"Der Vorleser"

25.02.2009
Es geht um Schuld, Unvermögen, moralische Verantwortung und eine ungewöhnliche Liebesgeschichte: Stephen Daldrys Film "Der Vorleser" über eine ehemalige KZ-Aufseherin lief bereits auf der Berlinale und bietet die als beste Hauptdarstellerin mit dem Oscar ausgezeichnete, herausragend spielende Kate Winslet.
USA/BRD 2008, Regie: Stephen Daldry, Darsteller: Kate Winslet, Ralph Fiennes, David Kross, Lena Olin, Bruno Ganz, Jeanette Hain, Susanne Lothar, Matthias Habich u.a., Länge: 124 Minuten

Fast möchte man sagen, die Verfilmung von Bernhard Schlinks Roman "Der Vorleser" löst naturnotwendig die Kontroversen wieder aus, die beim Erscheinen des Buches die Feuilletonseiten füllten. Auf sehr individuelle und eigene Art werden hier die Fragen persönlicher Schuld an den Verbrechen des Faschismus und die Folgen der Taten für die nächsten Generationen aufgeworfen.

Der Roman besteht aus erzählter Erinnerung eines jungen Mannes und der Reflexion oben beschriebener Fragen als erwachsener Mann. Der Film verzichtet auf die Erzählstimme, die den Roman konstruiert, und erzählt in verschachtelten Zeitebenen. Das hat Folgen vor allem für die Komplexität der Behandlung dieser Schuldfragen, aber auch Reize für ein junges Publikum, das sich nach dem Erleben der ausgefallenen Liebesgeschichte in der ersten Filmhälfte, zu eigenem Urteilen provoziert fühlen muss.

Der langsam erwachsen werdende junge Held des Filmes Michael, gespielt von David Kross, ist dabei im Weiteren keine große Hilfe, ebenso wenig Ralph Fiennes als der erwachsene Michael. Nach der Enthüllung seiner Geliebten als KZ-Aufseherin in einem Gerichtsprozess, den er als Student miterlebte, geht er leidend und grübelnd durchs Leben, was nicht nur für den Schauspieler unergiebig ist. Trotz dieser gravierenden Mängel fordert der Film ein neues Interesse heraus für eine moralisch und pädagogisch längst abgehakte Zeit.

Die mit einer herausragenden Kate Winslet erzählte Liebesgeschichte ist nämlich kein Vehikel für das Folgende, sondern zieht den Zuschauer durch ihre Abgründigkeit in ihren Bann. Gerade hier kommen Stephen Daldrys Stärken im Inszenieren junger Seelenwelten voll zur Geltung und David Kross kann seine hervorragenden darstellerischen Qualitäten zeigen. Sparsamer als im Buch wird der Zuschauer auf das Geheimnis, die große Schwäche dieser Frau gestoßen, die ihre Unfähigkeit zu lesen und zu schreiben, ihr Manko in der Gesellschaft zu kommunizieren letztlich zu fürchterlichen Taten treibt.

Das zu beurteilen und daraus ein durchaus differenziertes Täterbild zu gewinnen, ist Schulstoff und beschädigt die moralische Verurteilung nicht. Vor allem diesen Vorgang im Auge behabt zu haben, kann man einem Regisseur unterstellen, der auch auf der klassischen Theaterbühne vor allem Kunsterlebnisse für ein junges Publikum geschaffen hat.

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