutschland hören. Auch nicht, als die Tochter ankündigt, zu Hapag Lloyd nach München zu fliegen.
"Das war ein Schock für sie. Was, Du fährst? Ja, ich fahre, denn Ihr habt mich neugierig gemacht. Ich muss sehen, von wo man mich rausgeschmissen hat. Warum? Ich muss diesen Menschen mal ins Gesicht kucken. Das konnte sie mir gar nicht verzeihen. Die haben nicht mit mir gesprochen, die haben mich nicht gefragt, wie es war. Die wollten nichts wissen."
Von ihrer Vorahnung während der Dienstreise, dass die Stadt München für Ihr Leben noch von Bedeutung sein wird, konnte oder wollte Malkitta Dubnikov ihren Elternnichts erzählen. Doch sie sollte mit ihrem Gefühl Recht behalten.
Wichtiger Literaturmarkt für israelische Autoren
Der israelische Schriftsteller Nir Bar’am empfängt in schwarzer Trainingsjacke. Bar’am hatte 2012 mit seinem Roman Gute Leute Erfolg in Deutschland. Neben Spanien und Frankreich ist die Bundesrepublik ein wichtiger Literatur-Markt für israelische Autoren. In seiner Wohnung im Zentrum von Tel Aviv ist derzeit alles anders. Nebenan schreit ein Kind. Bar’am ist vor kurzem zum ersten Mal Vater geworden. Und während er einen weißen Plüschhasen vor uns zurück wiegt, lässt er seiner Begeisterung freien Lauf.
"Die Beziehung zwischen Deutschland und Israel ist immer noch zerbrechlich. Aber es ist großartig zu sehen, wie sich das Verhältnis gewandelt hat, im Vergleich zu der Zeit vor 25 Jahren. Wirklich. Ich denke nicht, dass sich die Beziehungen von Israel zu irgendeinem anderen Land auf der Welt so dramatisch verändert haben, wie die Beziehungen zu Deutschland."
Der Wandel begann lauf Bar’am ausgerechnet mit dem Fall der Berliner Mauer. Die Öffnung des Eisernen Vorhangs in Europa 1989 und die Vereinigung von West- und Ostdeutschland war in Israel zunächst von großen Bedenken begleitet worden war.
Aber der gewaltige Wandel in Europa und die Wiederentdeckung der Stadt Berlin entwickelten seit Mitte der 90ger Jahre einen Sog – auch in Israel:
"Deutschland ist zu einem sehr wichtigen Ziel für Israelis geworden. Und Berlin hat eine Diskussion zwischen den Generationen in Israel angeschoben. Die Generation unserer Gründungsväter versteht nicht, warum junge Israelis mit Freude nach Berlin gehen, mit dem Plan dort zu sein und die Stadt aufzusaugen. Das ist ein Unterschied zwischen den Generationen. Ich habe viele Menschen gesehen, 70 oder 80 Jahre alt, die das Gefühl hatten, dass die Faszination mit Berlin falsch ist. Das werde der Geschichte nicht gerecht."
Und so beschreibt Nir Bar’am den Drang nach Berlin, nach Deutschland als Rebellion. Junge Israelis würden sich auflehnen, sagt er. Ein Kassenbon vom Discounter in Berlin - veröffentlicht im Internet – wird für ein paar Tage zur Existenzfrage. Zumindest für einen Teil der Bevölkerung. Für sie geht es nicht nur um billigen Schokopudding. Der Milky-Aufschrei hatte viel mit der Frage zu tun, warum das Leben in Berlin leichter scheint. Oder umgekehrt: Warum ein Teil der jüngeren Generation in Israel nicht mehr bereit ist, die Last des Alltags in Nahost weiter schweigend zu ertragen.
Aber daraus entsteht auch Verantwortung. Zumindest stellt der Schriftsteller Bar’am eine Forderung an Kollegen und Freunde aus Deutschland:
"Was Ihr verbessern könnt, ist eine ehrliche Debatte zwischen beiden Staaten. Deutsche und auch deutsche Kultureinrichtung sind sehr vorsichtig, wenn es um Israel geht. Das ist verständlich, aber um voran zu kommen, brauchen wir eine ehrlichere, manchmal auch schmerzhafte Debatte."
Ist die Beziehung beider Staaten so stabil?
Themen Menschenrechte schwierig
Die Berlinerin Birthe Brotkorb lebt seit drei Jahren in Tel Aviv; auch der Liebe wegen – ihr Freund ist Israeli. Seit drei Monaten arbeitet die Anwältin bei einer Menschenrechtsorganisation in Israel:
"Generell ist das Thema Menschenrechte hier schwierig. Weil allein der Begriff Menschenrechte im Zusammenhang mit dem Konflikt Israel Palästina immer als Kritik an Israel verstanden wird. Und damit im Zusammenhang steht mit der Angst, dass man diesen Staat verliert. Wobei für mich ist das andersrum. Für mich ist es wichtig, dass je stärker Menschenrechte sind, je stärker die Demokratie hier ist, umso stärker ist das Land."
An einigen Tagen beschäftigt sich Birthe Brodkorb bei der Hilfsorganisation Yes Din die gesamte Zeit mit den Problemen der palästinensischen Seite. Dann sei es schwierig mit israelischen Freunden darüber zu sprechen, die das alles nicht sehen, sagt sie.
Es ist ein eigenartige Situation entstanden. Jahrelang hatten die Deutschen bei Treffen mit Israelis das Gefühl, dass die Geschichte, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten, der Holocaust, unausgesprochen zwischen ihnen stehen. In der dritten und vierten Generation nach Kriegsende wirkt der Umgang mit der dunklen Vergangenheit meist ganz natürlich. Dafür ist ein neues Thema bei jedem Treffen mit im Raum: Die israelische Politik gegenüber den Palästinensern und Europas zunehmende Gereiztheit.
Die 36-jährige Anwältin aus Deutschland ist jedenfalls in Tel Aviv angekommen nach dem sie viele Einblicke in Israel bekommen hatte. Vor acht Jahren zuerst als Touristin, dann als Referendarin bei einer Kanzlei am Rabinplatz. Bezahlt vom Land Berlin verklagte sie Deutschland in Fällen, in denen die Bundesrepublik keine Renten für ehemalige Zwangsarbeiter zahlen wollte:
"Und das war unglaublich spannend, weil Holocaustüberlebende in die Kanzlei gekommen sind. Und ich konnte damals kein Hebräisch, die Mandanten konnten fast alle Deutsch, aber wollten es nicht sprechen. Aber die konnten Yiddisch. Die haben Yiddisch gesprochen und ich habe Deutsch geantwortet, so haben wir uns verständigt."
Birthe Brodkorb glaubt, einfach kann die Beziehung von Deutschen und Israelis deshalb nicht sein.
"Das Verhältnis privat, persönlich ist immer noch recht schwierig. Gerade wenn ich mit der älteren Generation spreche, dann bin ich immer vorsichtig, wenn ich sage, wo ich herkomme. Ich bin mir immer bewusst, wo ich herkomme, wenn ich sage, ich bin Deutsche, dann überlege ich auch, was kann das für die Person bedeuten, wenn ich mit der spreche. Aber ich habe persönlich eigentlich nie negative Erfahrungen damit gemacht."
Gleichzeitig haben sich die Erwartungen verändert: Die Bundesrepublik leistete zu Beginn der 50ger Jahre vor allem wirtschaftliche und militärische Hilfe. Das allein reicht heute nicht mehr aus. Es sind vor allem Intellektuelle und liberale Israelis die große Hoffnungen mit der Beziehung zu Deutschland verbinden. Der Schriftsteller Nir Bar’am glaubt, Deutschland müsse neben der Unterstützung in Zukunft seine politische Zurückhaltung gegenüber der israelischen Regierung aufgeben:
"Ich denke, die wichtigste Lektion aus der Geschichte ist es, sich gegen Rassismus zu stellen. Auch wenn man daran denkt, wie die israelische Gesellschaft nicht jüdische Menschen, Palästinenser und auch andere behandelt. Es gibt keine Gleichberechtigung. Immer ist die jüdische Bevölkerung den anderen Gruppen voraus. Ich denke, es ist wichtig, auch von Deutschland zu hören, dass die israelische Gesellschaft versuchen sollte, multiethnisch und gleich für alle zu sein – das ist eine Vision, aber das ist etwas, das wir auch von unseren Freunden in Deutschland hören sollten."
Für Malkitta Dubnikov aus Holon ist Deutschland längst zu einem Zuhause geworden. Die 72-Jährige hat ein Leben lang ihre deutschen Wurzeln gepflegt. Als Nachfahre deutscher Emigranten, in Israel Jeckes genannt, wollte sie wissen woher die Familie kommt. Ihr Sohn, der heute mit Familie in München lebt, treibe das kaum an. Der habe Israel nach Deutschland mitgenommen.
"Ich weiß nicht, ob das Sehnsucht ist, viele die nach Berlin gehen. haben nichts mit den Jeckes zu tun. Wir sind hier eingeschränkt, die Leute wollen raus, einfach raus. Unsere jungen Leute, auch wenn sie draußen sind, nehmen sie Israel mit, so wie meine Mutter Deutschland mitgenommen hat, genau dasselbe."
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