Der schöne Schein von Versailles

27.12.2012
Prunkvoll und berauschend, so kennt man das Leben im Schloss des Sonnenkönigs, in Versailles. Jetzt hat der renommierte Historiker Michael Erbe eine Alltags- und Sozialgeschichte in Form eines Hörbuches vorgelegt, das neue Einblicke jenseits von Glanz und Gloria auf den berühmtesten der Herrschersitze der Neuzeit erlaubt.
Es gibt eine schöne Geschichte gleich zu Anfang: Im August 1661 lud Finanzminister Nicolas Fouquet König Ludwig XIV. zu einem opulenten Fest. Er wollte seinem jungen König vorführen, wie ein Herr, wie ein Seigneur, zu feiern wusste. Sein Ehrengast war von Glanz und Aufwand sehr beeindruckt – leider nicht im Sinne des Hausherrn, denn Ludwig nahm die bekannten Gerüchte, Fouquet habe sich im Amt enorm bereichert, plötzlich sehr ernst. Mit der Folge, dass Fouquet nach einem nicht ganz sauberen - eben: absolutistischen - Prozess im Gefängnis landete. Ludwig nahm Fouquets Schloss zum Vorbild und baute sich diese Anlage noch größer. Michael Erbe schreibt:

"Nach der Verurteilung des gestürzten Ministers übernahm er die reichhaltige Innenausstattung des Schlosses und sie gelangte später in seinen neuen Palast."

Diese Anekdote beleuchtet den Geist, aus dem Versailles entstanden ist: Es ist der Geist des Absolutismus. Der junge König Ludwig XIV. suchte nach einer Form, in der er sich und seine Herrschaft darstellen konnte. Und er wollte die ganz große Form – nach den Angaben von Michael Erbe werden die Baukosten für das Schloss von Versailles in der Zeit zwischen 1660 und 1715 auf umgerechnet 1,34 Milliarden Euro geschätzt, in Spitzenzeiten waren hier bis zu 36.000 Arbeiter tätig. Im Mai 1682, dem 21. Jahr seine Regierung, konnte der König seinen Palast, ausgestattet mit Park und Wasserspielen, beziehen. Michael Erbe fasst zusammen:

"Von hier aus prägte er den Regierungsstil der französischen Monarchie so nachhaltig, dass auch seine beiden unmittelbaren Nachfolger ihm nacheiferten: Schloss und Regierung waren eine Einheit geworden."

Michael Erbe hat sich als emeritierter Professor für Neuere Geschichte das Vergnügen geleistet, ein unterhaltsames Büchlein über die Geschichte von Versailles zu schreiben, mit dem er die akademische Welt nicht durch neue Forschungsergebnisse beeindrucken muss, das aber anekdotenreich den Kosmos Versailles vor Augen führt. Da dokumentiert selbst der Stuhlgang Ludwigs noch seine absolute Macht: wenn er Vertraute auf einem mit Samt ausgeschlagenen Nachtstuhl empfing, mit einer kleinen Schreibplatte, so dass Seine Majestät bei der Erledigung seines Geschäfts noch Unterschriften leisten konnte.

"Inzwischen war es 10 Uhr, und der König betrat den Spiegelsaal, wo ihn die Höflinge in demütiger Haltung erwarteten, um mit ihm die Messe in der Schlosskapelle zu besuchen. Hierfür bestand für alle Anwesenheitspflicht. Nach der Morgenmesse hielt der König in seinem Arbeitszimmer Rat, das heißt, er leitete die Sitzungen des Staatsrats, der für die allgemeinen Belange des Königreichs zuständig war und am Sonntag, Montag wie auch Mittwoch in wechselnder Zusammensetzung tagte."

Hinter dem Schaugepränge steckte eine ausgeklügelte Psychologie, die Ludwig in einem "Politischen Testament" für seinen Sohn darlegte. Michael Erbe zitiert:

"Es ist diese Gesellschaft der Lustbarkeiten, die sie anrührt und stärker bezaubert, als man auszudrücken vermag … und alle Unsere Untertanen sind im Allgemeinen davon entzückt zu sehen, dass Wir das mögen, was sie auch lieben. Dadurch nehmen Wir ihren Geist und Herzen ein und dies bisweilen stärker als durch Belohnungen und Wohltaten."

Aus diesem Grund machte Ludwig die Anlagen der breiten Bevölkerung zugänglich. Erbe zitiert ausländische Besucher, die sich wunderten, dass Kreti und Pleti in völlig unpassender Kleidung staunend durch die königlichen Räume liefen. Den Palast schildert Erbe als ein work-in-progress, wo permanent aus- und umgebaut wurde, wobei schon kurz nach der Eröffnung der Verfall bekämpft werden musste. Erbe dekliniert die Geschichte Versailles durch die verschiedensten Themen, von den ruinösen Mieten, die die Höflinge zu zahlen hatten, über die Massenschlachtungen bei den Großjagden, die alle paar Tage stattfanden, bis hin zu Dieben und Betrügern, die sich am Hof herumtrieben. Wer glaubte, das Leben in dem Palast, der gewiss der glänzendste in ganz Europa war, sei ein Vergnügen gewesen, wird im Kapitel über allgemeine Hygiene die Nase rümpfen. In Versailles stank es bis zur prunkvollen Decke.

Mit der Revolution von 1789 begann der Verfall von Versailles. Erst Louis Philippe, der Bürgerkönig, kam auf die Idee, das Schloss in ein Nationaldenkmal umzuwandeln, in dem heute die Bilder und Ikonen der Grande Nation aufbewahrt werden. Damit endet Erbes Tour durch die Schlossgeschichte – ein wenig früh, da spätere historische Ereignisse wie etwa die Krönung des deutschen Kaisers 1871 unerwähnt bleiben. Was fehlt, wäre eine große, auszuklappende Karte des Schlosses. Ansonsten haben wir ein leicht lesbares, informatives Buch nicht nur für Frankreichreisende und Freunde royalen Glanzes.

Besprochen von Paul Stänner

Michael Erbe: Versailles. Glanz und Elend am Hof des Sonnenkönigs
Primus Verlag, 140 Seiten, 19,90 Euro

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