Der Mensch im Mittelpunkt des Schmerzes

18.11.2012
Führende Schmerzexperten aus Deutschland berichten in diesem Buch über die neuesten Erkenntnisse der Schmerztherapie. Die wichtigste Einsicht: Der Patient selbst muss mitmachen.
Was ist entscheidend für den Erfolg einer Schmerztherapie? Es sind die Patienten selbst. So lautet die wichtigste Botschaft des neuen Ratgebers "Schmerz - eine Herausforderung". Das Autorenverzeichnis des schmalen, aber hoch informativen Buches liest sich wie ein "Who‘s Who" der führenden Schmerzexperten Deutschlands und versammelt die Fachkompetenz der großen Schmerzgesellschaften.

Viele Menschen mit chronischen Schmerzen ziehen sich demoralisiert zurück und schränken ihre Bewegungsfreiheit immer mehr ein. Sorgen, Ängste, depressive Verstimmungen lassen Stress entstehen, der wiederum verstärkt den Schmerz - das ist der Teufelskreis einer "Schmerzkrankheit".

Die Zahlen, die das Buch anführt, sind alarmierend: In Deutschland sind rund 17 Prozent der Bevölkerung von lang anhaltenden Schmerzen betroffen - in absoluten Zahlen ausgedrückt, betrifft dies mehr als 12 Millionen Menschen. Neben immensem Leiden verursachen Rückenschmerzen, Migräneanfälle & Co auch erhebliche volkswirtschaftliche Kosten. Auf 38 Milliarden Euro jährlich beziffern die Autoren diese Summe.

Doch was ist Schmerz überhaupt und welche Faktoren machen ihn chronisch? Welche Rolle spielt die Psyche für das Schmerzsystem im Körper? Was unterscheidet einen Migräneanfall von anderen Kopfschmerzen? Wie funktioniert eine Schmerzdiagnostik und in welchen Einrichtungen finden Schmerzpatienten therapeutische Hilfe? Auf alle diese Fragen gibt das Buch klar und präzise Antwort, lagert wichtige Botschaften in Textkästen mit orangefarbenem Ausrufezeichen aus und liefert im Anhang praktische Zusatzhilfe mit Glossar, Links und Literaturverzeichnis.

Aus der Fülle ähnlicher Publikationen sticht das Buch heraus, weil die Autoren immer wieder auch weniger bekannte Zusammenhänge differenziert beleuchten. Beispielsweise die Wichtigkeit psychosozialer Umstände. Wer in Beruf und Familie permanenten Konflikten ausgesetzt ist, wer dazu neigt, eisern durchzuhalten oder sich in belastenden Situationen ängstlich zurückzieht, ist für chronische Schmerzen besonders anfällig. Andere interessante Kapitel befassen sich mit dem Zusammenhang von Geschlecht und Schmerz oder auch mit der Frage, wie sich die Schmerzen von Demenzpatienten abschätzen lassen, die ihre Gefühle nicht mehr verbalisieren können.

Moderne Schmerztherapien arbeiten "multimodal", erklären die Autoren: Mehrere Therapieformen sollten gleichzeitig eingesetzt werden. Hier ist nun auch die Eigenverantwortung der Patienten gefragt: Je früher ein Mensch mit Schmerzproblemen einen Arzt aufsucht und je hartnäckiger er die aufwendige und oftmals langwierige Suche nach der richtigen Therapiekombination unterstützt und selbst vorantreibt, um besser wird die Hilfe greifen. Bislang dauert die Leidensgeschichte von Schmerzpatienten in Deutschland durchschnittlich sieben Jahre, ein Fünftel der Betroffenen muss sogar zwanzig Jahre auf Hilfe warten. Das kompetente Buch liefert einen wichtigen Baustein für eine bessere Zukunft in der Schmerzversorgung.

Besprochen von Susanne Billig

Hans-Günter Nobis, Roman Rolke, Toni Graf-Baumann (Hrsg.): Schmerz - eine Herausforderung, Informationen für Betroffene und Angehörige
broschiert, 26 farbige Abbildungen
Urban und Vogel, München 2012
168 Seiten, 9,95 Euro