Der Traum vom Fliegen

Von Simon Schomäcker · 06.04.2013
Ein Traum, den sich die Menschen bereits seit Jahrhunderten bewahren, ist der vom Fliegen. Im Indoor Skydiving Center in Bottrop kann er für einen Moment wahr werden. Denn hier befindet sich Deutschlands einzige professionelle Simulation des Fliegens im freien Fall.
Schon draußen auf der Treppe kann ich die Luft von drinnen hören. Je näher ich komme, umso lauter wird das Rauschen der mächtigen Turbinen.

Ich öffne die Eingangstür und stehe in der Haupthalle. Das Rauschen klingt hier drinnen dank Schallisolierung eher wie ein Säuseln. Es kommt aus der Flugkammer, einer vier Meter hohen und vier Meter breiten Glasröhre am hinteren Ende der Halle. Mittendrin liegt ein Mann im Overall auf dem Bauch.

Vielseitige Kundschaft
Er liegt im Raum - und schwebt - frei und ruhig. Keine Ahnung, wie er das schafft. Ein straff gespanntes Sicherheitsnetz am unteren Ende der Glasröhre sorgt dafür, dass der Fluggast, wie sie hier genannt werden, nicht in das Gebläse fällt, das große Mengen Luft durch die Kammer pumpt.

Einige Zuschauer verfolgen gebannt das Szenario. Völlig entspannt dagegen wirkt Christian Böhlke. Er ist Marketingleiter des Indoor Skydiving Centers und stolz auf die vielseitige Kundschaft:

Christian Böhlke: "Auf der einen Seite sind es normale Entertainment- und Eventkunden, die einfach mal das Gefühl des Fliegens im Luftstrom erleben möchten, so wie Sie nachher. Auf der anderen Seite haben wir Profis hier aus der ganzen Welt, die hier Freifall- oder Fallschirmsprung-Formationen trainieren und teilweise auch einfach üben, bevor sie sich in den freien Fall begeben. Und dann gibt es noch die Militärs, die auch aus der ganzen Welt kommen und es einfach zu Trainingszwecken einsetzen."

Während ich Christian Böhlke zuhöre, komme ich trotzdem nicht davon weg, immer wieder zur Flugkammer zu schauen. Kopfüber fliegen dort zwei Profis, an der Scheibe entlang, in horizontaler Richtung im Kreis. Immer im gleichen Abstand zueinander.

Ab und zu verständigen sich die beiden Kunstflieger per Handzeichen mit Karl Knieper. Direkt neben dem Flugtunnel regelt er per Computer und Tastendruck den Windstrom:

"Das sind die vier Turbinen mit ihrem Leistungsspektrum. Die Diagramme zeigen an, wie gleichmäßig die Turbinen laufen. Wir wollen natürlich wenig Schwingungen und wenig Vibrationen haben. Erst mal, um den gleichmäßigen Wind zu bekommen und zum anderen ist das natürlich materialschonend - jetzt muss ich die Geschwindigkeit ändern. Er hat mir gerade angezeigt, dass er 75 Prozent haben möchte."

Ich schaue auf die Uhr. Es wird Zeit, mich auf meinen Selbstversuch vorzubereiten. Waldemar Gadzia bittet mich und noch vier andere Flugbegeisterte zum Tresen auf der anderen Seite der Halle. Der stämmige Coach mit der Glatze gibt uns die rot-grauen Flugoveralls, die Schutzbrillen und Spezialhelme.

"Aufregung ist normal"
Waldemar Gadzia: "Na, aufgeregt?"

Teilnehmer: "Ja, ja, schon …"

Waldemar Gadzia: "Aufregung ist normal, wenn man so etwas noch nie gemacht hat, klar. Meine Bitte an euch ist, lasst euch von der Aufregung nicht blockieren.

Die wichtigste Info, die ich euch geben kann ist: Es macht einen Riesenspaß, freut euch drauf. Das Ganze ist ein bisschen Sport. Ihr braucht gleich ein wenig Körperspannung."

Nacheinander klettern wir auf einen Tisch und üben im Liegen die Haltung im Windkanal.

Waldemar Gadzia: "So, Arme bitte nach vorne, Kopf in den Nacken und Becken durchdrücken. Füße nicht zusammenstoßen lassen, Schultern weit auseinander. Und durchbiegen, noch ein bisschen, komm! Der Wind wird dir helfen."

Nach einer guten halben Stunde haben wir es alle kapiert. Coach Gadzia gibt uns grünes Licht. Wir können in den Kanal. "Der Wind wird dir helfen", diesen Satz merke ich mir.

Mein Mikrofon kann ich im Windkanal vergessen. Der Wind ist zu laut und zu stark. Deshalb hat der Helm auch einen zusätzlichen Gehörschutz. Ab jetzt gibt es nur noch Handzeichen.

Wind mit 200 Stundenkilometern
Ich setze mich auf die Bank in der Vorkammer. Waldemar Gadzia steht bereits im Windkanal und winkt mich zu der schmalen Tür, die hineinführt. Jetzt bin ich doch angespannt. Wie war das noch -Beine breit im Türrahmen, die Arme im rechten Winkel hochhalten, am Gummibezug des Türrahmens festhalten, Hohlkreuz bilden, Kopf durch die Tür - in dem Moment kommt Herr Gadzia auf mich zugeflogen und hebt mich mit beiden Händen auf den Luftstrom, der allmählich hochgeregelt wird.

Und auf einmal schwebe ich und liege frei im Raum. Der Wind um mich herum ist 200 Stundenkilometer schnell und trotzdem angenehm warm. Er fühlt sich an wie kräftige Hände, die meine Wangen massieren. Durch den Gehörschutz ist alles ziemlich dumpf, aber ich sehe meinen Flugoverall nur so flattern.

Nach zwei Minuten ist Schluss. Durch die schmale Tür schwinge ich mich zurück in die Vorkammer, um den Windkanal einem anderen Flugenthusiasten zu überlassen. Später habe ich noch zwei weitere Durchgänge. Am Ende gehe ich wie auf Watte.

Simon Schomäcker: "Ich muss ja sagen, noch nie in meinem Leben sind sechs Minuten so schnell umgegangen wie heute. Es kam mir vor wie eine halbe Minute. Also noch bin ich wie high. Ich muss erst mal runterkommen und raus hier aus dem Kanal."

In der Umkleide fällt mir auf, dass ich überhaupt nicht schwitze, obwohl ich im Kanal meine Muskeln stark angespannt hatte. Allmählich lässt der Adrenalin-Kick wieder nach. Eine Dusche brauche ich nicht. Draußen am Tresen wartet schon Waldemar Gadzia auf mich.

Waldemar Gadzia: "Herzlichen Glückwunsch zu deinem ersten Flug im Tunnel. Ich habe dir hier ein Diplom fertig gemacht, auf dem sind acht Punkte aufgeführt, von denen hast du schon vier abgearbeitet heute. Komm wieder, bring das Diplom bitte wieder mit. Dann gehen wir an die nächsten Punkte. Glückwunsch!"

Beim nächsten Mal heißt: Kunstfliegen üben, vielleicht schon Saltos in der Luft schlagen. Der Wind wird mir helfen.