Der kosmische Diplomat

Rainer Stache im Gespräch mit Joachim Scholl · 01.09.2011
Mit einer Auflage von mehr als einer Milliarde Heften ist "Perry Rhodan" die erfolgreichste und auch älteste Science-Fiction-Reihe der Welt. Für den Philosophen Rainer Stache ist "Perry Rhodan" vor allen Dingen "Ideenliteratur", durch die man im Vergleich mit der Realität " sehr viel über sich selber und über unsere Welt erfährt".
Joachim Scholl: Vor 50 Jahren, im September 1961, erschien das erste Heft von Perry Rhodan. Und niemand dachte im Pabel-Moewig Verlag, dass sich diese Science-Fiction-Romanreihe zur erfolgreichsten und längsten Heftserie der Welt entwickeln würde – mit Millionen Lesern und einer Auflage von mittlerweile einer Milliarde Heften.

Zum 50. Geburtstag der Reihe haben wir Rainer Stache eingeladen, promovierter Philosoph, das Thema seiner Doktorarbeit aus dem Jahr 1984: Perry Rhodan. Guten Tag, Herr Stache!

Rainer Stache: Guten Tag!

Scholl: Sie sind Jahrgang 1954 ...

Stache: Richtig ...

Scholl: ... haben mit 14 Jahren einen Perry-Rhodan-Club gegründet, was hat Sie damals als Teenager so sehr an diesen Weltraumabenteuern fasziniert?

Stache: Ich glaube, damals hat man noch nicht so viel darüber nachgedacht wie dann in späteren Zeiten. Es waren farbige Welten, und ich glaube, da waren auch schon im Hintergrund die Dinge, die mich später an dem Science-Fiction immer wieder fasziniert haben, dass es eine Ideenliteratur ist, dass man also über das Lesen dieser an sich irrealen Dinge durch Vergleichen mit der Realität sehr viel über sich selber und über unsere Welt erfährt.

Scholl: Das Interessante ist ja, dass nicht jeweils abgeschlossene Geschichten erzählt werden, sondern sich ganze Zyklen entfalten, über Hunderte von Heften reichen die bisweilen. Wie ist das eigentlich für einen Anfänger, also wenn man einsteigen möchte, kommt man da überhaupt mit?

Stache: Die ersten Romane sind sicherlich schwer, besonders jetzt, wo jetzt das gesamte Oeuvre über 2600 Romane enthält, allerdings ist man eigentlich nach zwei, drei Romanen schon so weit drin, dass man ungefähr weiß, wo es langgeht. Und umgekehrt ist es auch eine Herausforderung wiederum, diese Welt zu erforschen, diesen ganzen Kosmos, der von den Autoren da über 50 Jahre aufgebaut wurde, sodass man mit jedem Moment, wo sich zwei Fäden wieder aneinanderfügen, man dann ein Aha-Erlebnis hat, und das ist auch ein Teil des Lesespaßes.

Scholl: Sie sind jetzt, wenn ich so überschlage, über 40 Jahre mit von der Partie, und wie würden Sie denn sagen, hat sich die Serie über die Jahrzehnte entwickelt?

Stache: Ich glaube, dieser Wandel der Perry-Rhodan-Serie – das war ja auch ein Thema meiner Dissertation – ist mit das Faszinierendste. Perry Rhodan ist immer mit der Zeit gegangen und war zum Beispiel am Beginn, in den 60er-Jahren, ganz klar ein Kind des Kalten Krieges, ohne dass diese Vorwürfe, Perry Rhodan sei faschistisch oder faschistoid, wirklich eine Grundlage hatten, aber man merkte schon, diese Philosophie der 60er-Jahre, dass man Konflikten nicht unbedingt aus dem Weg geht und so weiter.

Und später dann, in der Hippiezeit, in den 70er-Jahren, kam ein anderer Chefautor, und damit kam ein totaler Positionswandel der Perry-Rhodan-Serie in Richtung auf kosmische Abenteuer, Entdecken der Rätsel des Universums und so weiter. In den 80er- und 90er-Jahren kam dann die allgemeine Orientierungslosigkeit auch in der Perry-Rhodan-Serie.

Und inzwischen, in den letzten zehn Jahren würde ich sagen oder etwas über zehn Jahren, hat sich das Team doch wieder gefunden und erzählt stringent farbige Geschichte, in denen auch mal geschossen werden darf – wie zum Beispiel in den 70er-Jahren durfte gar nicht mehr geschossen werden eigentlich –, es darf auch mal geschossen werden, aber es ist nicht der Sinn der Handlung.

Scholl: Jetzt wird er 50, der Perry Rhodan – ich sag nicht immer Rouden, aber ich merke, der richtige Fan sagt nämlich Perry Rhodan. Für ihn selbst sind 50 Jahre ja ein Klacks, denn er ist mittlerweile über 3500 Jahre alt, wenn ich richtig gerechnet habe, weil er ja unsterblich ist durch den Zellaktivator, wie wir vorhin auch von Christian Bernd gehört haben, physisch bleibt er also immer derselbe. Wie aber hat sich denn seine Persönlichkeit verändert im Laufe dieser dreieinhalb Jahrtausende, die er jetzt zählt?

Stache: Er war am Anfang ein knallharter Raumfahrer und Risikopilot der amerikanischen Streitkräfte, und durch die Herausforderungen, die der Kosmos ihm gestellt hat, hat er gelernt, ein kosmischer Mensch zu werden, der sozusagen als universaler Diplomat durch das Weltall reist und teilweise – besonders damals in den 70er-Jahren – sogar gewisse messianische Züge angenommen hat. Das heißt, es sind schon starke religiöse Komponenten teilweise auch in der Perry-Rhodan-Serie gewesen. Perry Rhodan sozusagen als Erretter der Menschheit vor kosmischen Gefahren.

Scholl: Perry Rhodan ist ziemlich Männersache, es gibt fast nur männliche Leser, wie man hört – gibt es dafür eigentlich eine Erklärung?

Stache: Da würde ich mich jetzt ungerne zu weit aus dem Fenster legen ...

Scholl: Ein bisschen.

Stache: Ich glaube, dass diese Sorte Fantasie, die Science-Fiction anspricht, nicht nur Perry Rhodan, Männersache ist. Es ist dieses Spielerische. Sich in fantastischen Welten zu bewegen, ist eher ein Männerding, und Frauen sind, glaube ich, da viel rationaler.

Scholl: Ich meine, Heftromane haben in unserer Kultur keinen sonderlich hohen Stellenwert, Sie, Rainer Stache, haben über Perry Rhodan 1984 promoviert. Wie war das, hat man an der Universität damals nicht die Nase gerümpft über ein solches triviales Thema?

Stache: Aber wie! Und für mich war es gerade der Grund, über Perry Rhodan zu schreiben, weil mich diese bürgerliche Arroganz auf der einen Seite und die linke Ignoranz auf der anderen Seite – aus den beiden Richtungen wurde Perry Rhodan nämlich angegriffen – derart geärgert hat, dass ich mit meiner ehrlichen Sachkompetenz, die ich als Leser ja hatte, dachte, da muss man mal was dagegen sagen.

Und ich denke, dass meine Dissertation da ein paar Türen geöffnet hat, dass man mal in dieser Richtung anders denken kann, dass nämlich Perry-Rhodan-Literatur oder Unterhaltungsliteratur an sich, Heftliteratur, an sich durchaus für bestimmte Leser die bestmögliche Literatur sein kann und die Leute damit zum Lesen bringt und damit für ihre intellektuelle Kompetenz gute Dinge bewirkt.

Scholl: Ich selbst hatte auch in meiner Jugend mal eine Perry-Rhodan-Phase, so mit 13, 14, 15. Mein Liebling war immer der Mausbiber Gucky, das war ein cleveres außerirdisches Wesen. Gibt es den eigentlich noch im Jahr 5050 – so weit sind wir ja glaube ich, bislang, ne?

Stache: Es gibt eine Neue Galaktische Zeitrechnung, ich könnte es jetzt nicht so schnell umrechnen, wir sind irgendwie 1500 NGZ ...

Scholl: Die Neue Galaktische Zeit?

Stache: Genau. Das kommt schon hin ... Und Gucky und die anderen großen Helden wie Atlan und Reginald Bull, die gibt es natürlich immer weiter und die wird es auch immer weiter geben, weil wenn Gucky verschwände, dann würden, glaube ich, die Hälfte der Leser aussteigen. Weil die Autoren spielen dann manchmal mit der Idee, was wäre, wenn jetzt Gucky sterben könnte, und dann gibt es sofort massenhafte Proteste der Leser.

Scholl: Freuen Sie sich jede Woche immer noch aufs neue Heft?

Stache: Ja, Perry Rhodan ist mir ein zuverlässiger Begleiter durch mein Leben geworden, alle Freunde wenden sich mal von einem ab, aber Perry Rhodan ist immer da. Und wenn dann mal gar keine Ruhe einkehren will vor all den hektischen Aufgaben des Alltags, dann ist Perry Rhodan für drei Stunden eine schöne Möglichkeit, mal zu sich selber zu kommen.

Scholl: Und Sie dürften auch, vermute ich, das Gesamtwerk im Schrank haben?

Stache: Ich habe das alles im Schrank und noch ein bisschen mehr an Science-Fiction, und wenn Sie es wissen wollen, auch noch eine recht ausgefallene Musiksammlung.

Scholl: Perry Rhodan, die weltweit erfolgreichste Science-Fiction-Serie, wird 50, und unser Gratulant war der Philosoph Rainer Stache. Herzlichen Dank für Ihren Besuch und das Gespräch!

Stache: Danke schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.