Der Komiker als Wanderer

Rezensiert von Astrid Kuhlmey · 23.06.2006
Hape Kerkeling war auf dem Jakobsweg und hat darüber Tagebuch geführt. Entstanden ist daraus ein Buch, das nicht unbedingt grenzenlos "witzisch" ist. Niemals kommt "Ich bin dann mal weg" gespreizt oder bedeutungsschwanger daher, sondern oft sehr selbstironisch. Das ist das, was den Bericht über die Pilgertour so erfreulich macht.
Der Autor

Der Autor muss im Grunde nicht mehr vorgestellt werden, denn wer hat sich über seinen schrägen bis deftigen, aber nie unter der Gürtellinie agierenden Humor nicht schon einmal scheckig gelacht. Hans Peter - besser unter Hape Kerkeling bekannt- stammt aus dem Ruhrpott, wird in diesem Jahr im Dezember 42 Jahre alt und hat in seiner Schrankwand schon respektable Preise versammelt: vom Scharfrichterbeil, das der 19Jährige verblüfft in der Hand hielt, über den honorigen Grimme-Preis, den Bambi, die Goldene Kamera bis zum Deutschen Comedy Preis – und das ist nur eine schmale Auswahl.

Hape als Königin Beatrix der Niederlande vor dem Schloss Bellevue in blaue Seide gewandet und die großartige "Hurz"-Nummer über zeitgenössische Konzertmusik und ihre humorfreien Jünger waren Geniestreiche eines wirklichen Komödianten. Die Generationen, die mit Fernsehen aufgewachsen ist, für die ist Hape ein Synonym für bestes komödiantisches Entertainment – eines, das nicht im Zynismus badet oder sich an Rohheiten weidet, sondern intelligent, frech und doch voller menschlicher Sympathie für die Schwächen der Menschen ist.

Der Weg

Es gibt ja zahlreiche Jakobswege – aber der, der im allgemeinen als Jakobsweg bezeichnet wird, ist der Camino de Santiago ,der Weg, der kurz vor den Pyrenäen in Frankreich beginnt und über rund 800 km nach Santiago de Compostela führt. Er gilt seit dem Mittelalter neben der Pilgerreise nach Rom und Jerusalem als der dritte wichtige Pilgerpfad der Christenheit. Seit 1993 ist er in der UNESCO-Liste des Welterbes. Sein Symbol ist die Jakobsmuschel, die sich wiederum auf den heiligen Jakobus bezieht, dessen Grab der Legende nach in Santiago de Compostela, an der Stelle der imposanten Grabeskirche liegt.

Ziel der Pilgerreise ist die Nähe zu Christus und die Suche nach den christlichen Wurzeln in jedem Pilgerleben – also das Nachdenken über die eigene Existenz, Bilanz des bisherigen Lebens. Und da sich solche Fragen nicht nur tiefgläubige Christen stellen, wird der Weg natürlich nicht nur von den klassischen Pilgern erwandert.

Der Wanderer und Komiker Kerkeling und der christlich intendierte Weg – eine seltsame Paarung

Eine Paarung, die zunächst verwundert und ich habe mich auch sofort gefragt: Will da einer die zahlreichen esoterischen Trips in unserer säkularisierten Welt auf die Schippe nehmen? Diesmal nicht als Königin Beatrix vor Bellevue, sondern mit Pilgerstab und Rucksack den Sinnsuchern auf dem Jakobsweg auf der Spur –die versteckte Kamera im Schlepptau.

Aber nichts da: Hape Kerkeling hatte einen Anlass und Gründe für die Wanderung in 35 Stationen fanden sich beim Gehen ziemlich schnell.

Der Anlass waren ein Hörsturz, eine Gallenblasenoperation und ein drohender Herzinfarkt. Der damals 38-Jährige – denn er ist 2001 gewandert – musste also eine Entscheidung treffen: Fitnessstudio und kürzer treten oder raus dem TV-Rummel und etwas ganz anderes tun, als das, was man täglich macht. Das Ergebnis der Überlegungen: "Ich bin dann mal weg – meine Reise auf dem Jakobsweg", so lautet der Titel des Buches, das seine Tagebucheintragungen aus knapp zwei Monaten Unterwegssein zusammenfasst.

Das Buch ist also durchaus eine ernst zu nehmende, wenn auch leicht geschriebene Chronik. Leicht, da Kerkeling nicht mit einem Heiligenschein herumrennt, weil er auf dem Jakobsweg läuft. Er findet keineswegs alle Begegnungen und Erlebnisse so menschlich erhebend. Auch auf dieser Route wird abgezockt, sind Herbergsväter Unteroffiziere, stinkt es in manchen Refugios - also Übernachtungsstätten - , dass sich einem der Magen umdreht, wird nach wildem Sex Ausschau gehalten, tummeln sich Spinner, Säufer und Scharlatane – dass einige dann wiederum anrührend und originell sind, zeigt, dass nichts so ist, wie man vorschnell annimmt.

Kerkeling beobachtet seine Weggenossen lange Zeit aus der Perspektive des Single- Wanderers, erlebt eigene Krisen – die Füße, die Beine, der Rucksack wiegt 11 Kilo, die Hitze ist mitunter kaum noch zu ertragen , Staub, dann wieder Nebel, kein Baum , kein Strauch, enge Wege voller Geröll, die Wasserflasche gerade verloren und Typ, der ihn gerade blöd angemacht hat, Sehnsucht nach Kommunikation.

Ein paar Mal kann er nicht mehr, einmal bricht er fast in Tränen aus – am Ende heult er vor Glück. Und ständig fragt er sich: Was mach’ ich hier eigentlich – meine Freunde in Deutschland halten mich eh für bekloppt? Reitet mich der Teufel – ein bekennender Couch Potato auf einer Pilgerreise, die angeblich nur 15 Prozent der Wanderer wirklich ganz bewältigen. Und natürlich die wichtigste Frage: was suche ich als ehemaliger Katholik auf diesem Weg? Gott? Irgendwie scheint er dafür nicht so recht geschaffen.

Was er jedoch findet, sind zwei Freundinnen, mit denen er das letzte Drittel der Reise gemeinsam bestreitet – eine kleine rothaarige kluge Engländerin und eine ebenfalls rothaarige politisch engagierte Neuseeländerin. Und er denkt über die wesentlichen Punkte seines Lebens nach – über Mut, Ehrlichkeit, Solidarität beziehungsweise Mitmenschlichkeit – und das berühmte "Loslassen" – leider inzwischen zu einer Floskel verkommener Begriff, ist in seiner Essenz jedoch völlig richtig.

Ein Entertainer plaudert – ein Buchautor schreibt

Kerkeling hat über diese Pilgertour Tagebuch geführt, hat die großen und auch nebensächlichen Erlebnisse festgehalten, sich den existentiellen Fragen seines Lebens gewidmet , aber er beschreiben auch in welcher Apotheke er Pflaster kauft oder wie viel Milchkaffee er morgens in sich hineinschüttet. Das ist Tagebuch.

Er hat das für sein Buch in eine Sprechsprache übertragen, er erzählt sozusagen im Gehen, niemals gespreizt oder bedeutungsschwanger – oft sehr selbstironisch. Das ist das, was das Buch für mich so erfreulich macht. Es waren ja zwei Varianten denkbar: einmal grenzenlos "witzisch" oder eben erhaben, so nach dem Motto: die andere Seite von Hape. Glücklicherweise hat er den dritten Weg gewählt: sehr natürlich, ein wenig ironisch, auch nachdenklich und ziemlich ehrlich.

Wenn dann das Lektorat des Malik Verlages noch etwa hundert Seiten gestrichen hätte, wäre ich vollends glücklich gewesen nach der Lektüre. Denn manche Dinge sind halt doch nicht so interessant und drehen sich auch ein wenig im Kreis. Aber da kann man auch im Schweinsgalopp drüber hinweg lesen – doch das hätte man vermeiden können.

Und noch als PS: Die absoluten Laienfotos haben im Zeitalter der ausgefeilten Digitaltechnik schon wieder den Charme des vergangenen Jahrhunderts.


Hape Kerkeling: Ich bin dann mal weg – Meine Reise auf dem Jakobsweg
Malik Verlag , München 2006, 352 Seiten