Der Tod auf dem Dorfe

23.03.2012
Sie wurde mit "Tannöd" berühmt: Jetzt legt die Bestsellerautorin Andrea Maria Schenkel ihren vierten Krimi vor. Bei ihr steckt das Verbrechen in Dörfern, wo Moral und Aberglaube fest verankert sind. Ihr neues Buch scheint schon vom Titel her in dieselbe Sphäre zu verweisen: "Finsterau" heißt es.
Brutal ist die Welt, die Andrea Maria Schenkel beschreibt. Da, wo nach Außen hin Ruhe und Gediegenheit herrschen, genau dort lauert der Abgrund. Menschenleben zählen da meist nicht viel. So auch in ihrem vierten Kriminalroman. In dem bayerischen Dorf Finsterau werden eine Mutter und ihr kleiner Sohn erschlagen. Grundlage ist ein historisch überliefertes Verbrechen aus dem Jahr 1947.

Um zu klären, wer der Schuldige ist, lässt Schenkel - wie in "Tannöd" schon - die Stimmen der Beteiligten sprechen und erzeugt damit ein Kaleidoskop der Perspektiven. Darin ist sie eine Meisterin ihres Genres. Sie erliegt dabei auch nicht der Gefahr, zu viele verschiedene Stränge aufzubauen und damit Komplexität vorzutäuschen - im Gegenteil, in ihrem schmalen Bändchen hat alles Funktion und Logik. Sie verzichtet nicht nur auf einen Kommissar, sie presst auch keine doppelten Böden in ihr Krimikonstrukt - und vermeidet essayistische Ausflüge in Grundfragen nach Schuld und Sühne.

Vielmehr lässt Schenkel das Umfeld aufleben, in dem ein solches Verbrechen passieren konnte. Wer ermordet ein armes Mädchen vom bayerischen Dorf und ihren kleinen Sohn? Die Behörden sagen: Es war der Vater des Mädchens, denn er konnte nicht verwinden, dass seine einzige Tochter ein uneheliches Kind zur Welt gebracht hat - auch noch von einem französischen Zwangsarbeiter. Als ob das nicht reichen würde, meidet sie die Kirche und versucht, der Enge eines fast mittelalterlich anmutenden Katholizismus in ihrem kleinen Dorf zu entfliehen.

Doch ihr fehlen Mittel und Perspektiven. Sie ist geächtet, auch vom eigenen Vater. Ein Mann, der ihr immer das Gefühl gegeben hat, "unrecht zu tun oder zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein." Ein Mann auch, dessen eigenes Leben voller Schmerzen und Einschnitte war. Ein tiefgläubiger Katholik, gefoltert von den Nazis, traumatisiert - und danach verschlossen, böse und kalt. Aber seine Tochter und das Enkelkind erschlagen? Er hat gestanden, wurde verurteilt - und dennoch sagt der Staatsanwalt im Rückblick: "Das Urteil war richtig, ob es gerecht war, ist eine andere Frage."

Andrea Maria Schenkel knüpft mit "Finsterau" wieder an ihr Debüt "Tannöd" an und erzählt direkt aus dem dörflichen, katholischen Milieu der verlassenen Ecken Bayerns. Dort, wo Menschen Gefahr laufen, innerlich zerfressen zu werden von enger, althergebrachter, fragwürdiger Moral.

Dabei pflegt sie nicht nur ihren eigenen nüchtern-kühlen Ton. Sie lässt auch eine zum Teil vergessene Sprache aufleben und erzählt nebenbei noch ein Stück Kultur- und Sozialgeschichte. Da ist etwa die Rede vom "Milchweitling", vom "Schupfen", vom "Grand" - und von der "Höll", dem Ort neben dem Küchenofen.

Sicher - inzwischen hat sich auch bei Andrea Maria Schenkel die Routine eingeschlichen. Mit leichter Neigung zum Kunsthandwerklichen ist ihr neuer Krimi etwas zu glatt geraten, auch klassische Krimispannung findet man bei ihr kaum. Man liest Schenkels Romane vor allem, weil man erfahren will, aus welchem Geist heraus Verbrechen begangen werden und wie es sein kann, dass ein Menschenleben so wenig wert ist.

Besprochen von Vladimir Balzer

Andrea Maria Schenkel: Finsterau
Hoffmann und Campe, Hamburg 2012
160 Seiten, 16.99 Euro
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