Der Verfechter der zweckfreien Kunst

Von Eberhard Spreng · 31.08.2011
Früh zeichnete sich ab, dass Schriftstellerei zur Lebensaufgabe Théophile Gautiers werden sollten. Er wurde zum führenden Essayisten, Kritiker und Reiseschriftsteller seiner Zeit, und zum Chefideologen der französischen Romantik. Sein Konzept des l'art pour l'art wurde weltberühmt.
Die rote Weste! Von ihr spricht man noch nach über vierzig Jahren, und man wird auch in Zukunft von ihr sprechen. Unsere Gedichte, unsere Bücher, unsere Artikel, unsere Reisen werden in Vergessenheit geraten; aber erinnern wird man sich an unsere rote Weste.

Théophile Gautier erschien bei der mit Spannung erwarteten Uraufführung von Victor Hugos revolutionärem Drama "Hernani" mit einer knallroten Weste und unterstrich mit dieser Provokation des konservativen Publikums seine Unterstützung für das dem neuen Geist der Romantik verpflichtete Werk. In der Saalschlacht war der stolze, feurige, damals 18-jährige Gautier ganz vorne mit dabei. Fünf Jahre später hatte der junge Literat mit seinem skandalumwitterten Briefroman "Mademoiselle de Maupin" seinen ersten Erfolg. Im Vorwort begründete er mit dem Begriff des "l'art pour l'art" die Auffassung, dass Kunst zweckfrei sein und gesellschaftspolitisches Engagement ausschließen müsse.

Wahrhaft schön ist nur, was zu nichts nützt; alles Nützliche ist hässlich, weil es Ausdruck von Bedürfnissen ist, und die des Menschen sind widerlich und abstoßend, wie seine arme, gebrechliche Natur.

Théophile Gautier, einem Selbstzeugnis zufolge am 31.8.1811 geboren, positionierte sich als typischer Bohèmien und lebte mit einer Gruppe von Künstlern in einem dem Abbruch geweihten Viertel des 3. Pariser Arrondissements.

Ich bewohnte zwei kleine Zimmer in dem Haus gegenüber der Arkade, die zur Hängebrücke führt. Camille Rogier, Gérard de Nerval und Arsène Houssaye hausten in der Sackgasse in der Wohnung, die durch ihren großen Salon mit der geschnitzten Täfelung bemerkenswert war. Aber um nichts in der Welt hätten wir die Bourgeois mit rundem Hut und langen Rockschößen eingelassen, ausgenommen einen Verleger, der uns zehntausend Francs für einen Gedichtband anbietet.

Schnell profilierte sich Gautier als Autor von Gedichten, Novellen, Romanen und wurde zum führenden Chronisten der französischen Metropole. Seine sprachlich unverschnörkelten, bildmächtigen Artikel und Reiseberichte wirkten stilbildend. Gleichzeitig avancierte Gautier, der ursprünglich hatte Maler werden wollen, zum anerkanntesten Kunstkritiker seiner Zeit. Er frequentierte das "Cénacle", den Romantikerclub um Victor Hugo und schilderte später die Drogenerfahrungen im sagenumwobenen, von ihm gegründeten "Club des Hachichiens", dem Club der Haschischesser, zu dem auch der jüngere Baudelaire gehörte. Seine Musen seien die Wollust und der Tod, sagte der berühmte Poet über Théophile Gautier. Tatsächlich war manches, was der Literat der Transgression, der Grenzüberschreitung, verfasste, von einer düsteren Erotik geprägt - Schauerromantik wie seine Novelle "La Morte Amoureuse", in dem eine tote Prostituierte einen jungen Priester in einen finsteren Bann zieht.

Sarapion riss den Deckel auf: Da lag Clarimonde, schön wie im Leben, mit gefalteten Händen; sie war bleich wie Marmor, ein kleiner roter Blutstropfen lag wie ein Rosenblatt auf ihren bleichen Lippen. Dann besprengte er den Körper und Sarg mit Weihwasser. Kaum benetzte das heilige Wasser Clarimonde, als ihr schöner Leib zu Asche zerfiel.

Für den Autor dieser Zeilen übte die Lektüre einer Passage aus Heinrich Heines Schriften über Deutschland eine große Anziehungskraft aus: Die toten, unwiderstehlichen Baccantinnen, die sogenannten Willis nahm Gautier als Figuren in seinem "Giselle"-Libretto auf". 1841 wurde das berühmte romantische Ballett mit überwältigendem Erfolg uraufgeführt.

Gautiers Prosa dagegen blieb bis heute der große Erfolg verwehrt. Nur sein Mantel und Degen-Roman "Capitaine Fracasse" wurde fürs Theater bearbeitet und wird immer wieder gerne verfilmt.

In den letzten Jahren seines Lebens stieg der ehemalige Bürgerschreck in die höchsten gesellschaftlichen Kreise auf. Im deutsch-französischen Krieg von 1870 bezog er die Position der Versaillais und wandte sich mit überschäumender Rhetorik gegen die Anhänger der Pariser Commune.

Unter wildem Geschrei strömen diese grausamen Tiere in die entsetzte Stadt. Aus den offenen Käfigen stürmen die Hyänen von 1793 und die Gorilla-Affen der Commune heraus.

Anders als die neue Generation um Literaten wie Paul Verlaine und Arthur Rimbaud gehörte Théophile Gautier zu den Autoren, die diese erste proletarische Revolution Europas nicht mehr begriffen. Er starb am 23. Oktober 1872, 61-jährig, in Neuilly sur Seine bei Paris.