Der Taxifahrer soll's gewesen sein

06.08.2012
Angelehnt an einen realen Fall erzählt der in den USA lebende schottische Schriftsteller Iain Levison in "Hoffnung ist Gift" von der Ermordung eines Mädchens. Unschuldig verdächtigt wird ein Taxifahrer. Der Roman seziert das amerikanische Rechtssystems aus der Sicht eines Justizopfers.
Im Juni 2002 wird Richard Ricci in Salt Lake City verhaftet. Er soll die 14-jährige Elisabeth Smart entführt haben, beteuert aber seine Unschuld. Amerikanische Medien diskutieren, ob Richard Ricci gefoltert werden sollte, damit er den Aufenthaltsort von Elisabeth Smart verrät. Einige Wochen später stirbt Richard Ricci unter dubiosen Umständen im Gefängnis. Im März 2003 wird Elisabeth Smart lebendig aufgefunden, ihre Entführer werden verhaftet. Richard Ricci war unschuldig.

Iain Levison hat seinen Roman "Hoffnung ist Gift" Richard Ricci gewidmet und eine Parallelgeschichte zu seinem Fall konstruiert. In Levisons Buch fährt der Taxifahrer Jeff Sutton eine wohlhabende junge Frau nach Hause, sie bittet ihn noch hinein, weil sie Geld holen muss. Als einige Tage später die 12-jährige Tochter der Frau entführt wird, steht für die Polizei schnell fest: Jeff Sutton ist der Täter. Es gibt einen einzigen vermeintlichen Beweis, einen Fingerabdruck, den Sutton im Haus der Frau hinterlassen hat. Spuren, die ihn entlasten könnten, werden von der Polizei ignoriert oder vernichtet, Zeugen werden zu Aussagen bewegt, die den Verdacht gegen ihn erhärten. Er verbringt seine Untersuchungshaft abgeschirmt im Todestrakt des Gefängnisses, damit die anderen Häftlinge den angeblichen "Kinderschänder" nicht schon vor dem Prozess töten.

Levisons Roman ist eine Vivisektion des amerikanischen Rechtssystems aus der Sicht eines Justizopfers. Der Taxifahrer ohne Lobby und gesellschaftlichen Status ist der ideale Verdächtige. Die Öffentlichkeit verlangt nach Ermittlungsergebnissen, der Staatsanwalt will einen Erfolg um jeden Preis. In der Erfahrung von Jeff Sutton sind die Grundprinzipien des Rechts auf den Kopf gestellt: "Die wollten den richtigen Täter gar nie finden, die wollten nur jemanden, der es gewesen sein könnte und der weder über die Mittel noch über die Beziehungen verfügt, einen Wirbel zu veranstalten."

Als Leser erlebt man Jeff Suttons Fall im Kopf des zu Unrecht Beschuldigten. Knapp und trocken erzählt er seine Geschichte, mit sarkastischen Untertönen, aber deutlich weniger ironisch als in früheren Romanen dieses Autors. Iain Levison ist ein Schotte, der seit 40 Jahren in Amerika lebt. Trotz seines Hochschulabschlusses hat er sich jahrelang mit einfachen Gelegenheitsjobs über Wasser halten müssen. Die Erfahrung, als Angehöriger der working poor wie Dreck behandelt zu werden, kehrt in allen seinen Büchern wieder, ob er nun von einem "Fachmann für bewaffnete finanzielle Umverteilung" erzählt ("Tiburn") oder von einem Arbeitslosen, der seinen Stolz und seine Würde erst wiederfindet, als er eine neue Arbeit aufgenommen hat: als Auftragskiller ("Betriebsbedingt gekündigt").

Iain Levisons Romane sind eine neue Variante einer engagierten Prosa, allerdings ohne Thesenhaftigkeit oder Larmoyanz. Böse und paradox geht es zu in Levisons Büchern, auch in seinem neuen Roman, wenn nach der Verurteilung des unschuldigen Jeff Sutton eine neue Hoffnung aufzukommen scheint. Was von Hoffnungen in seinem Fall zu halten ist, darüber informiert allerdings schon der Romantitel.

Besprochen von Frank Meyer

Iain Levison: Hoffnung ist Gift,
aus dem Englischen von Walter Goidinger,
Deuticke Verlag, Wien 2012, 256 Seiten, 17,90 Euro