Der "Sprachzermanscher"

Thomas Brussig im Gespräch mit Katrin Heise · 17.05.2011
Es werde manchmal fast vergessen, dass der Sänger Udo Lindenberg der Republik mehr beschert habe als "nur die Erschaffung der Figur Udo Lindenberg". Er habe einen "Weg gefunden, die deutsche Sprache rockbar zu machen", sagt der Schriftsteller Thomas Brussig anlässlich des 65. Geburtstags von Lindenberg.
Katrin Heise: Da versammeln sich: Rudi Ratlos, Elli Pyrelli, Bodo Ballermann – einige der von Udo Lindenberg erfundenen Figuren, wer kennt nicht den "Sonderzug nach Pankow" oder die "Andrea Doria", das "Mädchen aus Ostberlin"! Udo Lindenberg, der größte deutsche Nuschler, der Panikpräsident, wird heute 65. Seine Lieder handeln vom politischen Ganzen bis zum privaten Zwischenmenschlichen, er ist ein Lebemann, und in vielen Liedern beschreibt er seine Alkoholprobleme, behandelt die politischen Fragen, die ihn sein Leben lang verfolgten nicht nur im Lied, sondern engagiert sich darüber hinaus auch für seine Vision einer multikulturellen Gesellschaft.
Hinterm Horizont geht's munter weiter, das Udo-Lindenberg-Musical "Hinterm Horizont", das seit Januar in Berlin läuft, rechnet morgen – also fast pünktlich zu Udos 65. – mit dem 200.000. Zuschauer. Das ist ein tolles Geburtstagsgeschenk, ein Riesenerfolg, und mitgewirkt daran hat der Schriftsteller Thomas Brussig, den wir kennen durch seine Bücher, unter anderem "Helden wie wir" oder "Am kürzeren Ende der Sonnenallee". Thomas Brussig hat das Buch zum Musical geschrieben. Ich grüße Sie, Herr Brussig!

Thomas Brussig: Guten Morgen!

Heise: Was wünschen Sie Udo Lindenberg zum 65.?

Brussig: Ja, lieber Udo, die gewöhnliche Zeitrechnung, da stehst du drüber, aber uns gemeinen Menschlingen, wir haben nichts anderes. Deshalb wünsche ich dir zum 65. Geburtstag, dass es so voller Saft und Kraft weitergeht wie in den letzten Jahren, dass du weiterhin immer für Unruhe und Bewegung sorgst und all die Plätze aufmischst, an denen du auftrittst!

Heise: Aufmischen, für Unruhe sorgen, das waren jetzt so die Worte, die Sie gesagt haben. – Wie ist denn das, wenn man Udo Lindenberg privat begegnet?

Brussig: Also bei mir war natürlich auch immer eine Menge Ehrfurcht dabei, es ist schon klar, da ist eine lebende Legende, mit der man es hier zu tun hat. Aber über der Arbeit und den Projekten kann ich das dann auch irgendwie vergessen und dann hat man es mit einem sehr angenehmen und zielstrebigen Partner zu tun, der schon weiß, wovon er redet.

Heise: Eben fiel in den Sätzen, die er selber in seinem Porträt, in seiner Gratulation sagte, immer wieder mal so Sponti, spontan. Aber Sie sagen jetzt zielstrebig, passt das zusammen?

Brussig: Das passt schon zusammen. Also da ist eine Unberechenbarkeit in dem, was er tut, aber es ist keine Willkür. Und es ist jetzt auch nicht so, dass er so die Macht auskostet, Leute von links nach rechts zu schubsen oder so, also da würde dann wahrscheinlich auch keiner, der irgendwie Format hat, dann auch mit ihm arbeiten wollen. Aber das Gegenteil ist ja der Fall, er schafft es ja auch immer wieder, richtig gute Leute an sich zu binden und mit ihnen zusammen was zu machen. Also hier der Uli Waller eben, der Regisseur des Musicals "Hinterm Horizont", ist eben auch ein langjähriger Freund von Udo.

Heise: Was haben Sie, der 1964 in Berlin geboren wurde, mit Udo Lindenberg verbunden? War es da vor allem sein "Mädchen aus Ostberlin"?

Brussig: Nein, es war natürlich viel mehr. Es war eine Respektlosigkeit, so ein antiautoritärer Gestus, aber eben auch, wie er die deutsche Sprache rockbar gemacht hat, also wie er sie in die Rockmusik eingeführt hat, indem er sie da eben zerdehnt hat und damit eben also rumgespielt hat, diese Wortspielereien, diese kalkulierten Lässigkeiten. Und wie er so die Sprache zermanscht hat, dass man sie, alsodass man diese hehre deutsche Sprache eben auch in dieser niedrigen Rockmusik verrocken konnte, verwenden konnte, dass sie da eine Ehrlichkeit hatte, das war wirklich was Besonderes. Und ich glaube, das ist auch wirklich seine Lebensleistung oder seine Leistung als Künstler. Man vergisst ja fast also, dass Udo Lindenberg uns mehr beschert hat als nur die Erschaffung der Figur Udo Lindenberg, also dieser Mann mit Sonnenbrille und Hut, sondern er hat wirklich mit der, wie er mit der deutschen Sprache umgegangen ist und wie er da einen Weg gefunden hat, die deutsche Sprache rockbar zu machen, das ist nicht ganz ohne.

Heise: Sie haben beide – Sie und Herr Lindenberg – die Carl-Zuckmayer-Medaille für Verdienste um die deutsche Sprache bekommen. Das heißt, Sie fühlen sich da in einer guten Reihe?

Brussig: Ja.

Heise: Wenn Sie davon sprechen, die deutsche Sprache rockbar gemacht ... Ich meine, das war, in der DDR war der Rock ja deutsch, wurde der Rock deutsch gesungen.

Brussig: Ja, das war einfach eine andere Sprache, die da gesungen hat. Also da haben dann so ausgewiesene Lyriker eben Rockmusiktexte geschrieben. Da hatte Udo einen ganz anderen Ansatz, also indem er da wirklich Slang, Alltagssprache, Straße und auch eben so dieses ... Ich sage immer, der hat so dieses stundenlange Rumsitzen im Tourbus, also wenn da so Musiker sich immer so hin und her, dieses Hin- und Her-Gemotze, das ist ja auch eine Art von Kreativität, von Schlagfertigkeit und auch von Geist. Also es ist nicht der hohe Geist, aber so was Geistvolles hat es schon. Und das irgendwie in die Texte zu bringen und so eben diese Zeit in den Bussen nicht umsonst rumgesessen zu haben, sondern damit auch was angefangen zu haben, das ist eben die Leistung von Udo Lindenberg.

Heise: Er hat schon sehr früh von seinen Freunden in der DDR gesungen. Haben Sie sich da ernst genommen gefühlt und auch es ernst gemeint gefühlt?

Brussig: Ja, also das ist sowieso so ein Rätsel bis heute. Udo Lindenberg hat zum Zeitpunkt der Karriere, wo jeder andere westdeutsche Musiker nach Übersee geschielt hätte und nun eben da sozusagen dort den zweiten Karrierestart hingelegt hätte oder eben die weltweite Karriere gestartet hätte, an dem Punkt hat er sich für die DDR interessiert und hat sozusagen ein Publikum ernst genommen oder um ein Publikum gebuhlt, an dem er eigentlich nichts verdienen konnte. Und er hat eben immer diese DDR-Tournee gewollt. Er hat sie nie gekriegt, er hat sie eigentlich, erst nach dem Ende der DDR hat er sie gekriegt. Und das ist wirklich was Besonderes, also da war er einer, der an der deutschen Teilung gelitten hat und eben nicht nur so sonntagsredenmäßig die deutsche Teilung thematisiert hat, sondern er hat dafür in den 80er-Jahren wirklich bezahlt, indem er also seine Lebenszeit zur Verfügung gestellt hat, um diese Tournee zu organisieren, und es hat aber nie geklappt ...

Heise: ... die nicht stattfand. 83 war er im Palast der Republik. Wären Sie gern da gewesen?

Brussig: Na klar wär ich gern da gewesen. Also ich war auch, ich war vorm Palast und bin wie Zehntausende andere nicht reingekommen. Aber es war ein besonderer Tag, das war so wie die Landung der Außerirdischen und der Papst gleichzeitig auf dem Marx-Engels-Platz!

Heise: Zum 65. von Udo Lindenberg gratuliert der Schriftsteller Thomas Brussig. Herr Brussig, Sie sind ja jetzt nicht durch Musicals bekannt geworden und sind dann angerufen worden. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit zwischen Udo Lindenberg und Ihnen für das Musical?

Brussig: Ich glaube, das hat tatsächlich mit dieser Carl-Zuckmayer-Medaille zu tun. Also ich war als voriger Preisträger zu der Preisverleihung von Udo eingeladen und da haben wir uns eben kennengelernt. Und ich hab ihm da ein paar nette Sachen gesagt und offenbar war ich da auf seinem Radar erst mal. Er hat mich dann ein paar Monate später angerufen, und wenn Udo anruft, da kannst du nicht sagen irgendwie, ich hab jetzt was Besseres zu tun oder will ich nicht oder so, da machst du auch mit, wenn es um ein Musical geht!

Heise: Wie war die Zusammenarbeit denn? – Ich habe was von stundenlangen Spaziergängen gelesen ...

Brussig: Ja, Peter Zadek hat in seiner Biografie gut beschrieben, wie sich das so mit Udo Lindenberg arbeitet. Bei mir war es auch nicht viel anders. Also wir haben uns dann in Hamburg getroffen und dann hat mich sozusagen der König dann erst mal durch sein Reich geführt. Also wir wanderten die Alster entlang und es ging immer: Hi, Udo! – Hi! Und so. Also wir sind da gar nicht so richtig zum Reden gekommen, weil er in Hamburg – wie ich es auch nicht anders erwartet habe – bekannt ist.

Heise: Wie ein bunter Hund wahrscheinlich, aber das wäre ihm hier sicherlich auch passiert. – Aber dann war das so ein Geben und Nehmen, oder wie? Sie hatten vorhin von Ihrer Ehrfurcht gesprochen.

Brussig: Er hatte bestimmte Vorstellungen, und er hatte aber auch vor allem auch einen richtig schönen Fundus an Songs. Also das war eigentlich die schönste Seite der Arbeit, alsodass ich mich mit seinen Songs noch mal beschäftigen musste, zwangsweise.

Heise: Erinnert sich der Schriftsteller Thomas Brussig zum 65. Geburtstag von Udo Lindenberg, vielen Dank! Thomas Brussig schrieb das Buch zum Lindenberg-Musical "Hinterm Horizont".
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