Der Kosmos eines Malers

Undatierte Aufnahme eines Selbstbildnisses des norwegischen Malers Edvard Munch
Undatierte Aufnahme eines Selbstbildnisses des norwegischen Malers Edvard Munch © picture alliance / dpa
04.09.2013
Eine Biografie aus Bücher-, Aufsatz- und Zeitungszitaten? Ja, das geht, wie Steffen Kverneland mit seiner lesenswerten Graphic Novel über den expressionistischen Maler Edward Munch beweist. In diesem Buch erfährt man auch, dass der Norweger turbulente Jahre in Berlin hatte.
Am Anfang steht ein Paradox. Einerseits haben sie unzählige Gespräche über die Kunst Edvard Munchs geführt. Haben etwa diskutiert, wie der große norwegische Maler zu seiner Bildsprache gefunden hat, und was er ausdrücken wollte. Andererseits gingen den Kunst-Fans und Comic-Autoren Steffen Kverneland und Lars Fiske genau diese Art Experten-Gespräche gegen den Strich.

"Nerds, die Munch nie getroffen haben, sitzen 100 Jahre später da und schustern sich was zusammen." (Fiske)

"Wenn ich einen Comic über Munch machen würde, wär das Manuskript eine reine Collage von Zitaten." (Kverneland)


Sieben Jahre später ist dieser Wortwechsel selbst zum Zitat geworden. Steffen Kverneland hat ihn seiner fulminanten Graphic Novel über Edvard Munch als Einleitung vorangestellt.

Tatsächlich hat der Comic-Zeichner seine im Gespräch mit Fiske geborene Idee umgesetzt und erzählt Munchs Leben ausschließlich in Zitaten. Jeglicher Text – ob Sprechblase oder Kommentar – entstammt Aussagen von Freunden und Zeitgenossen, Büchern, Aufsätzen und Zeitungsartikeln über Edvard Munch sowie Selbstaussagen des Künstlers aus Tagebüchern, Briefen und Notizen. Selbst dessen Zeichnungen, Grafiken und Gemälde – von Kverneland so mutig wie kongenial umgesetzt – fließen in die Biografie ein.

Die Graphic Novel erzählt nicht chronologisch, sondern lässt ausgesuchte Momente und Begebenheiten des 1863 geborenen Künstlers Revue passieren. Geschildert werden etwa Munchs turbulente Berliner Jahre (um 1892) mit der wegweisenden Freundschaft zu August Strindberg und seine Aufenthalte in Paris (1889). Auch das Verhältnis zu Frauen und die vom Tod der Mutter und Schwester überschattete Kindheit nehmen viel Raum ein, ebenso wie die Entstehungsgeschichte der berühmtesten Bilder ("Der Schrei", "Das kranke Kind", "Madonna").

Kvernelands erzählerische Mittel sind überwältigend. Er setzt auf einen schier unglaublichen künstlerischen Stilmix und arbeitet mit Kreiden, Buntstiften und Wasserfarben. Unmittelbar neben- und hintereinander kommen Aquarelle, Zeichnungen, Skizzen und sogar Fotografien zum Einsatz. So sind etwa die Berliner Jahre mit kräftigen Farben und kantigem Strich expressionistisch eingefärbt, die frühe Zeit in Oslo pastellen und die Familiengeschichte auf braunem Malkarton mit zarten melancholischen Tönen koloriert.

Beeindruckend reihen sich dabei die Werke Munchs in die Bildfolge ein und lassen eindrücklich den Kosmos dieses Malers entstehen und sein künstlerisches Credo begreifen. Insbesondere wenn der junge oder alte Munch – als übergroßer Kopf immer wieder mal in die Szenerie platziert – Kommentare zu dem Abgebildeten abgibt.

Leichte Schwächen hat der Comic lediglich dann, wenn Kverneland sich selbst und seinen Kollegen Lars Fiske mit unnötig zotigen Äußerungen ins Bild nimmt, oder seine Sprache krampfhaft salopp klingt.

Dennoch ist diese Graphic Novel ein Ereignis: absolut bestechend in ihrer stilistischen Eigenwilligkeit und so überzeugend wie originell in der Handhabung der Quellen.


Besprochen von Eva Hepper

Steffen Kverneland: Munch
Avant-Verlag, Berlin 2013
271 Seiten, 34,95 Euro
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