Der todbringende Komet

Von Hartmut Goege · 19.05.2010
Kein Komet wurde im Laufe der Geschichte so intensiv erforscht wie der Halleysche Komet, der alle 76 Jahre in Erdnähe auftaucht. Als es 1910 wieder so weit war, wurde ein Zusammenstoß mit der Erde prognostiziert. Weltweit machte sich Untergangsstimmung breit.
Seit Menschengedenken galten Kometen am Himmel als göttliche Vorzeichen kommender Katastrophen. Als 1577 Astronomen sie als Teil des Universums erkannten und vor knapp 300 Jahren erstmals ihr mögliches Auftauchen in Erdnähe auf Jahr und Tag berechnet werden konnte, verloren sie etwas von ihrer Magie. Der Aberglaube aber blieb.

Am 19. Mai 1910 war es wieder soweit. Für diesen Tag wurde der Halleysche Komet erwartet. Schon Wochen vorher löste er eine weltweite Untergangsstimmung aus. Viele hielten Gasmasken bereit oder warteten in Leichenhemden auf das Ende. In New York sprangen aus Angst vor dem heranrasenden Kometen Passagiere eines Schiffes ins Wasser und ertranken. In Berlin schrieb die "Vossische Zeitung":

Eine gewaltige Menge drängte sich gestern Abend nach Treptow, um die etwaigen nächtlichen Vorgänge zu beobachten. Die Treptower Sternwarte wurde geradezu bestürmt und bis gegen 11 Uhr abends standen noch immer neue Schaulustige Einlass begehrend am Eingang.

In Paris etwa waren sämtliche Sauerstoffflaschen vergriffen. Scharlatane verkauften massenhaft Kometenpillen, die gegen Halleys giftige Gase schützen sollten. Wochenlang heizten Zeitungen immer wieder die Panikstimmung an.

Grubenarbeiter in Pennsylvania lehnen es ab, die Minen zu betreten, da sie es vorzögen, außerhalb des Schachts zu sein, wenn der befürchtete Zusammenstoß eintrete.

Der Entdecker des Kometen, Edmond Halley, hatte 1705 exakt berechnet, dass der Himmelskörper auf einer ellipsenförmigen Bahn alle 76 Jahre knapp die Erde verfehlt. Die Menschheit konnte sich auf das pünktliche Eintreffen also verlassen. Und tatsächlich wurde Halley schon Wochen vorher im Orbit gesichtet. 1908 war ein kleiner unbekannter Himmelskörper mit ungeheurer Wucht in den sibirischen Wäldern explodiert. Ein Ereignis, das viele mit dem Schlimmsten rechnen ließ. Denn mit seinem unförmigen Kern zählt Halley zu den größten bekannten Kometen. Mit einem Volumen von rund 420 Kubikkilometern und einer Ausdehnung von 8 mal 15 Kilometern ist er vergleichbar mit der Größe des Chiemsees. Die weltweite Nervosität nahm zu. Im "Berliner Tageblatt" war zu lesen:

Große Aufregung herrscht unter der Negerbevölkerung und anderen abergläubischen Volksklassen. Priester und Missionare sind bemüht, die Kometenfurcht aus den Gemütern zu verscheuchen.

Hätte Ende des 19. Jahrhunderts der Astronom William Huggins nicht nachgewiesen, dass sich im Lichtschweif des Kometen Spuren von Cyan finden lassen, die Aufregung wäre vielleicht nur halb so groß gewesen. Denn in Verbindung mit Kalium mutiert der Stoff zum tödlichen Gas Zyankali. Die damals zehnjährige Zeitzeugin Olga Hollenberg wusste um die vermeintliche Gefahr.

"Der hatte einen riesigen Schweif, dieser Komet, und die Erde, die musste durch diesen Schweif durch. Da hieß es, da sind giftige Gase und die Haut, die wird zersetzt. Aber mein Vater sagte: 'Erst einmal abwarten, wenn wir sterben, dann sterben wir ja alle.'"

Eine Einstellung, die sich letztendlich bei den meisten durchsetzte. Und so blieben die befürchteten Massenselbstmorde aus: Dann schon lieber sehenden Auges in den Weltuntergang feiern. Ferngläser, Operngläser, Teleskope waren restlos ausverkauft.

New York rüstet sich diese Nacht, den Kometen zu empfangen. Alle Dachgärten sind mit Menschen besetzt. Die ganze Szenerie gleicht dem lebhaften Treiben am Silvesterabend.

Überall in Europa und den USA kamen sogenannte Kometenpartys in Mode. Das Motto: "Ein letztes Mal!" Da wurden Kometenhüte kreiert und findige Fabrikanten warfen noch schnell Kometensekt, Kometenseife oder Kometenwurst auf den Markt. Als Halley dann vorüberzog, zeigten die Messgeräte nicht die geringste Spur von Cyanid an. Heute ist klar, dass die giftigen Gase die Erdoberfläche gar nicht erreicht hätten, wie Hans-Friedger Lachmann vom Zeiss-Großplanetarium in Berlin weiß.

"Das war Spekulation, selbst wenn das passiert wäre, wäre auch nichts passiert, weil wir haben eine Erdatmosphäre, die ja Teilchen zunichtemacht, im Grunde genommen. Auch die kleinen Teilchen, die ein Komet natürlich immer auf seiner Bahn verstreut, wenn die in die Erdatmosphäre gelangen, haben wir viele Sternschnuppen - und das war es."

Nach einer Hochrechnung der US-Weltraumbehörde NASA zischen auf kosmischen Bahnen, die irgendwann die Erdbahn kreuzen, rund 2000 Asteroiden und Kometen mit einem Durchmesser von mehr als einem Kilometer umher. Halley wird erst wieder für das Jahr 2061 erwartet.