Der Prozess

Von Susanne Arlt · 08.08.2008
Seit einem Jahr - Prozessbeginn war der 27. März 2007 - beschäftigt sich das Landgericht Dessau-Rosslau mit dem qualvollen Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh. Der 21-jährige Mann aus Sierra Leone war am 7. Januar 2005 aus bislang ungeklärten Umständen in einer Polizeizelle verbrannt.
Es zog sich lange hin, bis das Gericht die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft überhaupt zuließ, und es zum Prozess kam. Angesetzt waren nur sechs Prozesstage, doch Zeugen widerriefen ihre Aussagen, widersprachen sich. Dem Richter platzte irgendwann der Kragen. Er sagte öffentlich, er werde den Prozess in Grund und Boden verhandeln.

Notfalls würde er jeden Zeugen zehn Mal vorladen. 49 Prozesstage sind inzwischen avisiert. Die Fronten zwischen Migranten und den Dessauer Behörden sind trotz der intensiven Aufarbeitung des Gerichts verhärtet. Viele Afrikaner in Dessau sprechen jetzt von einem vertuschten Mord.

Das Landgericht Dessau-Rosslau. Der moderne nüchterne Zweckbau ist seit Monaten Schauplatz eines aufreibenden Verfahrens. Auf der Anklagebank sitzen zwei Polizisten. Aufgrund ihrer Nachlässigkeit soll der Asylbewerber Oury Jalloh in einer Polizeizelle bei lebendigem Leib verbrannt sein. Gefesselt an Händen und Füßen. Die Umstände seines Feuertodes sind bis heute ungeklärt.

Mouctar Bah läuft die Stufen hoch ins Landgericht. Der 33-jährige war zwei Jahre lang mit Oury Jalloh befreundet und stand ihm zur Seite. In einer familiären Angelegenheit suchte er für Oury einen Anwalt. Oder er übersetzte die Briefe der Ausländerbehörde ins Afrikanische. Wir haben ihn Rasta genannt, seiner Haare wegen, erzählt Mouctar Bah, der selbst aus Guinea stammt. Wir mochten ihn, weil er nett und lustig war.

Mukta Bah: "Ich glaube, ich schulde ihm was, dass wirklich das aufgeklärt wird. Sie können sich nicht vorstellen wie mir manchmal geht. Ich hab manchmal eine Träume, wo mir Oury Jalloh zu mir kommt. Und der sagt dass das alles Lüge ist und dann verschwindet er auch."

Monate für Monat sitzt Mouctar Bah im Gerichtssaal, meistens in der ersten Reihe und hörte den stundenlangen Zeugenbefragungen zu. Was er hört, schmerzt ihn, was er sieht, quält ihn. Mouctar Bah erträgt das alles. Auch als vor ihm die Asservaten auf einen Tisch ausgebreitet werden. Hautreste, die mit dem Kunstleder der angeblich feuerfesten Matratze verschmolzen sind. Der Stofffetzen einer braunen Cordhose. Das versengte Feuerzeug. Und die Fußfesseln, mit denen Oury Yalloh an die Matratze gefesselt war. Schwere Ketten aus Metall, erzählt Mukta Bah und schaudert kurz.
Mukta Bah: "Ist nicht einfach, ging mir auch vorgestern ganz ganz schlecht. Wenn ich denke, dass ist ein Freund von mir. Und heute stehe ich vor einem Tisch, wo du diese Asche siehst. Das ist wirklich nicht einfach und das bleibt im Kopf."

Der Ort des Todesdramas: die Gewahrsamszelle Nummer fünf. Sie befindet sich im Kellertrakt des Dessauer Polizeireviers an der Wolfgangstraße. Der Boden und die Wände sind gefliest. Alles in grellem weiß. Das Fenster ist vergittert, die Lampe unter der Decke auch. An der linken Wandseite ist ein kleiner Absatz in den Boden gemauert. Zwei Meter lang, ein Meter breit. Darauf liegt normalerweise eine Matratze. Doch normal ist nichts mehr in dem Revier an der Wolfgangstraße seit dem 7. Januar 2005. Die Gewahrsamszelle Nummer fünf ist eine besondere Zelle. In Wand und Boden sind dicke Eisenringe eingelassen. Daran können die Inhaftierten an Händen und Füßen gefesselt werden.

Wolfgang Berger: "Diese Zelle ist für Leute da, die ich sag mal zur Ausnüchterung stehen oder ich sage mal renitent sind. Das heißt, wir haben hier die Möglichkeit der Fixierung. Die zwei in der Mitte sind für die Hände und die für die Füße. Und der Kopf ist zum Fenster gerichtet."

Wolfgang Berger war zum Zeitpunkt des Unglücks in einem anderen Revier tätig. Er leitet seit knapp einem Jahr die Polizeiwache an der Wolfgangstraße. Dass dieser Job kein gewöhnlicher ist, war dem Polizeioberrat von Anfang an bewusst. Auch wenn seine Kollegen nicht offen über die Tragödie vor dreieinhalb Jahren reden würden, unterschwellig sei immer etwas davon zu spüren.

Wolfgang Berger: "Das macht schon betroffen. Also das kann man nicht so wegstecken. Und auch ich sag mal für mich als ich in Anführungsstrichen als neutrale Person, ist es ziemlich schwierig, es auch nachzuvollziehen. Weil wir sehen diesen cleanen Raum. Und dann ist es eben schwierig, sich hier vorzustellen, wenn er keine Decke oder so was hatte, wie hier ein Feuer entstehen sollte. Aber trotzdem ist es passiert. Und dann fangen die Mutmaßungen an und dann kann man sehr viel reininterpretieren. Oder so wie ich es mache, dass ich das rechtsstaatliche Verfahren abwarte und das Ergebnis dann auch akzeptiere."


Inzwischen sind 46 Prozesstage am Landgericht Dessau-Rosslau vergangen. Und noch immer ist unklar, wie Oury Jalloh in der Gewahrsamzelle Nummer fünf verbrennen konnte. Die Staatsanwaltschaft weist den Verdacht einer Fremdeinwirkung kategorisch zurück. Sie geht davon aus, dass Oury Jalloh mit einem Feuerzeug die Matratze auf der er lag selbst in Brand gesetzt hat. Er sei zwar an Händen und Füßen gefesselt gewesen, habe aber genug Bewegungsfreiheit gehabt, um das Feuerzeug hervorzuziehen. Aber Oberstaatsanwalt Christian Preissner leugnet nicht, dass viele Fragen offen sind. Woher zum Beispiel das Feuerzeug stammt, das in der Zelle gefunden wurde.

Bevor die Zuschauer den Gerichtssaal betreten dürfen, werden sie durchsucht, penibel abgetastet, nach Waffen durchsucht. Jeder Ausweis wird kopiert. Die Strafsache gegen Andreas S. und Hans-Ulrich M. ist kein gewöhnliches Verfahren. Den Polizisten wirft die Anklagebehörde Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässige Tötung vor.

Die drei Nebenkläger, die die Mutter, den Vater und den Halbbruder von Oury Jalloh vertreten, wollen aber noch etwas in dem Prozess aufzeigen: Nämlich in welch rassistischem Umfeld sich dies alles abgespielt haben muss. Ulrich von Klinggräff, der als Nebenkläger den Vater von Oury Jalloh vertritt, sieht bereits in der Festnahme den ersten Rechtsverstoß.

Ulrich von Klinggräff: "Wir haben Mitschnitte von Telefongesprächen, die aus dem Polizeirevier in Dessau hinausgegangen sind, die von einem unglaublichen Rassismus zeugen. Von einer Menschenfeindlichkeit zeugen, wie man sich das zum Teil gar nicht so vorstellen kann. Wir haben Kenntnisse darüber, dass sich ein Arzt gefunden hat, der einen Mann für gewahrsamtauglich erklärt hat, der es mit Sicherheit nicht gewesen ist, der annähernd drei Promille hatte. Das ist ein Skandal, der sich sicher so und ähnlich überall sich abspielen kann. Wo es uns eben darauf ankam, auch mal konkret festzustellen, wie mit Schwarzafrikanern umgegangen wird in wie beispielsweise einer Stadt wie Dessau."

Das Magazin der Spiegel veröffentlichte ein Jahr nach dem Vorfall den Telefondialog zwischen dem Angeklagten Andreas S. und dem Bereitschaftsarzt Andreas B.

Sprecher H: "Wir bräuchten dich mal."
Sprecher Ö: "Was haste denn"
Sprecher H: "Ne Blutabnahme"
Sprecher Ö: "Na dann mache ich das mal."
Sprecher H: "Ja, pickste mal nen Schwarzafrikaner"
Sprecher Ö: "Ach du Scheiße. Da finde ich immer keine Vene bei den Dunkelhäutigen."
Sprecher H: "Na, bring doch ’ne Spezialkanüle mit."

Der Angeklagte Hans-Ulrich M. hat Oury Jalloh am 7. Januar 2005 festgenommen. Der Schwarzafrikaner soll an dem Freitagmorgen zwei Frauen von der Stadtreinigung belästigt haben. Weil sein Mobiltelefon nicht mehr funktioniert, will er sich eins von ihnen ausleihen. Doch die beiden Frauen verstehen ihn nicht, fühlen sich bedroht, irgendwann ruft jemand die Polizei.

Er wollte uns seine Identität nicht preisgeben, gibt Hans-Ulrich M. später zu Protokoll, darum haben wir ihn mitgenommen. Oury Jalloh habe sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, eine Verständigung sei kaum möglich gewesen. Trotzdem wird kein Dolmetscher dazu gerufen. Im Revier durchsucht er Oury Jalloh nach Drogen und anderen Gegenständen. Ein Feuerzeug habe er bei der Leibesvisitation nicht gefunden, lässt Hans-Ulrich M. zu Prozessauftakt von seinem Anwalt verlesen. Da war keins. Aber genau das wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor: fahrlässige Tötung, weil er das Feuerzeug übersehen habe. Oury Jalloh wehrt sich weiter gegen die Behandlung. Er tritt um sich, wirft seinen Kopf hin und her, schlägt ihn auch gegen die Wand. Der Bereitschaftsarzt findet, man solle ihn zu seiner eigenen Sicherheit in der Zelle fixieren. Dass er unter starkem Alkoholeinfluss steht und vermutlich Drogen genommen hat, berücksichtigt der Neurologen nicht. Für die Freunde von Oury Jalloh dagegen steht längst fest: Ihr Freund wurde ermordet, brutal misshandelt. Das Feuer sollte dies alles vertuschen. Das glaubt auch Yufani Mbolo von der Oury-Jalloh-Initiative.

Yufani Mbolo: "Ich bin mehrmals verhaftete worden, in die Polizeizelle gepackt worden und ich wurde 100 Prozent durchsucht. Aber von Anfang an ging´s darum, dass Oury Jalloh ein Feuerzeug hat und eine feuerfeste Matzratze angezündet hat. Das glauben wir nicht. Der war an Händen und Füßen gefesselt, der war betrunken, wie man das überhaupt macht, dass weiß ich nicht. Es muss irgendwas gewesen sein, was wir nicht wissen."

Die drei Nebenklagevertreter nennen die Version der Staatsanwaltschaft eine mögliche Variante. Doch für eine Mordthese fehlen die Beweise. Aber - es gibt viele Ungereimtheiten. In der ersten Asservatenliste ist überhaupt kein Feuerzeug aufgelistet. Das taucht erst Tage später auf. Die Handschellen, mit denen Oury Jalloh gefesselt wurde, sind verschwunden. Und das einstündige Videoband, das die Bilder der ersten Tatortbegehung zeigt, ist aus ungeklärten Gründen gelöscht. All das findet Nebenklagevertreter Felix Isensee mehr als seltsam.

Felix Isensee: "Ich allerdings habe relativ wenig Hoffnung, dass wir alle denktheoretischen Möglichkeiten der Todesursache des Oury Jalloh aufklären können. Und es gibt verschiedene denktheoretische Möglichkeiten und die sind nicht beschränkt auf das, was hier angeklagt ist oder was die Staatsanwaltschaft hier eben den Leuten vorwirft. Das liegt wahrscheinlich daran, dass das gesellschaftlich die akzeptierteste oder denkmöglichste Geschichte ist, was nicht heißt, dass es auch wirklich so ist."
Mit auf der Anklagebank sitzt Andreas S. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 47-jährigen Polizeibeamten Körperverletzung mit Todesfolge vor. Zum Zeitpunkt des Unglücks ist er der Dienstgruppenleiter und somit auch für die Gewahrsamszellen im Keller verantwortlich. Kurz nach 12 Uhr ertönt ein greller Piepston. Einer der Rauchmelder aus dem Gewahrsamtrakt schlägt Alarm. Was in den folgenden Minuten passiert, darüber gibt es unterschiedliche Aussagen.

Der Staatsanwalt wirft Andreas S. vor, zweimal den Alarm einfach weggedrückt zu haben. Der Angeklagte erklärt, ein Telefongespräch habe ihn davon abgehalten, sofort hinunter zu laufen. Außerdem sei er von einem Fehlalarm ausgegangen. Im Jahr zuvor gab es nämlich zwei davon. Allerdings nicht mehr, nachdem die Anlage repariert worden war. Andreas S. führt weiter aus, auf dem Weg nach unten habe er seinen Kollegen Gerhardt M. gebeten, ihn zu begleiten. Denn den Gewahrsamstrakt soll man nur zu zweit betreten. An der Pforte im Erdgeschoss habe er kurz halt gemach, um telefonisch seinen Vorgesetzten zu informieren. Das Gespräch bestätigt später der Leiter des Reviereinsatzdienstes. Nur – vier andere Beamte widersprechen dieser Behauptung vehement. Ein paar Wochen später rudert auch der Angeklagte Andreas S. zurück. Ja, es könne sein, dass er dieses Telefonat schon vorher geführt habe. Aber wozu diese Irreführungen? Nebenklagevertreterin Regina Götz will den Zeugen erneut vorladen lassen.

Regina Götz: "Muss der den Angeklagten decken? Muss der ein Fehlverhalten des Angeklagten decken? Muss der eigenes Fehlverhalten verschleiern oder gibt es was ganz anderes was er verschleiern möchte? Aber es ist natürlich erstaunlich, dass ein hochrangiger Leiter des Polizeireviers es nötig hat hier vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Dessau Sachen zu erzählen, die nicht stimmen."

Andreas S. gehört nicht zu denen, die im Prozess große Gefühle zeigen. Die meiste Zeit sitzt er mit einer bewegungslosen Mine auf seinem Stuhl und hört zu. Nur am ersten Prozesstag spricht er davon, wie tief er es bedaure, dass er das Leben des Herrn Jalloh nicht retten konnte. Als er schließlich die Zelle aufschließt, versperrt ihm dichter Qualm die Sicht. Wo sich ein Feuerlöscher befindet, das weiß er nicht. Darum läuft er zurück, um Hilfe zu holen.

Sein Kollege Gerhardt M., sucht unterdessen weiter. Zu fassen bekommt er nur eine Decke. Als er zurückkehrt, brennt die Matratze in vollem Ausmaß. Gerhardt M. sagt zweimal vor Gericht aus. Beim ersten Mal hat er Beruhigungstabletten genommen, die Befragung läuft schleppend, die Antworten sind knapp. Jetzt beim zweiten Mal will er alles erzählen, egal was passiert.

Henke: "Ich habe dann den Herrn Jalloh da liegen sehen. Er war arretiert. Wo der Schlüssel war, weiß ich nicht. Ich konnte ihm da absolut nicht helfen. Ich konnte das Feuer nicht ersticken, dann bin ich da wieder raus. Das ist so schockierend für mich gewesen – diese Bilder lassen mich bis heute nicht los. Ich war dort unten mit der gesamten Situation total überfordert."

Stille im Saal. So offen und sichtlich betroffen haben nicht viele Polizeibeamten bisher ihre Erinnerungen geschildert. Noch immer ist Gerhardt M. in psychologischer Behandlung. Der Vorsitzende Richter will wissen, ob der Zeuge weiß, was er in der vorherigen Sitzung gesagt habe. Gerhardt M. nickt. Am 10. Prozesstag platzt Richter Manfred Steinhoff der Kragen. Wegen eklatanter Widersprüche, auffälliger Erinnerungslücken zerpflückt er die Aussagen einiger Polizeizeugen. Zumindest einer von ihnen würde bewusst falsch aussagen, um den Hauptangeklagten Andreas S. zu schützen.

Der Ton wird noch schärfer als der Richter den Angeklagten warnt: "Sie sind Beamter des Landes Sachsen-Anhalt und wir leben hier in keiner Bananenrepublik. Ein demokratischer Rechtsstaat kann nicht damit leben, dass Polizeibeamte vor Gericht die Unwahrheit sagen. Ich werde den Prozess in Grund und Boden verhandeln. Irgendwann fällt jemand um."

Mehrmals im Jahr gehen die Anhänger der Oury Jalloh Initiative in Dessau-Rosslau auf die Straße. Wir wollen Druck machen. Druck auf die Zivilgesellschaft und Druck auf das Zivilgericht, sagen Mouctar Bah und Yufani Mbolo. Sie haben dem Prozess inzwischen den Rücken gekehrt. Im Laufe der ganzen Verhandlungen sei es doch zu immer mehr Ungereimtheiten gekommen, kritisieren die beiden Schwarzafrikaner. Aber diese Widersprüche würde das Gericht zu selten thematisieren.

Yufani Mbolo und Mouctar Bah: "”Am Ende war klar für uns das Gericht will einfach das als Scheinprozess nehmen, um diese Rechtstaat so als Anschein in die Öffentlichkeit zu bringen. … Ich habe nicht so ein großes Vertrauen in den Richter. Der spielt einfach mit zwei Beinen. Er will uns irgendwie nicht verletzten, irgendwie will er aber auch nicht so richtig die Wahrheit rauskriegen. ""

Die Initiative hat die drei Nebenklagevertreter aufgefordert, es ihnen gleich zu tun. Anwalt von Klinggräff kann zwar den Frust verstehen. Doch sie würden sich zuviel vergeben, wenn sie sich jetzt aus dem Verfahren raus zögen, glaubt der Anwalt. Die Anhänger der Oury Jalloh Initiative fühlen sich dagegen ohnmächtig. Dass es nach mehr als drei Jahren überhaupt zu einem Prozess kam, ist mit ihr Verdienst. Aber dass nach 45 Prozesstagen noch immer vieles unklar sei, versteht Mai Zeiclani von der Betroffeneninitiative nicht.

Mai Zeiclani: "Juristisch von Gesetze können wir gar nichts machen. Es ist sehr vorsichtig verhandelt und alles ist sauber, aber irgendwie wissen wir noch immer nicht wie Oury Jalloh gestorben ist. Und niemand interessiert es. Niemand will wissen, wie ein Mensch in eine Gewahrzelle von einer Polizei Deutschland, wie kann ein Mensch sterben und das interessiert niemanden. Und was Steinhoff interessiert, dieses sechs Minuten. Und damit können wir nicht mitmachen. Das ist eine Farce."

Darum dann gehen sie wieder auf die Straße. Um zu protestieren. Um Druck zu machen. So wie vor wenigen Tagen in Dessau-Rosslau. 120 Anhänger sind gekommen und skandieren wie immer.

Und der Ton wird schärfer. Das spürt auch Karl-Heinz Willberg. Der Polizeipräsident von Sachsen-Anhalt Ost hat sein neues Amt im September vergangenen Jahres angetreten. Am dritten Todestag von Oury Jalloh hat er vor dem Polizeirevier eine Kerze angezündet. Schließlich sei ein Menschenleben zu beklagen. Karl-Heinz Willberg macht einige Dinge anders als sein Vorgänger. Er redet mit Opferberatern, Vertretern der deutsch-afrikanischen Initiative. Ein Gespräch mit den direkt Betroffenen aber findet er schwierig. Für ihn ist es eine Gratwanderung: Auf der einen Seite sucht er den Dialog, auf der anderen Seite will er hinter seinen Polizeibeamten stehen.

Karl-Hein Willberg: "Mutmaßungen und Unterstellungen und Diffamierungen sind hier ganz schlechte Ratgeber. Ich war mir natürlich darüber im Klaren, dass die Emotionen sehr weit ausschlagen. Denn das sind Vorfälle von denen man immer hofft, dass sie nicht passieren, trotzdem können wird diesen Fall Oury Jalloh nicht ungeschehen machen und müssen jetzt auch damit zurecht kommen, uns mit den Ursachen auseinander zu setzen, die zu diesen Vorfällen geführt haben."

Steffen Andersch, Mitarbeiter vom mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus, hat den Prozess von Anfang an begleitet. Jeden Verhandlungstag protokolliert er und stellt den Inhalt anschließend ins Internet. So intensiv wie das Gericht in dem Fall Oury Jalloh ermittele, sei selten, sagt Andersch.

Der Prozess zeigt, dass auch der Polizeiapparat nicht im luftleeren Raum agieren kann. Für Steffen Andersch ist es ein Erfolg, dass die Debatte um polizeiliches Fehlverhalten öffentlich ist. Aber noch etwas sei ihm durch den Prozess bewusst geworden. Es gibt oft Unterschiede in der Wahrnehmung.

Steffen Andersch: "In der afrikanischen Community ist deshalb diese Mordthese soweit verbreitet. Es gibt ein Spannungsfeld zwischen dieser permanenten rassistischen Ausgrenzung und Diskriminierung, die gerade Afrikaner alltäglich erleben. Auf der anderen Seite es in der Community ein erschreckendes Wissensdefizit, dass sind zumindest unseren Beobachtungen, was rechtsstaatliche Strukturen, Verfahrensweisen anbelangt. Was kann so eine Hauptverhandlung eigentlich leisten, wo sind die Grenzen. Und das ist der Punkt der dann sozusagen Legen und Mythenbildung in der Community und auch in der deutschen Unterstützerszene beflügelt."

Helden sind die beiden Angeklagten Andreas S. und Hans-Ulrich M. wahrlich nicht. Wahrscheinlich nicht einmal gute Polizisten. Aber Mörder?