Der Tor des Monats

Eine reine Kinderseele

Franz Beckenbauer
Franz Beckenbauer © imago Sportfoto
Von Florian Felix Weyh · 29.11.2015
Bei zwei der drei Nominierten für den Tor des Monats geht's um die Vergabe von Fußball-Turnieren: Joachim Watzke von Borrussia Dortmund will die künftig verlosen. Der "Kaiser" Franz Beckenbauer rechtfertigt seine Unterschrift zur WM-Vergabe 2006 - und verändert damit dramatisch sein Bild in der Öffentlichkeit.
Die Nominierten:
Tor Nummer 1:
Andreas Rettig: "Jeder Investor ist herzlich willkommen."
Rudi Völler:
"Ich will's mal so ausdrücken: Das ist ein typischer Rettich."
"Was er gerne hin und wieder tut, so ein bisschen auf Schweinchen Schlau machen."
Andreas Rettig: "Aber er muss sich an die Spielregeln halten."
Andreas Rettig, seit September Kaufmännischer Geschäftsführer des FC St. Pauli.
Grund der Nominierung: Er fordert, die "50+1"-Regel bei der Verteilung der Fernsehgelder konsequent anzuwenden. Im Klartext: Alle Bundesligavereine, die als "Werksclubs" einen Finanzier mit Stimmenmehrheit haben, sollen in Zukunft von den TV-Zuflüssen abgeklemmt werden. Das wären: Bayer Aspirin Leverkusen, der VW-Wolfsburg, 1899 SAP-Hoffenheim und potenziell 1896 Hörgeräte Hannover. Das Geld will Rettig lieber in der 2. Liga verteilen.
Rudi Völler: "Das macht er gerne."
Tor Nummer 2:
Kinderstimme: "Wissen Sie, was ich damals alles unterschrieben habe?"
Unverkennbar: Franz Beckenbauer.
Kinderstimme: "Ich hab immer blind unterschrieben, wenn sie meine Unterschrift gebraucht haben."
Grund der Nominierung: Ein so was von rückhaltlos offenes und bis in die Tiefe reflektiertes Interview über die Vergabepraktiken der WM 2006, dass sich unser Bild vom Kaiser nach diesem Interview dramatisch verändert hat.
Kinderstimme: "Ich habe nie was aufgesetzt, ich habe nur was unterschrieben."
Da Beckerbauer das Interview den Kollegen von der Süddeutschen Zeitung gab, mussten wir es nachsynchronisieren.
Tor Nummer 3:
Hans-Joachim Watzke, Geschäftsführer von Borussia Dortmund.
Grund der Nominierung: Nicht die "50+1"-Regel, die hat Watzke schon lange vor Andreas Rettig thematisiert. Nein, bei Watzke geht es um entschieden Größeres: Fußballturniere wie die WM sollten in Zukunft nicht mehr von einem korrumpierbaren Gremium vergeben, sondern verlost werden – und zwar unter allen Ländern, die die vorher formulierten Expertenkriterien erfüllten.
And the winner is ...
Nicht der Letztgenannte, denn: "Das Losverfahren dient der Ausschaltung von Sonderinteressen", das sagt die politische Wissenschaft seit Langem. Verlosungen sind anti-korrumptiv, sozusagen die Entwässerungsgräben in einer Sumpflandschaft, die man trockenlegen muss. Watzke ist also kein Tor – sondern der Ball, der ins richtige Tor will.
And the winner is ...
Auch nicht Andreas Rettig mit seinem Underdog-Vorstoß zur Umverteilung der Fußball-Einnahmen. Kurze Zeit später verkündete er den Rückkauf der einst billig verschleuderten Merchandising-Rechte des FC St.Pauli. Wie beschrieb ihn Ex-Mannschaftskamerad Rudi Völler doch gleich noch mal?
Rudi Völler: "Was er gerne hin und wieder tut, so ein bisschen auf Schweinchen Schlau machen."
Was heißt hier "machen"? Der Mann ist schlau.
The winner is ...
Kinderstimme: "Ich hab ja viel blind unterschrieben."
Franz Beckenbauer. Der Tor des Monats, des Jahrzehnts, des Jahrhunderts. Für den Kaiser darf kein Superlativ zu groß sein. Auch wenn er sich selbst ganz klein macht, zum Beispiel bei kritischen Fragen zu seltsamen Geldflüssen.
Kinderstimme: "Mir als minderem Kaufmann stellte sich damals die Frage nicht."
Noch kleiner!
Kinderstimme: "Wir wollten die WM organisieren, alles andere war mir wurscht."
Nein, noch kleiner!
Kinderstimme: "Ich bin eigentlich erst in den vergangenen Jahren erwachsen geworden."
Das ist es. Der Tor des Monats – eine reine Kinderseele! Eine reine Seele.
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