Besprechung

»Sie hacken sich in unseren Kreislauf«

07:23 Minuten
10.12.2016
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»Was müssen wir tun, um Autonomie in einer digitalisierten Welt (wieder) zu erlangen?« Nichts geringeres fragte das Symposium re:claim autonomy!, das am 5.
»Was müssen wir tun, um Autonomie in einer digitalisierten Welt (wieder) zu erlangen?« Nichts geringeres fragte das Symposium re:claim autonomy!, das am 5. Dezember in Berlin stattfand. Der Anspruch: Die drängenden Fragen unserer Gegenwart zu reflektieren.
Einer der Gäste war Daniel Suarez. In seinen Romanen beschäftigt sich der Autor und Softwareentwickler mit dem technologiegetriebenen Wandel. Vera Linß hat mit ihm darüber gesprochen, wie Technologie unsere Gesellschaft beeinflusst.

Soziale Medien sind so konstruiert, dass permanent unsere Emotionen angesprochen werden, dass wir emotional reagieren. Was bedeutet es für unser emotionales System langfristig betrachtet? Wie verändert es unsere Emotionen?

Daniel Suarez: Ich frage mich, bis zu welchem Maße sie darum bemüht sind, tiefe emotionale Reaktionen in uns hervorzurufen - wie der Anstieg des Blutdrucks und all die Dinge, die damit einhergehen. Auf gewisse Weise hacken sie sich in unseren hochentwickelten Kreislauf, sie hebeln ihn aus. Wir haben tiefe Emotionen und physiologische Reaktionen wie die Beschleunigung des Herzschlags und unser Körper fängt an zu reagieren, als passierte etwas in der physikalischen Welt. Das kann nicht gut sein - dieses permanente Gefühl, als würde man auf etwas reagieren, das einen ernsthaft durcheinander bringt, obwohl real nichts passiert. Wir sind nicht dafür gemacht, andauernd unter solchen Umständen zu agieren. Wir wissen alle, dass sich Stress auf lange Zeit gesehen negativ auswirkt. Und mir scheint, dass wir hier langfristig ähnliche Effekte sehen.
Die Leute sind ja nicht dumm. Sie sind in der Lage, sich anzupassen und daran zu wachsen. Wie weit kann die Manipulation gehen?

Es ist ein andauernder Krieg. Werbetreibende erleben das mit jungen Leuten. Jugendliche riechen Werbung einen Kilometer gegen den Wind. Ich weiß es nicht genau, aber ich würde schwören: Die merken es, wenn sie verscheißert werden. Deshalb haben Werbetreibende ihr Vorgehen angepasst. Jetzt versuchen sie es mit Guerilla Marketing. Es ist eine andauernde Schlacht: Sie verhalten sich wie ein Parasit in einem Körper. Das läuft wie überall in der Natur: Die Dinge entwickeln sich und passen einander an. Es ist ein sich ständig wiederholender Prozess, den man schwer vorhersagen kann. Es ist eine ständige Veränderung.
In Ihrem Vortrag haben Sie vorgeschlagen, dass man logisches Denken unterrichten sollte.
Ja, formale Logik. Es gibt etwas, das nennt man Sprachmathematik. Dahinter steht die Frage, wie man Wahrheit und Fälschungen voneinander unterscheidet. Wie man Sätze schematisch darstellt. Ich versuche, bekannte Täuschungsarten zu identifizieren, wie etwa das Autoritätsargument. Menschliche Kommunikation auf diese Weise zu analysieren und die Emotionen herauszunehmen, ist eine großartige Möglichkeit klarzumachen, was Menschen tatsächlich sagen. Oder zumindest das, was sie ausdrücken wollen. Es bringt zumindest etwas Klarheit ins Durcheinander. Denn in der modernen Welt gibt es sehr viel unpräzise Kommunikation. Und das ist kein Zufall. Es ist ein Nebeneffekt der politischen Entwicklungen. Aber den Menschen das Werkzeug in die Hand zu geben, Fakten von Fiktion zu unterscheiden, ist eines der sichersten Wege, die Gesellschaft und das Leben besser zu machen.
Wie kann man das machen? In der Schule?
Ja in der Schule. Dort wo ich zur Schule ging, in der Public School von New Jersey, wurden wir in formaler Logik unterrichtet. Wir mussten an die Tafel treten und mit diesen logischen Symbolen Sätze und Argumente auf falsch oder richtig analysieren. Das ist wirklich unglaublich. In meinem späteren Leben habe ich kaum Menschen gefunden, die damit umgehen können. Ich aber nutze das fast jeden Tag. Wenn ich ein Argument höre, wende ich automatisch an, was ich gelernt habe. Und das hilft mir sehr, durchs Leben zu kommen.
Welche Dystopie beschreiben Sie in Ihrem neuen Buch?
Das Buch ist keine Dystopie. Es ist keine Utopie. Und genau das wird die Zukunft sein. Ein Teil davon wird höllisch sein, ein anderer paradiesisch. Ich denke, das Leben wird voller Konflikte sein, voll starker Emotionen. Wir werden Technologien nutzen, die sich radikal unterscheiden von denen, die wir heute kennen. Ich habe darüber nachgedacht, was sich innerhalb der nächsten dreißig Jahre verändern wird - vor allem mit Blick auf Themen wie synthetische Biologie, Veränderung des Erbguts oder Vierte Industrielle Revolution. Das sind radikale Veränderungen. Die Gesellschaft wird sich reorganisieren. Manches davon wird großartig sein, manches alarmierend. Aber das ist der Lauf der Geschichte des Menschen. Manches ist großartig, manches schrecklich.
Können Sie ein Beispiel nennen, wie wir dann leben werden?
Produktion und Veränderung des Erbguts. Ich denke, viele Menschen machen sich darüber große Sorgen. Gleichzeitig schlagen wir uns mit dem Klimawandel rum. Die Bevölkerung wächst. Mit einer Technologie wie CRISPR, mit der man das Erbgut verändern kann, und mit dem man in die Fotosynthese eingreift, lässt sich zweimal so viel Reis herstellen. Gleichzeitig benötigt man dafür weniger Wasser. Nutzen wir das oder lassen wir die Menschen hungern? Das sind Fragen, die wir stellen müssen. Wenn wir die Möglichkeit haben, es zu tun, tun wir es? Und wenn wir plötzlich die Kontrolle über unsere eigene Evolution haben, wie wird das unsere Spezies verändern?
Bilder: intruder von Alosh Bennett auf Flickr, CC BY
Daniel Suarez von Joi Ito auf Flickr, CC BY