Musikpodcast "Dissect"

Kanye West verstehen lernen

04:50 Minuten
Der Musiker Kanye West während des Sudoest Festivals in Zambujeira, Portugal, am 6. August 2011.
Wer Kanye Wests Musik und den Künstler als Mensch besser verstehen möchte, dem ist der Musikpodcast "Dissect" zu empfehlen. © LUSA / EPA / Tiago Canhoto
Von Heiko Behr · 16.12.2017
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Der Musikpodcast "Dissect" von Cole Cuchna steht für anspruchsvollen Musikjournalismus jenseits der reinen Produktempfehlung. Jede Staffel analysiert fast schon in epischer Breite ausschließlich ein Album, beispielsweise Kanye Wests "My Beautiful Dark Twisted Fantasy".
Kurze Fangfrage zu Beginn. Was für eine Bedeutung hat ambitionierter Musikjournalismus im Jahr 2017? Beziehungsweise: Wo findet er eigentlich überhaupt noch statt? Und was kann er überhaupt noch erreichen, jenseits von reiner Produktempfehlung?
Cole Cuchna ist Autor, Redakteur, Sprecher und Tontechniker in einer Person, er arbeitet aus seiner Garage in Sacramento heraus, in seiner Freizeit. Und "Dissect" ist seine Antwort auf diese Fragen. Er widmet sich einem – seiner Meinung nach – bahnbrechenden Album. Und seziert es dann. Im vergangenen Jahr war das Kendrick Lamars "To Pimp a Butterfly".
In der aktuellen Staffel setzt er sich mit Kanye Wests "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" von 2010 auseinander. Er nimmt sich also die Zeit für ein sieben Jahre altes Album – undenkbar im klassischen Musikjournalismus.

Analyse auf der Mikroebene

Was auffällt: Kanye West wird als Kunstfigur innerhalb des Albums interpretiert. Alle Entscheidungen innerhalb des Kunstproduktes Album werden ernst genommen.

Cuchna entwirft einen kulturellen Hintergrund. Er zieht die Ästhetik des Afrofuturismus heran, um Kanyes Videos zu analysieren, die oft zwischen dunklen afrikanischen Mythen und amerikanischen Dystrophien pendeln. Jede Folge widmet sich in gut 30 bis 45 Minuten einem einzigen Song. Cuchna analysiert die musikalische Mikroebene. Manchmal setzt er sich sogar ans Klavier, um einzelne Aspekte genauer zu beleuchten.

Kanye West als Mensch verstehen

Gleichzeitig verbindet er elegant die Musik mit der öffentlichen Persona Kanye West. Dahinter steht natürlich die an sich offensichtliche Vorstellung, dass Kunst und Leben sich gegenseitig nicht nur sprichwörtlich imitieren, sondern schlicht aufeinander reagieren. So argumentiert er, dass Kanye Wests sehr öffentliches Drama, als er nach einigen unglücklichen Auftritten plötzlich in negativem Licht gesehen wurde vom Publikum, in diesem Album verarbeitet wird.
Ein Künstler, der zur Celebrity geworden ist. Und der mit der neuen Aufmerksamkeit umzugehen versucht. Cuchna sortiert all die irren Äußerungen Kanyes, den Egowahnsinn, die dramatische Interviews – und schält das Bild eines sensiblen Hochbegabten heraus.
Am Ende versteht man nicht nur dieses monumentale Album neu, man versteht auch den Menschen Kanye West besser. Was könnte man mehr erreichen mit ambitioniertem Musikjournalismus?
Und wenn es noch offene Fragen gibt, offene Enden, wartet immer noch die nächste Folge, mit einem neuen Thema...
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