Der Schicksalsdampfer

Von Otto Langels · 08.01.2010
Der portugiesische Luxusdampfer Serpa Pinto war mitten im Zweiten Weltkrieg auf der Route Rio de Janeiro – Lissabon – New York unterwegs. Im Frühjahr 1942 brachte das Schiff auf dem Weg nach Europa sogenannte Auslandsdeutsche von Brasilien "heim ins Reich", wo sie für Hitler in den Krieg ziehen wollten.
"Sie ist 17 Mal nach Amerika gefahren, ich glaube vier Mal nach New York und 13 Mal nach Philadelphia. Also immer mit jüdischen Flüchtlingen."

"Heldenschiff" nannten die Portugiesen die Serpa Pinto, deren Geschichte die belgische Autorin Rosine de Dijn recherchiert hat. Im Auftrag einer Reederei aus Lissabon transportierte der Ozeandampfer von 1940 bis Mitte der 50er-Jahre rund 110.000 Passagiere über die Meere, darunter 7.800 jüdische Flüchtlinge von Europa nach Amerika.

Einer Überführt Anfang Juni 1942 galt Rosine de Dijns besonderes Interesse. Unter den 660 jüdischen Flüchtlingen, vor allem aus Belgien, Polen und Deutschland, waren auch mehrere bekannte Personen an Bord.

"Unter anderen Pierre Dreyfus, der Sohn von Alfred Dreyfus, aus Paris, mit seiner Frau und vier Kindern. Dann Marcel Duchamp, der Dadaist, der Künstler, dann Simone Weil, die Philosophin, mit ihren Eltern. Unter anderen waren auch 50 kleine Kinder an Bord."

Wenige Tage bevor die Serpa Pinto mit den jüdischen Flüchtlingen Lissabon Richtung New York verließ, waren 80 sogenannte Auslandsdeutsche an Land gegangen. Sie waren Jahrzehnte zuvor in Zeiten der Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit nach Brasilien ausgewandert und kamen nun mit der Serpa Pinto nach Europa zurück, um für Hitler in den Krieg zu ziehen.
Gisela Buchholtz war damals drei Jahre alt, als sie mit ihren Eltern "heim ins Reich" fuhr.

"Meine Großmutter, die Mutter meiner Mutter, die sprach kaum portugiesisch, die waren auf dem Lande und die haben nur deutsch gesprochen. Und meine Großmutter kam aus Baden-Württemberg und sang wunderschöne Lieder und erzählte nur aus dieser Zeit von ihren Eltern die Geschichten, die sie gehört hatte."

Die Buchholtz' kamen aus Südbrasilien, wo sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts Tausende von deutschen Auswanderern niedergelassen hatten. Sie lebten in Städten, die Neu-Berlin, Neu-Stettin, Blumenau oder Pomerode hießen, trafen sich in Vereinen wie Germania, Bismarckrunde oder Hindenburg und pflegten ihre heimatlichen Traditionen.

Die bereits in den 20er-Jahren gegründete NSDAP-Gruppe der deutschen Kolonisten in Südbrasilien wurde 1928 von der Zentrale in München als Auslandsorganisation anerkannt und zählte schließlich über 4000 Mitglieder. Die Mehrheit der deutschstämmigen Bevölkerung Südbrasiliens, vermutet die heute noch dort lebende Freya Schrappe, sei damals antisemitisch eingestellt gewesen und habe mit Hitler sympathisiert.

"Ich habe deutsche Gedichte auswendig gelernt, das hat einen geprägt, das Deutsche, das ehrlich sein und anständig. Damals waren ja alle sehr begeistert von der Partei, NSDAP, und man ist eben mitgegangen."

Die Situation änderte sich Ende der 30er-Jahre, als die brasilianische Regierung einen zunehmend deutschfeindlichen Kurs einschlug, alle deutschen Vereine und Organisationen verbot und ausländische Betriebe enteignete.

Was lag da näher als die Heimreise anzutreten und sich dem scheinbar unaufhaltsamen Siegeszug Hitlers anzuschließen.

Gisela Buchholtz:

"Ich glaube, das war von der Seite meines Vaters Überzeugung, und meine Mutter natürlich ist mitgegangen. Das war damals so, die Frau begleitet ihren Mann, aber sie hat sehr drunter gelitten."

Der Vater leitete eine Dienststelle der Transportflotte Speer im besetzten Norwegen, die Mutter blieb mit Tochter und Sohn bei Verwandten in Norddeutschland. 1947 konnte sie mit ihren Kindern aus dem zerstörten Deutschland nach Südamerika zurückkehren, der Vater folgte ein Jahr später. Viele Deutsch-Brasilianer hätten das Glück gehabt, eine zweite Chance zu bekommen, meint Rosine de Dijn.

"Die fielen natürlich nicht in diese Notsituation, weil die noch Verwandte dort hatten, die sie natürlich aufgefangen haben. Und die haben dort ein neues Leben angefangen. Die Juden selber, die haben zwar überlebt, aber sie sind nie wieder glücklich geworden, die haben diese Traumata nie verarbeitet."

Zum Beispiel Jaques Padawer. Mit seinen Eltern war der damals 16-Jährige 1940 beim Einmarsch der Deutschen aus Brüssel nach Frankreich geflüchtet und dann weiter nach Lissabon. Mit der Serpa Pinto erreichte die Familie schließlich New York. Jaques Padawer blieb in den USA, studierte nach dem Krieg Biologie und machte als Wissenschaftler Karriere, aber:

"Man ist nie wieder dieselbe Person, wenn man durch diese Hölle gegangen ist, weder geistig noch emotional. Das hat mich immer sehr erschreckt."

Rosine de Dijn: "Das Schicksalsschiff. Rio de Janeiro – Lissabon – New York 1942", Deutsche Verlags-Anstalt, München 2009. 272 Seiten, 19,95 Euro.