Über Eliten und Experten

"Experten sind Teil der Unterhaltungsindustrie geworden"

53:05 Minuten
Junge Frau mit erhobenem Zeigefinger
Eine Expertin? - Vermutlich. © imago / Begsteiger
Jan Kalbitzer und Kathrin Passig im Gespräch · 31.03.2018
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Die Autorin Kathrin Passig und der Psychiater Jan Kalbitzer sprechen über neue Eliten und Experten in der digitalisierten Gesellschaft. Belanglose Experten würden zur Verdummung der gesamten Gesellschaft beitragen. Jeder sei Experte für irgendwas, glaubt Passig.
"Eliten, die an den normalen Strukturen vorbei stattfinden haben schon immer existiert, aber ein Teil der Macht muss zumindest strukturiert verteilt sein, damit man das Gefühl hat, nicht irgendwas ausgeliefert zu sein, das man nicht versteht," meint Jan Kalbitzer. "Eliten sollen herrschen, aber man sollte klarer definieren, was eine Elite ausmacht. Eliten herrschen die ganze Zeit. Es gibt sie immer und es ist sinnvoll, dass man so eine Organisationsstruktur hat. Man muss sie nur transparent machen." Der Status als Experte, als jemand, der der Elite zugehörig ist, soll nach Ansicht Kalbitzers in einem strukturierten Prozess erarbeitet werden können.
Die "Expertenschar, die durch Meinungsführerschaft entsteht, wenn man eine bestimmte Anzahl von Followern hat, wird man auch Experte, ohne ganz konkret was wissen zu müssen." Kathrin Passig sieht gerade dies als große Chance: "Gerade der Expertenstatus bei Twitter hat geringere Zugangshürden. Man kann sich selbst rekrutieren als Experte und ich glaube, dass das hilfreicher ist."

Wer gehört zur Elite?

Ob sich auch auf Twitter oder Facebook elitäre Machtstrukturen ausgebildet haben ist für Passig gar nicht der springende Punkt: "Ich seh das so wie du, aber ich glaube, dass der Zugang zu dieser Macht unterschiedlich geregelt werden kann dadurch, dass man die Hürden so niedrig wie möglich legt, damit sich die Leute selbst rekrutieren in diesen Expertenstatus."
Aber ist es wirklich so, dass man heutzutage in Deutschland einfacher in die Elite aufsteigen kann und wer gehört eigentlich zur Elite? Jan Kalbitzer hat da so seine Bedenken: "Ist nicht gerade das Problem in Deutschland, dass die Eliten nicht durchlässiger, sondern unsichtbarer geworden sind? Ich habe oft das Gefühl, dass die Wut auf Eliten der gescheiterte Versuch ist, selbst Teil von Eliten zu werden. Wenn man unbedingt Teil davon werden will und es sehr frustrierend wird, nicht in diesem wichtigen Zirkel weiter mitspielen zu können."
Ein Grund mehr für Katrin Passig die Bedeutung geringerer Zugangshürden zu betonen: "Ein Problem ist, dass man den Leuten zu wenig Gelegenheit gibt, mitzumachen." Denn eines ist für sie klar: "Jeder ist Experte für irgendwas." So können zum Beispiel gerade Computerspiele vieles von dem leisten, was im realen Leben fehlt: Man mache die Erfahrung, auf ganz klar geregelten Wegen aufsteigen zu können und in seiner Community zu einem angesehenen Experten werden kann. Ist das im Alltag realistisch? In Bezug auf den US amerikanischen Psychologen Philip Tetlock resümiert Passig: "Je bekannter ein Experte ist, um so weniger zutreffend sind seine Prognosen"

Wie identifiziert man Experten?

Kalbitzer: "Wenn man als Experte in dem Hype-Kreislauf medialer Aufmerksamkeit gelangt, reduziert man ihn auf gewisse Themen und erwartet von ihm, dass er bei den gleichen Einstellungen bleiben muss. Es ist in der akademischen Forschung total wichtig, dass es kohärent ist, was man publiziert"
Doch wie identifiziert man überhaupt Experten und wie gelangen diese auf Positionen mit gesellschaftlicher Macht? Und bräuchten sie dann nicht eine ganz anders gelagerte Expertise?
In Anlehnung an Karl Poppers Buch "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" plädiert Passig für ein anderes Vorgehen: "Die Geschichte zeigt, dass man größtenteils die falschen Leute auf Machtpositionen befördert hat und es geht nicht darum, andere Strategien zu finden, bessere Leute dort hinzusetzen, sondern geregelte Wege zu finden, wie man Idioten wieder los wird." Das sei das Wesen der Demokratie.
Doch woher kommt die Fetischisierung des Expertenstatus?
Kalbitzer: "Experten sind Teil der Unterhaltungsindustrie geworden." Das ziehe einen Effekt nach sich, der im Buch "The Braindead Megaphone" von George Saunders erklärt wurde: Belanglose Experten tragen zur Verdummung der gesamten Gesellschaft bei. "Der Experte darf nicht sagen: Ich zweifele." Sie könnten aber helfen, gesellschaftliche Prozesse zu erklären und zu beschleunigen.
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