Der Schrecken des Krieges

01.11.2011
In seinem Debütroman berichtet Michel Bozikovic von Verletzungen, die eine menschliche Seele erleidet, wenn sie aus dem Lot geraten ist - hervorgerufen durch Krieg, Hass oder eine enttäuschte Liebe. Das Ende des Romans ist versöhnlich und allein dadurch schon eine Überraschung.
Michel Bozikovics Debütroman "Drift" ist ein aufrüttelndes Buch über Krieg, der mit Waffen geführt wird und über den inneren Unfrieden eines Menschen, der einen Krieg gegen sich selbst führt. Bis zum Schluss verschwimmen die Grenzen zwischen den beiden vermeintlichen Hauptfiguren auf kunstvolle Weise.

Kroatien, Anfang der 90er-Jahre. Als Hauptpersonen führt Bozikovic Julien und Martin ein: Julien ist 19 Jahre alt und wurde gerade von seiner Freundin verlassen. Kurz entschlossen fährt er an die Front im zerfallenden Jugoslawien. Fanatisch stürzt er sich in den Krieg, wird Scharfschütze und erlebt mit seinen Schicksalsgenossen einen menschenverachtenden, apokalyptischen Krieg.

Die zweite Romanfigur ist Martin, alkohol- und rauschgiftsüchtiger Möchtegern-Schriftsteller, der von seiner Geliebten vor die Tür gesetzt wurde. Nun, ein paar Jahre nach dem Krieg, scheint es so, dass Martin ein Buch über Juliens Erlebnisse schreiben will, und er stößt auf immer mehr Gemeinsamkeiten mit Julien, dessen Waffengang geradezu erstaunliche Parallelen zu Martins innerem Unfrieden aufweist.

Sehr gewöhnungsbedürftig ist die Sprache über weite Strecken des Romans. Michel Bozikovic gibt Juliens Erlebnisse in der dritten Person - man - wieder. Offenbar will er so zeigen, wie sehr sich Julien darum bemüht, die traumatischen Kriegsgeschehnisse auf Distanz zu halten. Das gelingt auch, allerdings bremst dieses Stilmittel den Lesefluss gewaltig, und man fragt sich, ob es diesen Preis wert ist.

"Drift" ist kein Buch für zarte Gemüter, die Kriegserlebnisse des Scharfschützen Julien und die Selbstmordgedanken des süchtigen Martin lassen einen erschauern. Grausam verstümmelte Folteropfer werden ebenso beschrieben wie die Versorgung Schwerstverwundeter, aber auch Martins Drogenkonsum und seine Vorbereitungen zu einem geplanten Selbstmord.

Michel Bozikovic geht es in "Drift" nicht um einen realistischen Bericht über den Krieg; wo die Frontlinien verlaufen sind, interessiert den Autor nur am Rande und kroatische Städtenamen tauchen nur hin und wieder auf. Das Hauptaugenmerk des Autors gilt den Verletzungen, die eine menschliche Seele erleidet, wenn sie aus dem Lot geraten ist - hervorgerufen durch Krieg, Hass, enttäuschte Liebe oder durch Selbsthass.

Zur Schau gestellte Stärke hält einer echten Überprüfung nicht stand und verkommt dabei zur plumpen Kraftmeierei. Um wessen Seele ist es eigentlich schlimmer bestellt, muss sich der Leser immer wieder fragen: um die des mordenden Scharfschützen, für den eine kurze Unachtsamkeit den Tod bedeuten kann oder um die des zügellosen Rauschgiftkonsumenten, der seine Dosis stetig steigert, aber ständig in der Angst lebt, die nächste Dosis könnte eine Überdosis sein?

Das Ende des Romans ist versöhnlich und allein dadurch schon eine Überraschung. Es ist aber auch der geradezu logische Schluss eines streckenweise verwirrenden Textes, aber allein dieses Ende ist das Buch und damit so manche mühsam gelesene Passage wert.

Besprochen von Roland Krüger

Michel Bozikovic: Drift
Tropen Verlag, Stuttgart 2011
319 Seiten, 19,95 Euro