Der Nazi-Westwall

Wildkatzen und Militärmuseen

Eine Panzersperre aus Beton des ehemaligen Westwalls
Wie politisch müssen Natur- und Denkmalschutz am Westwall sein? © picture alliance/dpa/Foto: Horst Ossinger
Von Anke Petermann · 29.09.2016
Hitlers "Westwall" war eine 630 Kilometer lange, kilometertiefe Bunker-Landschaft mit unterirdischen Stollen und Panzerhöckern. Vier Bundesländer teilen sich heute die Relikte − allenthalben wird über das sperrige Erbe und Geschichtsklitterung gestritten.
Ein sonniger September-Nachmittag auf dem Katzenkopf in der Eifel. Bänke und Picknicktisch mit Blick ins Tal, auf den 1400-Einwohner-Ort Irrel an der Grenze zu Luxemburg. Hinten am Hang ragt wie ein Fels die 1947 gesprengte Decke eines nationalsozialistischen Bunkers auf. Ein gewaltiges "Panzerwerk", dreistöckig in den Berg geklotzt. Seit 1979 Museum, eingerichtet von der Feuerwehr Irrel. Auf Initiative von Wehrmachts-Veteranen des "Füsilierregiments 39 Düsseldorf". In den 60er-Jahren begannen die 39er-Veteranen, regelmäßig dorthin zu pilgern, wo für sie im Sommer 1939 die Ausbildung zum Kämpfen und Töten begonnen hatte. Einen Monat vor dem Überfall der Wehrmacht auf Polen war das. Als ich im Winter 2005 erstmals hierher kam, war Joachim Ziwes ehrenamtlicher Feuerwehr- und Museumschef in Personalunion. Funktion und Bewaffnung des Bunkers beschrieb er so.
"Der Maschinengranatwerfer diente eigentlich dazu, um dort unten die Verbindungsstraße freizuhalten. Das war die einzige Verbindung zwischen Köln und Luxemburg."
"Freihalten" sollte heißen: mit Granaten alles wegschießen, was feindlich aussah. Das riesige hölzerne Kreuz auf der zerklüfteten Bunkerdecke konnte ich bei diesem ersten Besuch im Februar vor mehr als elf Jahren kaum erkennen.

Gedenktafel für ein Wehrmachts-Regiment – nicht für die Opfer

Es verschmolz mit winterlicher Düsternis: eine Art überdimensionaler Orden, zusammengesetzt aus vier Eisernen Kreuzen. Auch die Gedenktafel daneben mit einem weiteren Ehrenkreuz lag im Dunkeln. Und Joachim Ziwes erklärte:
"Diese Bunkerdecke wurde dann umfunktioniert als Gedenkstätte der 39er. Von diesem Regiment verstarben während des Krieges 4000 Soldaten. Das Regiment hatte eine Gesamtstärke von 2000 Soldaten, das heißt also, dieses Regiment ist zweimal komplett ausgetauscht worden während des Krieges. Die haben auch den Frankreich-Feldzug mitgemacht, die waren in Polen, in Russland – also die 39er haben schon eine schwere Kriegszeit mitgemacht."
Mitgefühl für Wehrmachtssoldaten "in schwerer Kriegszeit". Damals und heute am Ehrenmal kein Hinweis auf die Opfer der Feldzüge. Getaucht in sanftes Septemberlicht treffe ich am Westwallmuseum Irrel alles fast unverändert an. Neuer ehrenamtlicher Feuerwehr- und Museumschef ist Stefan Theis. Wie sein Vorgänger erzählt er vom Auftrag der Wehrmachtskameradschaft, das Andenken wach zu halten. In Irrel wird dieser Auftrag von einer Feuerwehr-Generation an die nächste weitergereicht. Anders als sein Vorgänger will Theis vor dem Mikrofon nichts sagen. Der Familienvater ist Elektroinstallateur, kein Experte für NS-Historie. Traditionsbewusstsein und Technikfaszination motivieren ihn, neben dem Job auch noch das Museum zu leiten.

Am "Panzerwerk" liegt die rechte National-Zeitung

Dass jemand auf dem Mäuerchen am Eingang die National-Zeitung drapiert hat, übersieht er. Vielleicht, weil meine Fragen ihn stressen. Hinter dem rechten Wochenblatt: ein Weidenkörbchen mit Plastik-Sonnenblumen und tönerne Gartenzwerge. Das Schrebergarten-Stillleben wirkt wie ein verharmlosender Kommentar zum Kriegsbunker – Autor unbekannt. Schon ein paar Wochen steht die deutschtümelnde Zwergen-Idylle da, erzählt Theis. Bislang hat sie keinen gestört. Neu ist die Kombination mit dem Nachfolgeblatt der rechtsextremen "Deutschen Soldatenzeitung". Der Museumschef kennt die "National-Zeitung" nicht.
"Können wir auflassen."
Hinein ins zehn Grad kühle, feuchte "Panzerwerk". Mit diesem Begriff betonten NS-Militärstrategen seit 1939 die Stärke einer solchen Befestigungsanlage. Ein "Panzerturm" krönte sie, so auch in Irrel. Durch die Scharten der stählernen Kuppel beobachteten die Soldaten die Umgebung und sollten alles Feindliche mit Maschinengewehren beschießen. Stefan Theis wagt eine Aussage ins Mikro, die einzige unseres Treffens.

Irrel 
Am Eingang zum "Panzerwerk" in Irrel hat jemand das rechte Wochenblatt hingelegt.© Deutschlandradio / Anke Petermann
"Beim Bunker Katzenkopf handelt es sich um einen Regelbau der Baustärke B, und der hatte eine Außenwand-Dicke von zwei Meter dickem Stahlbeton. Davon wurden 32 Stück am gesamten Westwall gebaut."
Als Nachwuchs-Feuerwehr-Junge war Theis dabei, wie im Munitionslager des Bunkers ein weiterer Gedenkraum für die Ritterkreuzträger des 39er-Regiments eingerichtet wurde. Er findet nichts dabei, damals wie heute.

Ein Täter-Ort – zum Ehrenmal umgewidmet

Die zu verehrenden Helden posieren auf Fotos, in Wehrmachts-Uniform. Eine zeitgenössische Karte zeigt ihre Feldzüge. Die Jugend-Feuerwehr gab sich Mühe mit dem Raum. Kommentarlos wird der Täter-Ort bis heute zum Ehrenmal umgewidmet – wie die Wehrmachts-Veteranen es der Feuerwehr auftrugen. Dabei ist sie kein Hort rechter Fanatiker und Waffennarren. Die fleißigen Ehrenamtlichen haben neben ihren Einsätzen ein Kriegszeugnis freigelegt und konserviert, ohne staatliche Hilfe.
Mit der AfD sympathisiert Stefan Theis nicht. Aber die spezielle Irreler Traditionspflege hinterfragt auch der neue Museumschef nicht. Was er und seine Mitstreiter nicht sehen oder sehen wollen: die angeblich unpolitische Stätte leistet politische Bildung eigener Art. Die Verbrechen der Wehrmacht und das Leid ihrer Opfer – ausgeblendet. Hitlers treue Kämpfer – glorifiziert. Unlängst kam die Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz zu Besuch, mit dabei Direktor Wolfgang Faller.
"Also gerade dieses Gedenken an die Militäreinheit, die dort stationiert war, von denen eben dieses Eiserne Kreuz da steht, das stellt das ganze in einen sehr, sehr problematischen Kontext, denn es wird ja dann beschrieben auf der Tafel, an welchen Orten in Osteuropa der heutigen Ukraine, Weißrussland, Russland diese Einheiten eingesetzt waren. Es wäre durchaus interessant, mal zu sehen, wie dann tatsächlich das Geschehen zu der Zeit war, als sie dort waren. Das scheint mir sehr, sehr unkritisch – eine gewisse Art von Heldenverehrung, die dort stattfinden soll, das im Kontext mit dem Westwall-Bunker ist ein ganz, ganz schwieriger Startpunkt."
Deutlicher wurde vor Jahren schon Frank Möller. Der Geschäftsführer der Kölner "Gesellschaft für interdisziplinäre Praxis" befasst sich seit langem mit Erinnerungspolitik am Westwall. Derzeit kümmert sich der Historiker um die Aufarbeitung der Schlacht im Hürtgenwald am Aachener Westwall-Abschnitt. Im Tagungsband "Zukunftsprojekt Westwall" hielt er mit Blick auf die 39er Soldaten fest:
"Während des Zweiten Weltkriegs zogen sie eine Spur der Vernichtung an fast allen Fronten und zerstörten zahlreiche Städte und Gemeinden. Die dabei getöteten Menschen blieben ungezählt. Von all diesen Dingen erfährt man in Irrel nichts."
Auf der Online-Geschichts-Seite der Eifel-Kleinstadt findet sich neben einem Abschnitt zum Westwallbau und zur 70-prozentigen Kriegszerstörung immerhin folgender vager Hinweis:
"Als Folge der Nazi-Zeit gibt es in Irrel auch keine jüdische Bevölkerung mehr. Bis in die 1930er-Jahre waren in Irrel mehrere Familien jüdischen Glaubens ansässig."
1933 lebten etwa 15 jüdische Personen in Irrel, hält die Arbeitsgemeinschaft für jüdische Geschichte "Alemannia Judaica", fest. Zum Teil verließen sie Hitler-Deutschland – Zitat – "wegen zunehmender Entrechtung und Repressalien" - Zitat Ende. Die meisten aber, laut Yad-Vashem-Verzeichnis elf Irreler, kamen im Zuge der nationalsozialistischen Juden-Verfolgung ums Leben. Walter Kallmann hieß der jüngste, geboren im Jahr 1920. Auf dem alten jüdischen Friedhof – eine Gedenktafel:
"Zur Erinnerung an unsere Bürger jüdischen Glaubens und zum Gedenken an ihr in den Jahren 1933 – 1945 durch Unrecht und Gewalt erlittenes Schicksal. Die Bürger der Ortsgemeinde Irrel."

Einseitige deutsche Erinnerungskultur?

Oben auf dem Berg ein pompöses Soldaten-Ehrenmal, unten im Dorf schlichtes Erinnern an namenlose Opfer. Ein Ungleichgewicht, wie man es nicht nur in Irrel antrifft. Es dominiert die gesamte deutsche Erinnerungskultur. Wohl auch deshalb, weil bei Millionen Waffenträgern zurzeit der NS-Mobilisierung so viele Familien betroffen sind. Deshalb: Soldaten-Gräber und -Ehrenmale überall. Gedenkstätten für die Opfer von NS-Verbrechen – nur vereinzelt. Insofern ist der Zwist um den Westwall, um das Ausblenden und Verdrängen, das Trauern und Ehren Jahrzehnte alt und gleichzeitig aktuell. Derzeit beutelt dieser Streit den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Dessen reform-ambitionierter Vorsitzende Markus Meckel trat kürzlich zurück, weil er sich ausgebremst sah.

Zurück zum Katzenkopf hoch über Irrel. Der schweigsame Museumschef deutet auf die Tafel seitlich vom Bunker-Eingang. Sein beredter Vorgänger hatte mir beim ersten Besuch stolz vorgelesen.
"Einst Werkzeug des Krieges, heute Mahnung zum Frieden´. Es soll also wirklich keine Kriegsverherrlichung sein. Dieses Werk soll also wegen des geschichtlichen Hintergrundes aufrechterhalten werden. Es ist eben ein Stück Kultur, das man nicht verleugnen kann, und deswegen, auch unter diesem Namen, hat die Feuerwehr Irrel dieses Werk hier immer betrieben."

Der Historiker Frank Möller hielt und hält das allerdings für eine schlichte "Umetikettierung zum Mahnmal". Nehme man diesen Anspruch nämlich ernst,
Westwall
Gedenktafel am Westwall © Deutschlandradio / Anke Petermann
"... dann geht es nicht, dass man dort Gedenkräume für Artillerieregimenter zulässt, sondern dann muss da eine kritische Auseinandersetzung mit Geschichte dieses Bunkers, dieses Westwall-Abschnitts und des Westwalls überhaupt stattfinden. Dazu gehört unter anderem natürlich, dass man irgendwo auch mal niederlegt, dass der Westwall Voraussetzung gewesen ist für den Vernichtungskrieg Hitlers im Osten. Deshalb sage ich ´umetikettieren`, denn man macht einfach ein neues Etikett drauf und legitimiert all das, was dort drinnen an militaristischer Schau stattfindet."
Unpolitischer Denkmalschutz reicht für den Westwall nicht, meint Möller. Um die Jahrtausendwende machte er erstmals auf den musealen Wildwuchs aufmerksam.

Hat die Landeszentrale für politische Bildung geschlafen?

Der Mainzer Landeszentrale für politische Bildung warf der Historiker vor, verschlafen zu haben, dass Militär- und Technik-Begeisterte mit ihren Privatmuseen in Irrel, Pirmasens und Bad Bergzabern die Relikte des nationalsozialistischen Bollwerks aus dem historischen Zusammenhang gerissen hätten.
"Diese harten Militärmuseen sind ganz offensichtlich außerhalb der Wahrnehmung und des Interesses der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz gewesen. Da müsste sie wirklich auch in die Gänge kommen."
Die knappen Geld- und Personalmittel seien gebunden, konterte damals die Landeszentrale. Und zwar für den Betrieb der KZ-Gedenkstätte Osthofen bei Worms und den Aufbau eines Begegnungshauses am ehemaligen NS-Polizeihaftlager für straffällig gewordene Westwall-Arbeiter. Ihr "Sonderlager Hinzert" richtete die SS im Oktober 1939 bei Trier ein. 1947 wurde es Gedenkstätte, Ende 2005 eröffnete dort das neue NS-Dokumentationszentrum. Dass die Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz prädestiniert ist, sich um die Vereins- und Privatmuseen am Westwall zu kümmern – kein schlechter Gedanke, gibt Wolfgang Faller zu, Direktor seit 2013.
"Allein sind wir einer starken Mittelbegrenzung unterlegen. Das wird für die nächsten Jahre, Stichwort Schuldensperre, auch nicht anders sein. Und mit dem Betrieb, den wir jetzt führen, hier mit unserer Zentrale in Mainz und mit den beiden Gedenkstätten in Hinzert und Osthofen vollkommen ausgelastet, so dass da die Möglichkeiten, vor Ort sehr aktiv zu werden, einfach sehr begrenzt sind, so lange da nicht andere Töpfe noch mal aufgemacht werden."
Dazu später. Zunächst ein Blick auf ein Stück Westwall-Landschaft. Damals beim Ausflug in die stahlbeton-durchsetzten Pfälzerwald hoch über Oberotterbach zeigte Walter Stutterich die zerklüfteten Überreste gesprengter Bunker: 650 Kleinanlagen allein in diesem Abschnitt nahe der französischen Grenze. Von Militärbauten mutiert zu Winterquartieren für Fledermäuse, Refugien für Wildkatzen, Dachse und Marder. Unersetzliche Rückzugsräume, das hatte der Naturschützer der BUND-Gruppe Pirmasens als einer der ersten schon in den 70er-Jahren erkannt.
Aber dem Vorkämpfer für den Biotopschutz am Westwall war ebenso klar, dass diese Lebensräume für bedrohte Arten unwiederbringlich verloren gehen würden. Denn das zuständige Bundesfinanzministerium ließ die Bunker-Refugien damals sukzessive einebnen, unter Verweis auf die große Unfallgefahr.
"Als letzte große Aktion sind bei Niederschlettenbach 17 Stück hingemacht worden – an einem Riss – um uns zu zeigen, wer der Herr im Haus ist."
So schäumte der Pionier beim Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland, kurz BUND, über eine Abrissaktion von 2003.
Zwei Jahre später erhörte das Bundesfinanzministerium die Forderungen von Historikern und Naturschützern und stoppte den Abriss.

"Grüner Wall im Westen" – Biotopverbund wie das "Grüne Band"

Mit vierzig Jahren Verspätung konnte der BUND Stutterichs Idee vom Biotopverbund zwischen Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg verwirklichen, das westliche Pendant zum "Grünen Band" an der ehemaligen innerdeutschen Grenze.
Vor zwei Jahren übernahm Rheinland-Pfalz seinen Westwall-Anteil vom Bund. Der zahlt dafür in Tranchen insgesamt 25 Millionen Euro. Das klingt üppig, doch jetzt muss das Land die zerklüftete Bunkerlandschaft kartieren und verkehrssicher machen. Mit Zäunen und veränderter Wegführung werden Wanderer von gefährlichen Orten ferngehalten. Schilder warnen vor unfallträchtigen Spalten, Absturzrisiken und herausragenden Armier-Eisen. Das Mainzer Umweltministerium richtete eine Stiftung ein, ausgestattet mit den ersten Millionen vom Bund. "Grüner Wall im Westen" heißt der Fonds, mit dem die Relikte als Flächendenkmal bewahrt werden sollen. "Mahnmal ehemaliger Westwall" setzt die grüne Ressortchefin Ulrike Höfken als Untertitel dazu.
"Nach 60, 70 Jahren sehen wir jetzt Amphibien, die Wildkatze, die Fledermäuse, die sich in diesen Ruinen angesiedelt haben. Aber wir wollen diesen Ort nicht nur als Naturschutzlinie, als Biotopverbund, entwickeln, sondern wir wollen es schon mit der Erinnerung verbinden und eben als Mahnmal für den Frieden."
Doch den hohen Anspruch muss die Stiftungschefin selbst nicht mit Inhalt füllen, als Umweltministerin ist Höfken allein für den Naturschutz am Westwall zuständig. Um den Rest muss sich das SPD-geführte Kulturministerium kümmern, dem zugeordnet: die Landeszentrale. Für politische Bildung am Westwall kann die Stiftung laut Homepage Mittel bereitstellen. "Das war die Erwartung", korrigiert Wolfgang Faller vom Stiftungsvorstand. Aber:
"Aufgrund der augenblicklichen Zinssätze und dem, was an sogenannter Verkehrssicherung ansteht, kann davon im Augenblick nicht die Rede sein, dessen ist sich auch der Stiftungsvorstand bewusst. Also, dort nicht. Bleiben aus meiner Warte zwei Möglichkeiten: der Landeshaushalt, das andere sind europäische Projekte."
Eine Studie zum Naturschutz in der NS-Zeit finanzierte die rheinland-pfälzische Umweltministerin immerhin aus Stiftungsmitteln.

Nationalsozialisten wollten "germanische Wehrlandschaft"

An der Westgrenze des ehemaligen Deutschen Reichs wurden für den Bau des Angriffs- und Verteidigungswalls acht Millionen Tonnen Zement, eine Million Tonnen Eisen und Millionen Kubikmeter Kies und Sand eingesetzt. Das zerstörte zunächst mal Natur. Nils Franke, beauftragter Historiker vom Wissenschaftlichen Büro Leipzig, resümiert:
"Das ist wirklich ein großer Eingriff in die Landschaft gewesen. 1935 wird aber auch das Reichsnaturschutzgesetz erlassen, das erste reichsweit geltende Gesetz für den Naturschutz geht auf Hermann Göring zurück. In diesem Gesetz wurde festgehalten, dass die Naturschützer bei solchen Eingriffen zu beteiligen sind."
Sogenannte "Landschaftsanwälte" planten und gestalteten das Bollwerk als "germanische Wehrlandschaft" mit "bodenständigen" Pflanzen wie Buche, Erle und Schneeball. Das entnimmt Nils Franke den Pflanzlisten.
"Es ging um die ´deutsche` Erde, aus der der ´deutsche` Mensch seine Kraft und gemäß der Ideologie auch die Überlegenheit ziehen konnte, und so hat man sich eine Landschaft zusammen gesponnen, die man als deutsch empfand."
Die Grün-Planer nutzten den Westwall als Sprungbrett für die Zusammenarbeit mit der Wehrmacht und der SS, hält der Historiker fest. Die Spur dieser Kooperation ziehe sich bis zum Vernichtungslager Auschwitz mit dem Grüngürtel um die Krematorien.
Von der Tarn-Landschaft zurück zu den Bauten in Stahlbeton. Lange bevor Rheinland-Pfalz die Westwall-Überreste vom Bund bekam, hatte im Südwesten ein Verein einen der größten und spektakulärsten Bunker vom Bund übernommen.
Waffenstarrend schon das Entree zum Festungswerk Gerstfeldhöhe in Pirmasens. Drinnen im unterirdischen Stollensystem geht es genauso martialisch weiter: deutsche Schützenpanzer, ein russisches Geschütz, ein US-Militär-LKW, eine See-Mine, die hier gelagert war, bestimmt zum Einsatz am Atlantik-Wall. Eine Waffenschau mit vielen technischen Daten, historisch kaum eingeordnet.
"Die Kritik nehme ich sehr gerne an, denn ich bin der gleichen Meinung."
Schon beim Besuch vor elf Jahren gab sich der ehrenamtliche Museumschef Günther Wagner problembewusst. Eigentlich wolle er keine Waffenschau, aber Panzer und Kanonen zögen Publikum und brächten Eintrittsgelder. Die brauche der Betreiberverein für die Erhaltung der Anlage. Mangels Unterstützung vom Land sei er bei der didaktischen Aufbereitung des Materials auf sich gestellt. Das kostenlose Heft der Landeszentrale zum SS-Sonderlager Hinzert auszulegen, dem "Arbeitserziehungslager" für Westwallarbeiter, wäre allerdings leicht. Doch man sucht es vergeblich in den Museen.

Der Reichsarbeitsdienst wie ein fröhliches Jugendfeuerwehrlager

Stattdessen in Irrel Fotos, auf denen der Reichsarbeitsdienst, kurz RAD, eher wie ein fröhliches Jugendfeuerwehrlager wirkt, das fällt Museumschef Theis selbst auf. In Pirmasens eine lebensgroße Puppe im gebügelten Ausgehmantel des RAD. Museumsleiter Wagner erläutert:
"Mit den Uniformteilen mussten sie arbeiten schippen und im Schlamm arbeiten. Die hatten abends Putz- und Appellstunde, und dann sind sie wieder angetreten mit geputzten Stiefeln, mit sauberem Mantel, mit gebügelten Dingen und haben‘s wieder schmutzig gemacht. Das war die Realität. Natürlich kommt das in der einen Szene nicht rüber, das ist ganz klar."
Gut wäre mehr Information, meint Uwe Bader von der Landeszentrale für politische Bildung,
"…vor allen Dingen auch zu der seit Juni 1938 bestehenden Arbeitsdienstpflichtverordnung, die dazu führte, dass Arbeitnehmer aus allen Teilen des damaligen deutschen Reiches über die Arbeitsämter aus bestehenden Arbeitsverhältnissen heraus genommen werden konnten und dann an den Westwall geschickt wurden."
Zum paramilitärischen Einsatz, der den Krieg vorbereitete. Drastische Strafen schworen auf unbedingten Gehorsam ein.

"Bummelanten" wurden verfolgt - bis zum Tod

Westwallarbeiter, die sich der nationalsozialistischen Arbeitsdisziplin nicht unterwarfen,
"…die möglicherweise zweimal montags blau gemacht hatten, die konnten sich sehr schnell in einem Polizeihaftlager wiederfinden. Wer dann nicht funktionierte und an den Baustellen nicht besser arbeitete als vorher, konnte dann auch in das SS-Sonderlager Hinzert kommen, und dann war der Weg in das spätere KZ-System nicht mehr weit."
Die Verfolgung wegen sogenannten Bummelantentums konnte bis zum Tod führen - davon erfahren Besucher der beiden Westwall-Museen nichts.
Mein Eindruck: Hier wird ein sauberer Westwall gezeigt.
"Da würde ich Ihnen insofern widersprechen, weil es in dieser Präsentation gerade im Museum Gerstfeldhöhe durchaus auch Vitrinen gibt, in denen genau das Gegenteil gezeigt wird…",
so Kai-Michael Sprenger, der als zuständiger Referent im SPD-geführten Kulturministerium den Bunker soeben inspizierte.
"Beispielsweise ein verkohltes Nummernschild mit den SS-Runen und dahinter ein Bild eines jungen SS-Soldaten, der erschossen im Schnee liegt. Ich finde, das wird auch thematisiert, noch nicht im hinreichenden Maße. Aber dass hier ´nur` das schöne, saubere Gesicht dieses Systems gezeigt wird, da würde ich deutlich widersprechen. Ein weiteres Beispiel: Diese Szene, die eine Panzerabwehrkanone zeigt, gegen Ende des Krieges, dort haben Sie einige Figurinen, Wehrmachtssoldaten, und die sind eben nicht in der blank geputzten Uniform, sondern die sind zerlumpt mit Dreitagebart, das soll den Schrecken auch des Kriegsendes zeigen, den Zusammenbruch."

Aus der Innenperspektive einer Tätergesellschaft allerdings, so wie es das Wort "Zusammenbruch" suggeriert.
Westwall
Ein gesprengte Bunker am Westwal, in dem sich das Panzerwerk "Katzenkopf" befand. © Deutschlandradio / Anke Petermann
Doch so lange die Wehrmachtssoldaten an den Kanonen und in den Bunkern durchhielten, so lange ging das Morden in den Konzentrationslagern weiter. Das dürften die Ausstellungen nicht ausblenden, wenn sie den eigenen Anspruch zu mahnen, ernst nehmen. Günther Wagner gibt sich weiterhin problembewusst.
"Die sogenannte Erzählschiene, die fehlt hier drin."
Doch dass er den Krieg und den Nationalsozialismus verherrlicht und verharmlost, will sich der ehrenamtliche Westwall-Beauftragte des Landes und Kartierungs-Spezialist nicht vorwerfen lassen. Der Museumschef ist entrüstet. Vor einem Monat kamen eine Zeit-Journalistin und der Historiker Nils Franke inkognito im Festungswerk vorbei.

"Da gehen auch Nazis gern hin", titelte Zeit Online

Sie stießen auf die Waffen und NS-Orden in Vitrinen, auf die spärliche historische Kommentierung, außerdem auf drei rechte Gästebuch-Einträge von 300. "Da gehen auch Nazis gern hin" titelte die Zeit Online.
Die Gerstfeldhöhe, "ein Anziehungsort für Rechtsextreme", schloss Nils Franke. In Irrel liegt die National-Zeitung vorm Bunker. In Pirmasens hat ein Hitler-Fan ins Gästebuch des Museums geschrieben: "Er wollte Frieden." Züchten sich rheinland-pfälzische Westwallmuseen eine rechtsextreme Klientel heran? Wolfgang Faller von der Landeszentrale für politische Bildung differenziert:
"Wir werden nicht verhindern, dass überzeugte Nazis in die eine oder andere Stätte gehen. Die waren im Karl-Marx-Haus in Trier, auch in den Gedenkstätten finden wir ab und zu in den Gästebüchern entsprechende Einträge. Wir werden auch keine Gesinnungskontrolle am Eingang machen. Tatsächlich würde ich sagen, bei den Gedenkstätten wirken unsere Ausstellungen hoffentlich so, dass außer denen, die sowieso nichts sehen wollen, die anderen durchaus ein Nachdenken zumindest mitnehmen. Das ist im Augenblick in den Westwallmuseen und auch an vielen der Touren, die angeboten werden, nicht so. Das ist ganz klar. Da muss unser Bestreben hingehen, das zu ändern."
Das rheinland-pfälzische Kulturministerium und der Museumsverband wollen dem Trägerverein Gerstfeldhöhe helfen, Geld für ein Konzept zu beantragen.

Mahnmal drauf, wo kein Mahnmal drin ist?

Doch ob der von Militaria-Leigebern gespeisten Sammlung nachträglich überhaupt ein roter Faden zu verpassen ist, steht noch dahin. Offen auch, ob man in Irrel und Pirmasens grundlegende Änderungen akzeptieren würde. Schließlich sind die Beharrungskräfte stark.
Vielleicht ahnen die Experten von Ministerium und Landeszentrale, wie groß die Widerstände der Technik-faszinierten Museumsbetreiber gegen eine Entzauberung des Westwalls sind. Vielleicht klingen sie deshalb so seltsam unentschlossen. So lange allerdings Propaganda-Mythen in den rheinland-pfälzischen Westwall-Museen weiterleben, beteiligt sich indirekt auch die Mainzer Ampel-Regierung am Etikettenschwindel: Mahnmal draufschreiben, wo kein Mahnmal drin ist.
Immerhin: Seit knapp einer Woche findet man die Wehrmachts-"Gedenkstätte" Irrel im rheinland-pfälzischen Museumsverzeichnis nicht mehr. Nach einer Anfrage von Deutschlandradio Kultur hat der Museumsverband den Eintrag gelöscht.
"Also insofern – danke…",
sagt Geschäftsführerin Bettina Scheeder.
In Irrel schließt Stefan Theis die Bunkertür zu. Die National-Zeitung liegt nicht mehr auf der Mauer direkt vorm Museumseingang. Jemand hat das rechte Blatt etwas abseits auf einer Bank deponiert. Die Gartenzwerge aber bewachen das Kriegsdenkmal nach wie vor.
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