"Der Name der Leute"

Von Hans-Ulrich Pönack · 13.04.2011
Die junge Polit-Aktivistin Bahia steht im Mittelpunkt von "Der Name der Leute". "Make love, not war" ist ihr Motto im Kampf gegen Reaktionäre, Faschisten und Fremdenhasser. Die schärfste Waffe ist ihr eigener Körper.
Es ist der zweite Spielfilm des ehemaligen Kurzfilmers Michel Leclerc. Der im Original "Le Nom Des Gens" heißt und eine "neue Amelie" (siehe "Die fabelhafte Welt der Amelie") originell, vergnüglich und herrlich pointiert auf die Leinwand lupft.

In Gestalt der wilden, fröhlichen Polit-Aktivistin Bahia. Nachname: Benmahmoud. Eine "weiße" algerischstämmige Französin. Das Ebenbild ihrer Ex-Hippie-Sponti-Mama. Die mit dem "sanften" algerischen Arbeiter Mohammed verheiratet ist, der eigentlich viel lieber ein Maler wäre.

Bahias Motto fällt deutlich in der Filmmitte einmal: "Scheiß auf Wurzeln". Soll heißen - nicht die Herkunft zählt, sondern das Jetzt. Mach dich frei von diesem oftmals quälenden Familien-Gestern. Viel lieber "stürzt" sich Bahia auf "die Rechten". Auf Reaktionäre, Faschisten, Fremdenhasser. Neoliberale. "Make love, not war": Die schärfste Waffe "gegen DIE" ist für die "religionsfreie" Muslima ihr Körper. Der respektlose Sex. Sie schläft mit diesen "Feinden", um sie zu bekehren, "umzupolen" und das mit einigem Erfolg: Die energiegeladene extrovertierte Idealistin benötigt "dafür" manchmal nur eine Nacht, manchmal aber "dauert" es auch Wochen.

Arthur Martin ist ein unscheinbarer, leicht verklemmter introvertierter Zoologe, den Bahia auch für "solch einen Typen" hält. Doch weit gefehlt. Der bekennende jüdischstämmige Linkswähler und Anhänger des sozialistischen Politikers Lionel Jospin (der auch einen höchstpersönlichen Kurzauftritt hat) passt eigentlich nicht in ihr "Beuteschema", aber ... ich weiß auch nicht. Erklärt sie. Die beiden so unterschiedlichen und so Herkunfts-verschiedenen Menschen werden ein Paar. Wobei er sich mit ihrem "körperlichen Polit-Engagement" abfinden muss, dabei aber endlich dank ihrer "Funktionalität" bereit ist, sich selbst zu öffnen, innerfamiliäre "Angelegenheiten" anzusprechen, unliebsame Fragen zu stellen anstatt diese weiterhin lächelnd zu verdrängen.

Fazit: Es gilt, die Welt "anders" umzukrempeln. Klingt konstruiert? Intellektuell? Verworren? Gar verstörend? Mag sein. Ist es aber keineswegs. Vielmehr ist "Der Name der Leute" insgesamt herrlichstes, weil witziges, kluges wie spitzzüngiges und zutiefst amüsantes Zuhör-Pointen-Kino, das für viele Schmunzel-Bauchschmerzen sorgt. Und für vielfältige Kopf-Späße. Auf vielen individuellen wie gesellschaftlichen Seelen-Schauplätzen. Um den "Ismen" des Lebens zweideutig-eindeutig den Garaus zu bereiten: Antisemitismus, Rassismus, Feminismus. Wie es ein Online-Kollege ("kino.de") auf den thematischen Ironie-Punkt bringt.

Dabei - keine Problemüberfrachtung, sondern in der unglaublich stimmungsvollen Mixtur aus französischem Independent-Mainstream. Oder umgekehrt. Leicht, aber nie seicht. Locker, aber nie doof. Kurzweilig. Ohne "Fahne", Botschaft(en), Ausrufungszeichen. Als köstliche Gedankenspielerei. Intelligent provokant. Einfach virtuos unterhaltend. Mit "komischen" Super 8-Erinnerungseinlagen. Und auf verschiedenen, verständlichen und dabei sehr atmosphärischen Personen- und Zeitebenen tanzend.

Und mit einem formidablen Ensemble aufwartend. Jeder Akteur "ein Treffer". Die Sensation aber heißt Sara Forestier. Die zur Drehzeit 20-Jährige, die kürzlich im französischen Biopic "Gainsbourg" unauffällig mitmischte, betritt hier als Bahia die große Bühne. Ist ein uriges Kraftpaket, mit dem Charme einer jungen Jeanne Moreau, mit der fordernden Frechheit einer unbeugsamen "Amelie"-Rebellin wie Audrey Tautou. Sie ist thematische "Zentralstelle", mit ihrer körpersprachlichen Wucht und Wonne. Was für eine Entdeckung! Der französische "Oscar" hierfür, der "Cesar", als "beste Hauptdarstellerin", war neulich vollauf verdient. Genau auf ihrer stimmigen Wellenlänge agiert Jaques Gamblin. Die beiden sind ein erfrischend- eigentlich nicht zusammenpassendes Paar. Mit viel feiner Dis-Harmonie-Strömung. Und Duftnote eins.

Die Co-Drehbuch-Autorin und Lebensgefährtin des Regisseurs, Baya Kasmi, und Regisseur Michel Leclerc haben mit "Der Name der Leute" für DIE französische Kino-Entdeckung dieses Frühjahrs gesorgt. Für die ein Woody Allen durchaus als cineastischer Fern-Pate infrage kommt.


Frankreich 2010, Regie: Michel Leclerc, Hauptdarsteller: Sara Forestier, Jacques Gamblin, ab 12 Jahre

Filmhomepage

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Beziehungskomödie mit widerstreitenden Charakteren
Die französische Überraschungserfolg "Der Name der Leute"
Regisseur und Drehbuchautor Michel Leclerc mit seiner Co-Drehbuchautorin und Lebensgefährtin Baya Kasmi und dem César, den sie für "Der Name der Leute" gewonnen haben.
Regisseur und Drehbuchautor Michel Leclerc mit seiner Co-Drehbuchautorin und Lebensgefährtin Baya Kasmi und dem César, den sie für "Der Name der Leute" gewonnen haben.© picture alliance / dpa
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