Der raue Kerl mit der schönen Seele

Von Ulrike Gondorf · 01.06.2011
Dominique Horwitz glänzt in der Paraderolle - und das Publikum ist gerührt. Das Material, aus dem Horwitz seinen "Cyrano" entwickelt, ist zuallererst die Sprache. Eine Droge, an der sich seine Figur berauscht.
Der Mann hat fast alles: Geist, Witz, Mut, Gewandtheit und ein poetisches Gemüt. Ein Held und ein Dichter – auf den müssten doch die Frauen fliegen in einem romantischen Drama. Aber dieser Cyrano hat eben auch – eine riesige, groteske, lächerliche Nase. Die ist, vor allem in seiner Selbstwahrnehmung, so groß, dass keine Hoffnung auf Liebe und Glück dagegen aufkommen. Uns so nimmt die bittersüße Geschichte vom tragisch verfehlten Leben ihren Lauf in Edmond Rostands Versdrama "Cyrano der Bergerac". In einer Koproduktion mit dem Schauspielhaus Hamburg (die ab Herbst dort zu sehen sein wird) hatte es jetzt bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen Premiere.

Cyrano der Bergerac, der Haudegen, der raue Kerl mit der schönen Seele, der verzweifelt Liebende, der bis ans Ende seines Lebens seine Gefühle und sein Geheimnis für sich behält – das ist seit der Uraufführung 1897 immer eine Paraderolle gewesen, in der Schauspieler glänzen, rühren, überwältigen können. Und wenn das Stück auf den Spielplan kommt, steht im Zentrum meistens ein Star.

So ist es auch bei den Ruhrfestspielen: Dominique Horwitz, nicht nur durch Theater, Film und Fernsehen bekannt sondern auch als Interpret französischer Chansons, spielt den Cyrano, und er macht das bemerkenswert gut. Er trumpft komödiantisch auf, wenn seine Schlagfertigkeit (mit Worten oder beim Duell) gefordert ist, der denkt schnell und bewegt sich gewandt. Aber er findet auch ganz leise, brüchige Töne, und es ist faszinierend, diesem Mann im Kampf mit sich selbst zuzusehen: wie das verdrängte Gefühl sich Bahn bricht, wie dann jeder Riss in der Fassade schnell wieder zugekleistert wird mit Lautstärke, Ironie, Rigorosität gegen sich selbst.

Die Sentimentalität, ist immer streng dosiert – die Rührung beim Publikum natürlich umso stärker. Das Material, aus dem Horwitz diese Figur entwickelt, ist zuallererst die Sprache, diese Droge an der Cyrano sich berauscht und die ihm Macht gibt über alles und über alle. Der Schauspieler, der mit der französischen Sprache aufgewachsen ist, und der französische Regisseur Dominique Pitoiset sind hier auf einer Spur, die in deutschen Aufführungen allzu oft vernachlässigt wird. Der Abend in Recklinghausen zeigt, dass romanische Sprachbewusstheit, die Lust an der Formulierung, aber auch an Artikulation und Klang, die eigentliche Lebensader dieses Versdramas aus der "L’Art pour l’Art" –Bewegung ist.

Eher hinderlich ist dagegen die Idee des Regisseurs, die Geschichte in die Küche eines Restaurants zu verlegen und Cyrano, die Kadetten, die preziöse Roxane und den intriganten Herzog von Guiche zu Köchen und Kellnern zu machen – wobei das Liebespaar ganz unten steht in die Hierarchie: Cyrano, der Putzmann, und Roxane, die Spülfrau. Keine wehenden Mäntel und Federhüte also, keine blitzenden Degen. Die Duelle werden mit Besenstiel und Schöpfkelle ausgefochten.

Der komische Effekt ist ziemlich billig und der Weg in den Klamauk abschüssig. Natürlich wird irgendwann mit Ketchup gespritzt und dem Gegner der Abfallkübel über den Kopf gekippt. Der Überraschungseffekt dieses Sets nutzt sich schnell ab, und die vorgeblich konkrete soziale Situation der Figuren beschädigt die Glaubwürdigkeit ihrer ohnehin hochkomplizierten und äußerst ästhetisierten Gefühlslage. Immerhin: die Darsteller und die Grundkonstellationen des Stücks sind so stark, dass Cyranos tragische Liebe sich auch gegen diese gekachelte und chromblitzende Welt behauptet. Und wenn es richtig rührend wird, dann knipst der Regisseur das Neonlicht aus, die Küche versinkt im Halbdunkel und die Fantasie hat wieder Raum.