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Die totale Transparenz

12:30 Minuten
02.04.2011
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"Das ist mir wirklich zu privat." Mit diesem Satz lässt sich offline der Riegel vors Türchen der eigenen Privatsphäre schieben.
"Das ist mir wirklich zu privat." Mit diesem Satz lässt sich offline der Riegel vors Türchen der eigenen Privatsphäre schieben. Online konnte man bisher mit Nickname oder anonym einiges mehr preisgeben, ohne dass es der eigenen Person zugeordnet wurde. Doch wie steht es um die Privatsphäre im Netz?
In Zeiten der Post-Privacy erkennen uns neue Technologien, selbst wenn wir meinen, ganz diskret unterwegs zu sein. Wie verändert sich dadurch unser Begriff der Privatsphäre? Und was sind die gesellschaftlichen Folgen? Macht Post-Privacy freier oder konformer?
Die einen sagen: Post-Privacy ist totale Freiheit, denn mit der Abschaffung von Privatheit ist nichts mehr geheim. Weil über jeden alles bekannt ist, kann sich jeder genau so geben, wie er ist und muss nichts mehr verstecken.
Die Anti-These lautet: Post-Privacy ist das Ende der Freiheit, weil sich Menschen in einer transparenten Gesellschaft wie unter Beobachtung verhalten. Sie benehmen sich so, wie sie annehmen, dass sie sich verhalten müssten. Die Menschen kontrollieren sich selbst, Konformismus ist die Folge.
Dass sich Anonymität weiter großer Beliebtheit erfreut, steht außer Frage. Für wütende Momente und Schadenfreude bietet Anonymität ein willkommenes Ventil. Das Portal isharegossip führt es vor. Schüler lassen dort ihrer Lästerlust freien Lauf.
Anonymität schützt aber nicht nur Mobber, sondern auch politische Aktivisten in unterdrückerischen Systemen und alle die, die ihre Meinung sonst nicht frei sagen können - oder das zumindest glauben. Wer sich auf Portalen wie Twitter unter Nick- statt Klarnamen anmeldet, kann seine Meinung in die Welt schicken, ohne leicht erkannt zu werden. Für manche ist Anonymität im Netz die Voraussetzung für freien, offenen Austausch.
Doch selbst wenn wir denken, geschützt zu sein, entdecken uns immer mehr Technologien. Gesichtserkennung, Stilometrie oder Stimmanalyse versuchen unsere Spuren im Netz zu verfolgen. Thomas Reintjes stellt uns einige dieser Post-Privacy-Visionen vor. Über das, was (Post-)Privatsphäre im Netz bedeutet und auf psychologischer Ebene mit uns macht, sprechen wir mit dem Medienpsychologen Leonard Reinecke.

Foto: Streetart von Blu, Berlin fotografiert von Alina Sofia auf Flickr: "Reclaim the city", CC-by-SA