Der menschliche Superheld

Klaus Schikowski im Gespräch mit Britta Bürger · 26.06.2012
Der Student Peter Parker wird von einer radioaktiven Spinne gebissen und erhält so übernatürliche Kräfte: Das ist die Grundidee von "Spider-Man" und die funktioniert seit 50 Jahren mit einigen Anpassungen an den Zeitgeist. Spider-Man sei "der etwas andere Superheld, der auch mal davonläuft und zweifelt an sich selbst", sagt Comic-Experte Klaus Schikowski.
Britta Bürger: Spider-Man wird 50 und feiert das mit einem neuen Film: Am Donnerstag kommt "The Amazing Spider-Man" in 3D in die deutschen Kinos. Mittlerweile ist das ja schon der vierte Spider-Man-Film, und man fragt sich, warum und wie sich diese Figur so erfolgreich hält. Der Comic-Experte Klaus Schikowski schreibt gerade ein Buch zur Geschichte des Comics und hat sich ausführlich mit Spider-Man befasst. Schönen guten Tag, Herr Schikowski!

Klaus Schikowski: Schönen guten Morgen, Frau Bürger!

Bürger: Wann hatten Sie eigentlich Ihre persönliche Spider-Man-Initiation?

Schikowski: Es ist ja so, ich habe ja meine Leidenschaft zum Beruf gemacht und beschäftige mich hauptsächlich, hauptberuflich mit Comics, und ich habe tatsächlich Spider-Man schon sehr, sehr früh gelesen, mit sieben Jahren. Und ich glaube, bei mir hat das Konzept sehr, sehr schnell gegriffen, denn Spider-Man ist ja der etwas andere Superheld, der auch mal davonläuft und zweifelt an sich selbst, und ich glaube, das hat mich als Kind schon sehr begeistert, im Gegensatz zum Strahlemann Superman.

Bürger: 1962 wurde Peter Parker als Comicfigur geboren. Die erste Geschichte, die hatte nur 11 Seiten und sollte dann eben doch der Auftakt sein für eine bislang 50 Jahre währende Serie mit Open End. Dann gab es Cartoon-Filme im Fernsehen, und nun schon den vierten Kinofilm. Erzählen Sie genauer, was so besonders faszinierend ist an dieser Figur.

Schikowski: 1962 erschien Spider-Man das allererste Mal in einer Monsterreihe namens "Amazing Fantasy", und zwar in dieser Kurzgeschichte. Und dort erschienen insgesamt Monster-Comics, aber Spider-Man war da schon ein wenig anders: Das war halt dieser junge Highschool-Student, der von einer radioaktiven Spinne gebissen wird, und danach mit seiner großen Kraft zurechtkommen muss und eigentlich vor dieser Verantwortung, diese große Kraft zu haben, davonläuft.

Was auch noch dazukommt, war, dass Spider-Man ein wenig cooler war als die anderen Superhelden – allein schon die Spinnenkräfte, und er konnte mit Netzen schießen, und dieses ikonische Kostüm, was heutzutage immer noch die kleinen Kinder auf T-Shirts tragen, das hat alles zu dem Erfolg beigetragen. Und ich denke, letzten Endes war es diese Verweigerung, erwachsen zu werden, die in den 60er-Jahren so gut ankam.

Bürger: Der erste Spider-Man-Comic endet ja auch mit diesem Satz: "Aus großer Kraft folgt große Verantwortung". In welcher Weise wird diese Frage denn, ob und wie man Verantwortung übernehmen soll, immer wieder aktualisiert?

Schikowski: Es ist immer wieder dasselbe, dass sich Peter Parker, der ja Spider-Man ist, entscheiden muss. Er hat viele private Probleme mit seiner kranken Tante oder halt in der Schule, und er muss sich immer wieder zwischen Privatleben und Superhelden-Dasein entscheiden, und das ist immer wieder diese Frage, Verantwortung zu übernehmen, sodass es eigentlich die ganze Zeit mitschwingt in der Serie.

Bürger: Also ein unverwundbarer Superheld ist er dann, obwohl er innerlich verletzlich ist. Spiegelt sich darin so ein Konflikt, den die meisten heranwachsenden Jungen haben?

Schikowski: Ich denke schon, dass man das so ein wenig sinnbildlich sehen kann, wobei sich die Jugend natürlich auch verändert hat zwischen den 60er-Jahren und heute. Deswegen müssen die Filme sich ja auch immer ein wenig anpassen und modifizieren. Und dieser Reboot kommt jetzt auch nicht von ungefähr – ich denke, damit versucht man noch mal, eine jüngere Generation anzusprechen.

Bürger: Ist dieser Aspekt, dass Peter Parker ohne seine Eltern bei Onkel und Tante aufwächst, eigentlich in allen Geschichten präsent und auch grundlegend wichtig, um diesen Charakter zu verstehen?

Schikowski: Das ist, ehrlich gesagt, erst später dazu gekommen. In erster Linie war es so, dass seine Eltern nicht da waren, und er bei Tante und Onkel aufwächst, und sein Onkel in der ersten Geschichte stirbt und er quasi dran Schuld hatte, weil er nämlich den Gangster nicht aufgehalten hat, der seinen Onkel umgebracht hat. Und diese Vorwürfe, die er sich macht, die führen eigentlich dazu, dass er sich fürs Superhelden-Dasein entscheidet.

Bürger: 50 Jahre Spider-Man – bevor am Donnerstag ein neuer Film mit dem Superhelden in die Kinos kommt, sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Comicexperten Klaus Schikowski. Wie hat sich die Figur jetzt aber über die 50 Jahre verändert? Spiegelte Spider-Man auch den jeweiligen Zeitgeist?

Schikowski: Ein wenig natürlich. Spider-Man, Peter Parker ist in erster Linie etwas älter geworden, etwas reifer geworden, er ist heutzutage auch kein Schüler mehr, sondern er ist jetzt in einem Labor tätig und er ist ja auch Fotoreporter. Und was Spider-Man auch immer wieder aufgegriffen hat, das waren schon auch politische Themen. Anfang der 70er-Jahre gab es berühmte Drogenausgaben, so nannte man die, die sich dann mit der Drogenproblematik auseinandergesetzt haben, die in den USA herrschte, und 2001 gab es ja auch nach dem Zusammenbruch der beiden Türme ein Heft von Spider-Man, wo die Superhelden davor stehen und sagen, wir konnten euch leider nicht helfen.

Bürger: Das heißt, die Filme, die stützen sich jetzt nicht nur auf die mittlerweile 650 Episoden in den Comicheften, sondern erzählen auch ganz eigenständige Geschichten?

Schikowski: Interessant ist natürlich bei den Filmen, dass die sich immer wieder auf die quasi Gründerjahre berufen. Also dieser Gründungsmythos von Spider-Man, der in den ersten, ich sage mal, 100,120 Heften stattgefunden hat, der ist Ausgangspunkt auch immer noch für die Filme. Was später war, das wird dann höchstens mal gestreift mit dem schwarzen Kostüm. Aber insgesamt wird immer wieder zurückgeblickt auf die frühen Jahre von Spider-Man.

Bürger: Es gibt ja neben Superman und Batman noch viele andere Konkurrenten auf dem Markt der Superhelden, "The Avengers" oder auch "The Dark Knight". Wie behauptet sich Spider-Man in diesem Pool? Was unterscheidet ihn?

Schikowski: Es gibt ja zwei große Firmen in Amerika, das ist DC Comics und Marvel Comics. DC Comics, das ist Batman und Superman und die Justice League. Und Marvel Comics, das ist halt Hulk und Fantastic Four und Spider-Man. Und in diesem Marvel-Universum wurde schon sehr, sehr früh etabliert, dass die Helden sich gegenseitig besuchen oder gemeinsam Abenteuer erleben. Und mittlerweile ist in den Comics es ja so weit, dass Spider-Man auch ein Mitglied der Avengers ist, und ich könnte mir vorstellen, dass das in Zukunft auch irgendwann mal angedacht ist.

Bürger: Ist Spider-Man fürs Kino auch besonders attraktiv, weil man mit und an ihm die neuesten Special Effects ausprobieren kann, jetzt erstmals in 3D?

Schikowski: Auf jeden Fall. Es hat ja schon Realverfilmungen gegeben in den 70er-Jahren, die sind im amerikanischen Fernsehen gelaufen, und hierzulande dann als Kinofilm verkauft worden, und das sah – das sieht schon sehr lustig aus im Nachhinein, weil die Tricktechnik einfach noch nicht so weit war, und man sah die Seile, an denen er die Wände hochgezogen wurde. Und jetzt erst in den letzten zehn Jahren hat sich die Tricktechnik so weit verändert, dass es auch möglich ist, so was auch glaubwürdig im Kino darzustellen.

Bürger: Mit Spider-Man lassen sich ja umfassend Geschäfte machen. Es gibt unfassbar viele Produkte, von Computerspielen über Poster bis hin zu Bettwäsche, Rucksäcken, Uhren, Schulbrotdosen – es gibt wirklich nichts, was es nicht gibt. Wofür steht diese Marke Spider-Man?

Schikowski: Es ist natürlich letztlich so, es gibt ja viele Marken im Comicbereich, die so ausgeschöpft werden. Das ist ja bei Batman nicht anders, das ist ja auch bei Asterix beispielsweise nicht anders. Bei Spider-Man ist es schon in erster Linie, würde ich sagen, dieses ikonische Kostüm.

Wie ich sagte, ich habe eine kleine Tochter, die ist im Kindergarten, und ich sehe da sehr, sehr häufig, sehe ich andere Kinder mit Spider-Man-T-Shirts rumlaufen, wo ich wetten würde, dass ein Vier-, Fünfjähriger noch niemals einen Comic in der Hand gehabt hat, noch einen Film gesehen hat, aber die kennen schon alle diese Figur, und das ist eigentlich sehr, sehr spannend, dass die kleinen Kinder da schon herangeführt werden, obwohl sie die Inhalte noch gar nicht kennen.

Bürger: Das heißt, die Marke hat ein Eigenleben?

Schikowski: Die entwickeln ein Eigenleben ein Stück weit, ja.

Bürger: Was wünschen Sie Spider-Man zum 50. Geburtstag?

Schikowski: Ich wünsche ihm natürlich, dass er noch möglichst lange sich hält, und für die Comics würde ich mir ein wenig wünschen, etwas mehr Stringenz und vielleicht ein wenig mehr Konzentration und Rückbesinnung auf die alten Tugenden, denn da geht es doch gerade – um es so zu sagen, wenn man den Film guckt und dann einen Comic lesen möchte, dann ist man erst mal doch ein wenig vor den Kopf geschlagen, denn da hat sich so, so viel getan, und man wird überhaupt es sehr, sehr schwer haben, in die Serie wieder rein zu finden, und da würde ich mir wünschen, dass man ein wenig wieder klassischer erzählt.

Bürger: Warum findet man da schwer herein? Ist das so eine Insidergeschichte geworden?

Schikowski: Es ist ja so, man muss ...

(Verbindung abgebrochen)

Bürger: Ups, da ist er uns davongeschlichen, der Comicexperte Klaus Schikowski. Aber wir waren im Grunde auch am Ende unseres Gespräches über Spider-Man, zum 50. Geburtstag. Am Donnerstag kommt der neue 3D-Film in die Kinos.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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Der Comic-Autor und Erfinder von "Spiderman", "Hulk" und den "X-Men", Stan Lee, im Jahr 2002 in Los Angeles.
Der Comic-Autor und Erfinder von "Spider-Man", "Hulk" und den "X-Men", Stan Lee, im Jahr 2002 in Los Angeles.© AP Archiv