"Der Ursprung war natürlich erst mal reines wissenschaftliches Interesse"

Karl-Heinz Frommolt im Gespräch mit Katrin Heise · 07.05.2009
Das Berliner Naturkundemuseum hat über 100.000 verschiedene Brunftgesänge, Warnschreie, Piepstöne und Wohllaute gesammelt und archiviert - darunter auch den ausgestorbenen Dialekt des Bielefelder Ortolans. "Begonnen hatte das alles in den 50er-Jahren", sagte Karl-Heinz Frommelt, der Leiter des Tierstimmenarchivs in dem Museum.
Katrin Heise: Warum es wichtig ist, Tierlaute zu sammeln, und wie sich Vogeldialekte tatsächlich voneinander unterscheiden, darüber kann Karl-Heinz Frommolt Auskunft geben. Er ist Ornithologe und Bioakustiker und Leiter des Tierstimmenarchivs im Naturkundemuseum Berlin. Herr Frommolt, ich grüße Sie recht herzlich!

Karl-Heinz Frommolt: Guten Tag!

Heise: Ich hab eben schon den Ortolan erwähnt, der in Bielefeld vorkommt bzw. vorkam, kann man tatsächlich Vögel an ihren regionalen Dialekten unterscheiden?

Frommolt: Es gibt ’ne ganze Reihe Arten, die sogenannte Dialekte oder Regiolekte haben. Also der Ortolan ist einer der Arten, eine andere Art wäre zum Beispiel die bei uns weit verbreitete Goldammer, sodass man dann anhand des Gesanges ziemlich klar sagen kann, wo kommt der Vogel her.

Heise: Wie genau denn? Also tatsächlich Stadt, also Bielefeld wird hier erwähnt?

Frommolt: Es ist nicht direkt die Stadt Bielefeld, sondern die Region Bielefeld. In der gesamten Region ist der Ortolan verschwunden, und mit dem Verschwinden dieser Population ist auch eine bestimmte Gesangsform, die diese Population charakterisiert hat, verschwunden. Und die Grenzen zwischen zwei Dialekten können mitunter ziemlich scharf sein. Das wurde an der Goldammer ziemlich detailliert untersucht, und da konnte man wirklich feststellen, dass in einem Dorf konsequent der eine Dialekt gesungen wurde und im nächsten Dorf konsequent ein anderer.

Heise: Das hören aber nur Ornithologen wie Sie?

Frommolt: Also man muss die Art schon kennen und muss auch wissen, dass es da Unterschiede gibt. Also man kann's heraushören.

Heise: Und die Vögel verstehen sich aber untereinander, auch grenzüberschreitend?

Frommolt: Die Vögel verstehen sich auch untereinander.

Heise: Warum sammelt man eigentlich Tierstimmen, was ist da wichtig dran, dass man genau diese Charakteristik so ausführlich darstellt?

Frommolt: Der Ursprung war natürlich erst mal reines wissenschaftliches Interesse. Es ging um die Kommunikation von Tieren, Lautäußerungen sind ja ein Teil des Verhaltens der Tiere. Und es ging darum, zu untersuchen, welche Funktion diese Lautäußerungen hatten. Begonnen hatte das alles in den 50er-Jahren, und das erste Untersuchungsobjekt war der Rotfuchs gewesen, und bald wurde das Ganze ausgeweitet, dass dann Aufnahmen in zoologischen Gärten und auch im Freiland gemacht wurden. Aufnahmen aus dem Tierstimmenarchiv sind zurzeit schon in zahlreichen Museen zu hören. Wir haben die Brockhaus-Enzyklopädie illustriert.

Heise: Akustisiert.

Frommolt: Akustisiert, ja. Und es sind jetzt auch schon ein paar CDs erschienen. Begonnen hatte das Ganze ja schon in den 60er-Jahren, 1967 wurde eine Schallplattenserie herausgebracht, "Stimmen der Vögel Mitteleuropas".

Heise: Das also die Anfänge des Tierstimmenarchivs des Berliner Naturkundemuseums, unser Thema im "Radiofeuilleton". Der Leiter des Tierstimmenarchivs, Karl-Heinz Frommolt, ist mein Gast. Herr Frommolt, wir haben vorhin Wölfe gehört, ein ganzes Rudel, und das haben Sie aufgenommen. Können Sie sich noch erinnern, wann Sie das gemacht haben und wo?

Frommolt: Da kann ich mich noch genau erinnern. Diese Aufnahme entstand im Rahmen einer Arbeit an meiner Promotion, und das war im August 1984 gewesen in Zentralrussland. Also wir hatten da speziell tierakustische Distanzkommunikation von Wölfen untersucht, und es ging darum, herauszubekommen, wie sich die Lautaktivität im Wolfsterritorium verteilt, also ob es bestimmte Plätze gibt, an denen halt die Wölfe vermehrt heulen. Und im konkreten Fall war das die Aufnahme eines kompletten Rudels gewesen, mit einem Richtmikrofon aufgenommen auf eine Entfernung von ca. 300 Metern.

Heise: Und wie weit sind die Distanzen, die die Wölfe mit ihrem Geheul überwinden, weil Sie sagen, das wollten Sie gerade untersuchen?

Frommolt: Die Reichweite reichte zumindest bis zu einem Kilometer und mehr. Und es ist ja auch die Frage, welche Funktion erfüllt das Wolfsheulen. Wir haben die Untersuchungen im Spätsommer durchgeführt. Das ist die Zeit, in der die Welpen anfangen, etwas mobil zu werden, das Gelände erkunden. Und da erfüllt das Heulen eine ganze wichtige Funktion, um das Rudel immer wieder zusammenzubringen.

Heise: Also der Wolf ist von Ihnen aufgenommen – machen Sie das eigentlich immer noch, dass Sie ins Feld gehen und aufnehmen?

Frommolt: Wir haben zurzeit ein Forschungsprojekt laufen, das ist eine Untersuchung, die wir am Kummerower See durchführen, und da wollen wir eine Methodik etablieren, mit der man dann feststellen kann, wie Veränderungen in der Vogelwelt dokumentiert werden können. Und in der Perspektive stellen wir uns das auch so vor, dass vielleicht die Aufzeichnungstechnik über längere Zeit da bleibt, vielleicht von Solarenergie betrieben wird und man zum Beginn der Brutsaison dann die Technik aufbaut und am Ende der Brutsaison weiß, was hat dort gebrütet, wie viel Vögel haben dort gebrütet, und man braucht da nicht zu stören.

Heise: Andererseits hat man natürlich dann tagelanges Material, was man sich ja irgendwann wieder anhören muss, bis dann endlich mal ein Pieps zu hören ist vielleicht?

Frommolt: Uns geht es darum, Algorithmen zu entwickeln, mithilfe deren man Tierstimmen erkennen kann und somit der Computer uns sagt, welche Arten kommen da vor. Die Mikrofone sind dann so angeordnet, dass man auch noch eine Lokalisation der rufenden Tiere vornehmen kann. Somit kann man jetzt zum Beispiel sagen, Rohrdommel A sitzt dort und dort, Rohrdommel B sitzt an einem anderen Ort, und kann dann ziemlich genau so eine Verbreitungskarte aufzeichnen. Und damit weiß man auch, wie viel Tiere im Gebiet vorkommen.

Heise: Sie archivieren ja nicht nur die Tierstimmen, sondern Sie notieren dazu auch die Situationen, in denen das aufgenommen wurde, also zum Beispiel, ob es sich um einen Angstschrei handelt. Wozu ist das wichtig?

Frommolt: Es ist ganz wichtig, um die Bedeutung des Rufes zu dokumentieren. Die Beschreibung soll ja so gut wie möglich erfolgen. Das ist natürlich ein Problem, wenn wir Freilanduntersuchungen machen. Man sieht meistens die Vögel gar nicht oder die anderen Tiere, die man aufzeichnet, und kann den Verhaltenskontext nicht so eindeutig zuordnen. Es gibt aber wenige Situationen auch im Freiland, wo man das eindeutig sagen kann.

Zum Beispiel hatten wir mit den Wölfen so eine Situation, wir konnten ja auch das Heulen der Wölfe auslösen, indem wir selber geheult hatten. Dann haben von allen Seiten halt die Wölfe geantwortet. Und schließlich war es dann so weit, dass die Wölfin im Rudel mal nachgeschaut hatte, wer denn da nicht Ruhe gibt und ständig wieder anfängt zu heulen. Sie hat sich dann an uns bis auf 30 Meter genähert, hat dann eine kurze Fauchreihe von sich gegeben, neben ihr war ein Welpe, und der Welpe verschwand im Dickicht, bevor die Mutter überhaupt losgelaufen war.

Heise: Weil er Angst vor Ihnen hatte?

Frommolt: Nein, das war die Reaktion auf den Laut. Es war ein Warnruf gewesen, und dem kann man umschrieben die Bedeutung beimessen: Geh jetzt in Deckung, hier ist Gefahr.

Heise: Erlebnisse, die man hat, wenn man Tierstimmen aufnimmt. Erläutert hat uns das Karl-Heinz Frommolt, Leiter vom Tierstimmenarchiv im Berliner Naturkundemuseum. Wenn Sie übrigens selbst mal hören wollen, welche Tierraritäten da gesammelt und archiviert wurden, dann können Sie das ganz bequem am heimischen Computer tun. Das Tierstimmenarchiv finden Sie nämlich im Internet, und zwar auf der Seite www.tierstimmenarchiv.de.