Der syrische Schriftsteller Khaled Khalifa

"Das Leben wächst direkt neben dem Tod"

Der Konmtrollpunkt Wafideen vor Damaskus
Khaled Khalifa will trotz des Krieges in Syrien bleiben. © AFP / Stringer
Khaled Khalifa im Gespräch mit Frank Meyer · 15.05.2018
Trotz des Krieges harrt Khaled Khalifa in Syrien aus. Er habe nicht nur Leid, Qual und Tod, sondern auch viel Menschliches erlebt. Und das gebe ihm Kraft und die Hoffnung auf ein friedliches und demokratisches Syrien, sagt der Schriftsteller.
Frank Meyer: Der Schriftsteller Khaled Khalifa lebt in Syrien, in Damaskus, er lebt noch immer in dem Bürgerkriegsland, obwohl der Großteil seiner Freunde und seiner Familie das Land inzwischen verlassen hat und obwohl das Assad-Regime die meisten seiner Bücher verboten hat. Früher war Khalifa in Syrien ein gefeierter Autor, heute muss er sich seine Verleger in Beirut oder Kairo suchen. Auch sein Roman "Der Tod ist ein mühseliges Geschäft" wurde in Syrien nicht veröffentlicht. In Deutschland ist das Buch vor Kurzem erschienen, und der Autor ist gerade auf Lesereise bei uns. Ich habe vor der Sendung mit ihm gesprochen und ihn zuerst gefragt: Wie war das denn jetzt für Sie, aus Syrien nach Deutschland zu kommen? Eine normale Reise ist das ja sicher nicht.
Khaled Khalifa: In der Regel ist es ja so, wenn ich eine Einladung bekomme, dann werde ich einigermaßen faul und sage, was soll ich jetzt machen. Die Tatsache, dass ich darüber nachdenke und sage, wo geht's denn hin, komme ich jetzt wieder in mein Zuhause, oder verlasse ich das Zuhause ins Ungewisse. Zum Beispiel verließ ich diesmal mein Haus um sechs Uhr morgens Richtung Beirut. Ich musste die syrisch-libanesische Grenze überschreiten und dann zum Flughafen. Und jeder Syrer, jede Syrerin denkt bis heute, dass der Pass natürlich gestempelt wird, dass man überhaupt ausreichen darf, und denkt, oh, bekomme ich die Einreisegenehmigung oder nicht. Denn viele werden ja gesucht. Dann, wenn man so weit ist, dass man tatsächlich an der Grenze steht, braucht man dafür einen Ausreisestempel, eine Ausreisegenehmigung. Und manchmal wird man zurückgeschickt, wie es mir 2013 passiert ist, als man mir verbot, ins Ausland zu reisen. Also, nach der Grenze wird man auch vernommen von anderen Behörden, wenn man im Libanon ist. Man fragt nach dem Visum, man fragt nach der Gültigkeit und Richtigkeit und Echtheit des Passes, denn man fragt sich, ein Syrer mit einer Einreisegenehmigung für fünf Jahre, das ist ja ungewöhnlich für einen Syrer – so geht es mir zum Beispiel. Und am Flughafen, also in Beirut, schaut uns der Beamte an und fragt sich, der will nach Deutschland, also ein Flüchtling. Das ist ein neues Flüchtlingsprojekt. In Istanbul wiederholt sich das gleiche Schicksal. In Berlin ist es nicht anders. Wenn man am Flughafen ankommt in Berlin, schauen sie einen an – ein Syrer mit einem syrischen Pass, und der hat sogar eine Einreisegenehmigung, das ist nicht so gewöhnlich. Also ich nehme das mit Leichtigkeit alles hin und habe mich inzwischen daran gewöhnt.

Mit dem toten Vater quer durch Syrien

Meyer: Ihr Roman erzählt ja auch von einer Reise durch Syrien, ihr Roman "Der Tod ist ein mühseliges Geschäft", und das ist eine Reise, die man sich von uns aus kaum vorstellen kann, wovon sie da erzählen. Im Jahr 2015 fahren drei Geschwister mit dem Leichnam ihres toten Vaters durch das Land, von Damaskus bis in den Norden. Das ist normalerweise eine Fahrt von ein paar Stunden. Hier in Ihrem Buch dauert die Reise vier Tage. Die drei Geschwister werden immer wieder aufgehalten an Checkpoints, bei Regierungstruppen, bei Rebellen, bei Islamisten. Manchmal müssen sie warten, weil gerade gekämpft wird auf der Straße vor ihnen. Einmal wird sogar die Leiche verhaftet an so einem Checkpoint. Und in diesen Tagen löst sich dieser Leichnam auf, die Verwesung setzt ein, der Leichnam löst sich immer mehr auf in diesem Auto. Wie sind Sie denn auf diese Konstellation gekommen, diese Reise einer Leiche durch Syrien?
Khalifa: Ich erzähle vielleicht den Hintergrund dieses Romans. 2013 hatte ich einen Herzinfarkt. Ich lag in einem Krankenhaus ungefähr 500 Meter entfernt von den Kämpfen, und dieses Krankenhaus wurde ständig auch beschossen durch die Truppen der Regierung, und zwar fünf Jahre lang. Und ich bin auf die Idee gekommen, was passiert mit meinem Leichnam, wenn ich jetzt hier sterbe, was macht meine Familie mit meinem Leichnam? Sie werden wahrscheinlich drüber nachdenken, wie sie mich jetzt in mein Dorf bringen, wo sie mich dort begraben würden. Ich muss sagen, dass innerhalb von fünf Minuten die Idee des Romans fast vollständig in mir, meinem Kopf. Und als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, habe ich nur noch an diesen Roman und an die Einzelheiten des Romans gedacht. Meine Freunde haben mir gesagt, ich soll unbedingt diesen Roman niederschreiben, denn wenn ich nicht schreibe, wird dieser Roman mich zu Tode quälen. Und deswegen wollte ich eigentlich diese über Bulbul schreiben. Das ist nur ein Vorwand. Das ist eine Person, die mich 20 Jahre lang begleitete, und ich habe ständig an die Angst dieser Person gedacht.
Meyer: Bulbul ist einer dieser drei, einer der Söhne. Das ist ein ziemlich angepasster Mensch, ein ängstlicher Mensch, vielleicht kann man auch feige sagen, der sich versteckt in einem Viertel in Damaskus, in dem sonst regierungstreue Menschen leben. Er gilt da als verdächtig von vornherein, weil er aus der falschen Gegend in Syrien kommt, aus einer eher oppositionellen Gegend. Auch die anderen beiden Geschwister sind eher angepasste, vorsichtige, vielleicht feige Menschen. Warum haben Sie drei solche Charaktere in den Mittelpunkt des Romans gestellt?
Khalifa: Die vorherrschende Eigenschaft der Charaktere, der Menschen in Syrien unter der Diktatur ist die Angst. Dieses Merkmal führt dazu, dass man in der Tat sich opportunistisch verhält. Der Mensch hat viele Gesichter, und das Leben schmeckt auch anders. Denn es ist nicht einfach, am Leben zu bleiben unter der Diktatur. Und Bulbul hat Angst vor allem, auch vor der Liebe zum Beispiel. Ich habe nicht vor, eine syrische Figur zu produzieren in meinen Romanen, ich möchte einen Menschen produzieren. Bulbul ist überall. Bulbul ist ein Teil von mir. Auch fast alle Syrer, meine Freunde, haben etwas Bulbul auch in sich. Die Leserinnen und Leser genauso. Aber auch Freunde aus Italien, aus den USA sagten mir das gleiche. Und ich kann sagen, dass die einzige Figur, die in einer Balance gelebt hat in dem Roman, ist der Leichnam.

Ich sympathisiere mit dem Widerstand gegen das Regime

Meyer: Genau, die Leiche des toten Vaters. Dieses Buch konnte nicht in Syrien erscheinen. In Beirut ist es herausgekommen. Haben Sie von Lesern in Syrien gehört, die sich das Buch besorgt haben, die in dem Buch vielleicht ihre eigenen Erfahrungen im Bürgerkrieg wiedergefunden haben?
Khalifa: Dieser Roman wurde in der Presse ziemlich viel besprochen, und das ist nicht gewöhnlich für einen arabischen Roman. Zum Beispiel wurden mehr als 60 Artikel über diesen Roman geschrieben in der arabischen Presse. Hunderte von Briefen bekam ich von den Leserinnen und Lesern. Viele Ideen und Gedanken waren in diesen Briefen zu lesen beziehungsweise in diesen Artikeln über den Roman. Manche haben gesagt, die Leiche ist eine Verkörperung Syriens. Ich meinerseits habe das nicht so gemeint in dem Roman. Aber ich habe die Lesart dieses Romans auch zur Kenntnis genommen.
Meyer: Wenn man das Buch liest, wird ganz klar, dass der Autor das Assad-Regime ablehnt, also dass Sie dieses Regime ablehnen, dass Sie viel eher mit den Rebellen sympathisieren, so wie Sie die Vorgänge darstellen in dem Buch. Einmal gibt es zum Beispiel einen Überfall von Geheimdiensttruppen Assads auf eine Demonstration, bei dem viele Demonstranten niedergeschossen werden. Das so darzustellen, bringt Sie das nicht in Gefahr in Syrien?
Khalifa: Ich kann nicht sagen, dass ich mit der Opposition sympathisiere. Ich sympathisiere mit dem Widerstand. Schon von Anfang an war es so. Syrien verdient es, ein demokratisches Land zu werden. Was mich persönlich betrifft und meine Ängste – die Frage stellte sich immer wieder seit 2011 und vor allem, nachdem viele Freundinnen und Freunde von mir Syrien verlassen haben, in Europa und andere Länder ins Exil, habe ich nämlich den Beschluss gefasst, und ich halte diesen Beschluss nach wie vor für richtig, in Syrien zu bleiben. Und mit diesem Beschluss war ich bereit, jeden Preis dafür zu zahlen. Diese Entscheidung ist eine persönliche Entscheidung. Ich habe Angst vor dem Leben im Exil, und ich hatte und habe immer noch viele Schwierigkeiten, und es war nie leicht und einfach während dieser sieben Jahre, dort zu leben. Aber mit dem Schreiben hatte ich meinen Trost. Die Frage, die ich mir immer wieder gestellt habe, ist nämlich eine andere Frage. Was bedeutet für mich als Schriftsteller, dort zu leben in Sicherheit? Weil ich einigermaßen bekannt bin, habe ich Beziehungen zu anderen Schriftstellerkollegen, zu Verlagshäusern, zu anderen Menschen weltweit, was bedeutet, dass während mein Volk, meine Freundinnen und Freunde darunter leiden. Also ich denke seit dem Ausbruch der Krise in Syrien anders. Und ich sage, keiner von uns kommt heil da raus. Und ich denke, eines Tages werden wir lange und viel zu diskutieren haben über diese Jahre.
Meyer: Sie haben auch erzählt in Essays, dass so viele weggegangen sind, so viele Ihrer Freunde, auch so viele aus Ihrer Familie, dass es ganz leer um Sie herum geworden ist in Syrien. Wie lebt es sich da für Sie mit dieser Leere?
Khalifa: Ich habe die Fähigkeit, neue Freunde zu finden. Von meinen alten Freunden sind nur noch drei Personen zurückgeblieben. Und wir alle denken gleich darüber und sagen, wir bleiben da, auch wenn wir den teuersten Preis dafür bezahlen, nämlich das Leben. Diese dankbaren Blicke, vor allem der Jugend, wenn ich ihnen begegne auf der Straße, das ist eine große Genugtuung für mich. Denn ich bin bei ihnen geblieben, und das hilft mir persönlich auch.

Hoffnung trotz Krieg und Leid

Meyer: Ihr Roman endet nach dieser Reise des Leichnams quer durch Syrien mit einem Schluss, der – also ich habe ihn als ganz hoffnungslos empfunden. Da kehrt einer der Söhne des Toten, das ist eben dieser Bulbul, über den wir gesprochen haben, der kehrt zurück nach Hause, nach Damaskus, und dann heißt es über ihn: "Er verkroch sich im Bett. Eine Riesenratte, die in ihren kalten Bau zurückgekehrt ist, ein Wesen, das niemand braucht und dessen man sich ohne Mühe entledigen kann." Ein anderer als dieser hoffnungslose Schluss, wäre der verlogen für Sie, falsch für Sie angesichts der verzweifelten Lage in Syrien?
Khalifa: In der Tat, Sie haben es richtig gesagt, die Hoffnungslosigkeit ist in dem Augenblick sehr präsent. Aber, was ich auch denke, ist, dass das nicht von Dauer sein wird. Das Leben reproduziert neue Gesetze, auch neue Regeln. Innerhalb oder im Laufe dieser sieben Jahre Krieg in Syrien habe ich sicherlich viel erlebt – Tod, Qual und Leiden, Zerstörungen und Bombardierungen und den Krieg insgesamt. Aber ich habe auch Menschliches erlebt, viel Menschliches. Und die Kraft bei den Menschen, das Leben wiederherzustellen, das habe ich auch gespürt, und das gibt mir eine persönliche Hoffnung. Aber diese persönliche Hoffnung muss natürlich wachsen. Das heißt, Bulbul muss die Tür seiner Wohnung aufmachen und auf die Straße gehen, ohne Angst, damit die Hoffnung wächst. Und ich habe viele, Tausende von Geschichten und Erzählungen über die Kraft des Lebens. Und das Leben wächst direkt neben dem Tod. Eine ungewöhnliche Idee, man kann sie kaum beschreiben, vielleicht nur derjenige, der sie erlebt. Ich spüre das Bedürfnis in mir, Mittel zu finden, um diese Geschichten niederzuschreiben. Ich hoffe, dass es mir eines Tages gelingt.
Meyer: Und können Sie sich für diese Hoffnung, von der Sie sprechen – und ich freue mich zu hören, dass Sie von dieser Hoffnung sprechen können, da Sie in Damaskus, in Syrien leben, können Sie sich denn eine gesellschaftliche Form zurzeit vorstellen, eine politische Form, in der es wieder besser wird in Syrien?
Khalifa: Was ich mir vorstelle und wünsche für Syrien, und das verdient Syrien auch, ein Land ohne Angst, ein demokratisches Land, ein zivilisiertes Land, ein freies Land. Dass Syrien ein Teil der Menschheit wird, dass Syrien Kultur, Literatur und Wissen für die Menschheit produziert. Vor dem Krieg, vor der Revolution hatten wir das Problem, wie werden wir dieses Regime los. Heute haben wir mehr Probleme. Jetzt haben wir das Problem zum Beispiel, das Regime loszuwerden, und die ausländischen Besatzungen überall.
Meyer: "Der Tod ist ein mühseliges Geschäft", so heißt der Roman von Khaled Khalifa. Bei uns ist er im Rowohlt-Verlag erschienen mit 220 Seiten. 20 Euro ist der Preis. Khaled Khalifa wird heute Abend in Rostock aus seinem Roman lesen, morgen wird er das Buch dann in Zürich vorstellen, danach noch in Basel. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Khalifa: Vielen Dank!
Meyer: Und vielen Dank auch an Mustafa AL-Slaiman, er hat unser Gespräch übersetzt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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