Des Dichters lähmender Höllenritt

Von Jörn Florian Fuchs · 31.10.2011
Die Oper "Hoffmanns Erzählungen" beginnt unter Regisseur Richard Jones charmant - und rutscht dann in Dekorationstheater ab. Überzeugend ist der Auftritt des mexikanischen Tenors Rolando Villazón: Er singt wunderbar hell, recht herzlich, bisweilen herzhaft und in jedem Fall elegant.
Ja, er war da. Ja, er hat gesungen. Ja, das Publikum war enthusiasmiert. Der mexikanische Superstartenor Rolando Villazón stemmte die Titelpartie in Offenbachs großformatiger Opéra fantastique und beweist, dass man auch aus tiefsten Stimmkrisen wieder passabel herauskommen kann.

Nach Villazóns eigenem Bekunden hat er 14 Ärzte konsultiert, die ihm alle das Ende seiner Karriere voraussagten (wie nah er am Abgrund war, zeigte etwa sein katastrophaler Kurzliederabend bei den vorletzten Salzburger Festspielen). Arzt Nummer 15 operierte ihn (Details unbekannt) und höre da: In den ersten beiden Hoffmann-Akten klingt alles wunderbar hell, recht herzlich, bisweilen herzhaft, in jedem Fall elegant und organisch.

Im Verlauf des nicht nur durch zwei Pausen, sondern vor allem dank Richard Jones' lähmender Regie sehr in die Länge gezogenen Abends, verliert Villazón leider deutlich an St(r)ahlkraft, beim Terzett mit Crespel und Miracle mag man ihm allenfalls "hintergründigen" Gesang bescheinigen, dennoch spielen sich Hoffmann & Villazón natürlich in den Vordergrund.

Es ist ja völlig klar, wo Villazón draufsteht, ist auch Villazón drin - auch in München darf man die einschlägigen Schmerzensgesten (an die Brust fassen, mit den Augen rollen etc.) bewundern. Richard Jones lässt das Geschehen um den von Alkohol und Frauen (in dieser Reihenfolge) verführten Dichter in einem Einheitsraum spielen, zunächst sitzt Hoffmann in einer Art Mansarde und weint über verflossene Liebschaften, dabei fließt der Fusel in Strömen. Bald wird aus dem tristen Gemach eine Bar nebst Zechkumpanen, bei den weiteren Handlungsorten verändern sich lediglich die Tapeten oder Teile des Mobiliars.

Zum Interieur gehören auch drei uninspiriert herumlungernde junge Männer, deren Präsenz vermutlich für etwas mehr Leben in der Bude sorgen soll. Der anfängliche Charme der Hauptfigur, die schön handfest choreografierten Kneipenbesucher, auch der hübsch surreal gezeigte Erinnerungsflash an die Automatenpuppe Olympia, in die sich Hoffmann einst und jetzt wieder neu unglücklich verliebt hat - alles rutscht bald in lähmendes Dekorationstheater ab. Weder verhält sich die Inszenierung zum Stück, noch zur Rezeption des Stoffes oder gar - was ja durchaus naheliegend wäre - zu Villazóns ganz eigener Künstlerproblematik.

Hinzu kommt ein merkwürdig blasses Dirigat des aufstrebenden, soeben mit dem Carlos-Kleiber-Preis geehrten Nachwuchsstars Constantinos Carydis. Carydis interessiert sich spürbar wenig für das Grobe und Urwüchsige der Partitur (man spielt eine nah an der historisch-kritischen Ausgabe von Kaye und Keck angelehnte Fassung), eher fein ausgesteuert und nur gelegentlich wuchtig tönt es aus dem Graben, Nummer folgt auf Nummer.

Immerhin steht ein exzellentes Sängerensemble zur Verfügung, wenngleich Kevin Conners (Cochenille/Pitichinaccio/Frantz) und John Relyea (Lindorf/Coppélius/Dapertutto/Miracle) im duettösen Zusammenklang doch etwas dröhnen. Diana Damrau gelingt nach ihrer Babypause ein furioses Comeback. Sie singt nicht nur hinreißende Olympia-Koloraturen, sondern überzeugt auch bei den weiteren Verkörperungen von Hoffmanns Liebessubjekten. Ein paar kleinere Schärfen nimmt man dabei gern in Kauf. Die große Überraschung war allerdings Angela Brower, die Hoffmanns skurrile Begleitung Nicklausse mit lichtem, erotischem Timbre ausstattete.