Der Schurke war schlauer als der Sheriff

Von Reinhard Kreissl · 11.09.2006
In den Tresoren der Traumfabrik lagen bereits die Drehbücher für dieses Szenario, als die Realität der Fiktion zuvor kam. Hollywood hielt sich zurück, Katastrophenfilme, in denen das World Trade Center zum Angriffsziel filmgerechter Dunkelmänner wurde, erschienen nicht mehr passend und - wenn man es zynisch betrachtet - in gewisser Weise auch überflüssig, denn der Präsident der Vereinigten Staaten handelte wie die Helden der Leinwand und deklarierte den Akt unmittelbar als eine Kriegserklärung an die amerikanische Nation.
Nur, das Szenario passte nicht. Es gab keinen gleichrangigen Gegner, kein anderer Staat hatte die territoriale Souveränität der Vereinigten Staaten verletzt. Der Angriff war im Niemandsland zwischen gemeingefährlicher Kriminalität und außenpolitisch zu bearbeitender Bedrohung angesiedelt. Doch das Pathos der Rhetorik erhob die Angreifer in den Rang gleichwertiger Gegner. Das war der erste Fehler. Eine völlig verwirrte und aufgescheuchte Nation, umringt von einer erstarrten Weltöffentlichkeit suchte nach einer Reaktion auf dieses schockierende Ereignis. Die schnell zusammengeschusterte Interpretation vom Krieg gegen den Terror löste dann mit einer gewissen Zwangsläufigkeit eine Reihe weiterer Schritte aus, die alle dem Muster der alten Kriege folgten und in einer für Amerika typischen Art inszeniert wurden: Als Modell diente das Duell zwischen dem Guten und dem Bösen. Mit grobschlächtiger Hemdsärmligkeit, gerade den kolonialen Kinderschuhen entwachsen, pflanzte sich hier der Held auf, der seinen Gegner suchte. Der aber ließ sich nicht blicken. Wilde Schießereien schlossen sich an. Afghanistan und Irak waren die Zielscheiben dieser großspurigen Schießübungen.

Im Eifer der Gefechte übersah man, dass dieser Gegner eine Strategie verfolgte, der mit militärischen Mitteln nicht beizukommen ist. Und sie scheint aufzugehen. Es ist zum einen die alte Strategie des Terrorismus und der Guerilla. Unberechenbare Angriffe aus dem Hinterhalt sollen verunsichern und Verwirrung stiften. Es ist zum anderen der souveräne Umgang mit der globalen Informationsindustrie. Osama bin Laden und der Islamismus haben den Status von Mickey Mouse und Coca Cola erreicht. Omnipräsente künstliche Ikonen, Medienprodukte, Markennamen, virtuelle Objekte, die ihr bedrohliches Image und ihren festen Platz in den Köpfen des weltweiten Publikums erobert haben. All das dank der Dramatisierung, die darauf zielte, die vermeintliche Bedrohung auszulöschen.

Betrachtet man die Entwicklung mit gebotener Distanz, dann bekommt das Ganze eine bösartige paradoxe Logik. Die Schritte der von den Vereinigten Staaten angeführten internationalen Politik haben genau das Gegenteil des offiziell erklärten Ziels erreicht. Afghanistan ist nicht befriedet und der Irak hat sich vermutlich zu dem entwickelt, was er ziemlich sicher vorher nicht war: eine Brutstätte des internationalen Terrorismus. Die vom amerikanischen Präsidenten ausgegebene Losung, dass wer nicht für uns, gegen uns ist, hat Wirkung gezeigt. Inzwischen ist eine nicht unerhebliche Zahl von Muslimen aktiv gegen uns.

Damit ist es gelungen, den Terror in den Westen zu tragen und es genügen gelegentliche Aktionen nach terroristischem Strickmuster, die sich islamistisch nennen, um dort ganze Länder in Hysterie zu versetzen, den Alltag lahm zu legen und die letzten Fesseln rechtsstaatlicher Ordnung zu lösen. Der Terrorismus hat also ein wesentliches Ziel erreicht. Während eine hochgerüstete Militärmaschine der westlichen Allianz sich im Mittleren Osten weiter ins Verderben bombt und von den vor Ort agierenden Widerstandskämpfern in jeden Hinterhalt gelockt wird, sinkt scheinbar mit jeder Meldung über neue Offensiven des Westens die Schwelle der Gewaltbereitschaft. Man könnte aber auch sagen, dass mit jeder Eskalation der militärischen Konfrontation das Ausmaß der Missachtung des Westens deutlicher sichtbar wird, was immer mehr – zumeist junge, zumeist männliche – Aktivisten in die Arme der militanten Radikalen treibt.

Wer sich als Guter hinstellt, und dem Anderen unwiderruflich in Schwarz-Weiß-Manier die Rolle des Bösen zuschreibt, der darf sich nicht wundern, wenn der die Chance, die ihm verwehrt wird, auf seine Weise nutzt. In Hollywood zieht der Gute am Ende seinen Colt meist schneller. Soweit verlief der Krieg gegen den Terrorismus auch noch nach dem Drehbuch des Western. Aber das Böse wurde nicht tödlich getroffen, es ist unsichtbar und immer noch da. Das Szenario der Traumfabrik scheint sich in der Realität zum Albtraum auszuwachsen. Der Schurke war schlauer als der Sheriff und die wohlhabenden Bürger des globalen Dorfes sitzen heute, fünf Jahre nach High Noon ratlos zitternd in ihren Behausungen.

Dr. Reinhard Kreissl, geboren 1952, ist Soziologe und Publizist. Studium in München, Promotion in Frankfurt/Main. Habilitation an der Universität Wuppertal. Kreissl hat unter anderen an den Universitäten San Diego, Berkeley und Melbourne gearbeitet. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen verfasst und schrieb regelmäßig für das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung". Letzte Buchpublikation: "Die ewige Zweite. Warum die Macht den Frauen immer eine Nasenlänge voraus ist".