"Der Körper ist eine Ware geworden"

Charlotte Kerner im Gespräch mit Katrin Heise · 01.12.2008
Die Autorin des Buches "Kopflos", Charlotte Kerner, erwartet, dass die Verpflanzung von Organen eine immer größere Rolle in Gesellschaften mit immer älter werdenden Menschen spielen wird. Es werde im Bereich der Transplantationsmedizin auch immer einen Schwarzmarkt geben, sagt Kerner.
Katrin Heise: Die Transplantationsmedizin hat große Fortschritte gemacht. Nieren-, Leber- und Herztransplantationen gehören heute ganz selbstverständlich quasi zu unserem Alltag dazu. Neben inneren Organen können die Mediziner inzwischen aber auch Hände verpflanzen. Im November 2005 wurde sogar ein Gesicht und im Sommer diesen Jahres ein komplettes Paar Arme transplantiert.

Die Frage, die sich angesichts dieser Möglichkeiten stellt, ist natürlich: Wer ist der Mensch eigentlich? Was geschieht bei einer Verpflanzung mit der Identität eines Menschen? Um diese Fragen geht es auch der Wissenschaftsjournalistin und Buchautorin Charlotte Kerner, die einen Zukunftsroman geschrieben hat über eine spektakuläre Transplantation. "Kopflos" heißt ihr Buch. Schönen guten Tag, Frau Kerner.

Charlotte Kerner: Hallo.

Heise: Können Sie in drei Sätzen beschreiben, was in Ihrem Roman geschieht?

Kerner: Ja, in dem Roman entscheiden sich eine Mutter, die einen hirntoten Sohn hat, der im Krankenhaus liegt, und eine Ehefrau, deren Mann ist Maler, er ist durch einen Autounfall verletzt, an ihm ist, sage ich mal, alles krank, kaputt, außer dem Kopf. Die entscheiden sich, diese zwei Teile zusammenzunehmen, also letztlich einen neuen zu erschaffen, wobei jede das macht, weil sie ihren Sohn oder den Ehemann nicht verlieren will. Also es geht eigentlich um die Frage, wie weit gehe ich, damit ich einen geliebten Menschen nicht verliere. Und das ist die Geschichte, die ich dann in dem Buch durchspiele.

Heise: Das heißt, der eine Verletzte bekommt quasi den Körper eines Hirntoten?

Kerner: Richtig. Sie haben ja vorhin erwähnt, dass Arme verpflanzt werden. Im Prinzip kann man sagen, es ist eine Ganzkörperspende. Klingt besser als Kopftransplantation.

Heise: Ja, es klingt aber auch ein bisschen wie Frankenstein, also einen Menschen erschaffen, einen Menschen neu erschaffen. Darum würde ich gerne ganz kurz zu den Fakten kommen. Ist so eine Ganzkörpertransplantation eigentlich denkbar, tatsächlich möglich?

Kerner: Im Prinzip ja, es ist bei Affen gemacht worden in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Ich sag jetzt mal, von der Operationstechnik ist es nicht das Problem. Das ist natürlich keine kleine Operation, wie man bei den Händen gesehen hat, aber im Prinzip ist es möglich. Das Einzige, was noch nicht geht, und das ist der Science-Fiction, als das Einzige, was ich annehme, was noch nicht Realität ist, das Rückenmark kann man noch nicht wiederherstellen. So deswegen, im Buch ist man ja frei zu sagen, okay, es funktioniert, und das ist wirklich jemand, der genauso sich wieder bewegen kann.

Heise: Wie erlebt Ihre Romanfigur oder Figuren, wie überlebt die Person, die da jetzt also dann nach der Operation ist, ihr Sein im fremden Körper, diese ganz neue Existenz?

Kerner: Ich meine, das ist ja die Geschichte, die ich im Buch auf vielen Seiten darlege, aber vielleicht mal schon vorweg, weil Sie vorhin sagten gruselig und Frankenstein: Es gibt bei mir ein Happy End, insofern, dass dieser neue, und ich glaube, es ist eben ein neuer, es ist nicht Gero, so heißt er, dessen Kopf einen neuen Körper bekommt, der bleibt so nicht, er kann nicht so bleiben. Es wird eigentlich ein neuer Mensch entstehen in dieser Wechselwirkung zwischen Gehirn und Körper, was wir im Prinzip ja auch beobachten können, wenn man kleine Kinder eine längere Zeit mal wirklich genau anschaut, wie die sich entwickeln, indem sie den Körper entdecken, dann auch intellektuelle Fähigkeiten entwickeln, das ist ein sehr kompliziertes Wechselspiel. Also wir sind sicher mehr, als jetzt unser Denkorgan, unser Gehirn, unser Kopf sind wir nicht alleine. Wir brauchen auch den Körper, dass wir genauso sind, wie wir eben geworden sind, dass wir so sein können.

Heise: Das ist ja auch das, worüber eigentlich der ganze Roman diskutiert, welchen Anteil unser Körper an unserer Identität hat.

Kerner: Richtig.

Heise: Was sagen Sie da?

Kerner: Natürlich ist der Körper ganz wesentlich Teil unserer Identität. Ich habe ja gesagt, Gehirn ist ja, wenn Sie wollen, auch Körper. Also wir gehen ja nicht durch die Welt und denken ständig, aha, da hört die Hand auf, aha, jetzt setze ich diesen Schritt. Das sind ja Reflexe, Automatismen, ein Wissen, was im Gehirn verortet ist, was sich in vielen Jahren rausgebildet hat. Und ich finde immer ein sehr schönes Beispiel, wenn man an die Geschichte von Kafka denkt, wenn eines Morgens jemand aufwacht und er denkt noch genau wie wir, er hat sich im Gehirn nicht verändert, aber er sieht aus wie ein Käfer. Also wer ist das denn?

Umgekehrt, wenn jemand hirntot ist, was wir gesellschaftlich definiert haben, dass wir das akzeptieren, um eben Organe transplantieren zu können, trotzdem liegt da dieser Mensch, den ich kenne, der eine Geschichte hat. Man sagt ja immer, Hände sprechen Bände. Ich kann jemandem ansehen, was er für ein Leben gelebt hat. Also deswegen ist es alles etwas komplizierter, und deswegen ist das Buch auch jetzt nicht so, dass man sagt, okay, es gibt jetzt die simple Lösung, sondern, ja, das sind genau Sachen, die man selber, auch wenn man es, glaube ich, liest, an sich irgendwie beobachtet, wahrnimmt und plötzlich sehr froh ist, diesen Körper zu haben.

Heise: Sie hören das "Radiofeuilleton". Mit der Wissenschaftsjournalistin und Autorin des Romans "Kopflos", Charlotte Kerner, spreche ich über das medizinisch Machbare im Bezug auf Transplantation und die entsprechenden ethischen Fragen, die sich stellen. Frau Kerner, Sie sind eben auch Wissenschaftsjournalistin, welche psychischen Erfahrungen haben Menschen denn gemacht, die Organtransplantationen hinter sich haben?

Kerner: Es sind sehr unterschiedliche natürlich, es ist nicht jeder Mensch gleich. Man kann sagen, wenn die Organe sichtbar sind, das wissen wir jetzt, Sie haben es ja am Anfang erwähnt, seit also auch Hände transplantiert werden, ist es noch mal etwas ganz anderes, dieses fremde Organ sich wirklich im wahrsten Sinne des Wortes einzuverleiben, also zu akzeptieren, dass es auch ein Teil von einem selbst ist. Bei Herzen, bei Nieren ist es einfacher, weil man wirklich auch damit erst mal kein Bild von jemand anders verbindet. Aber natürlich gibt es auch Leute, die sich dann sehr überlegen, wer war das denn, dessen Herz ich bekommen habe, wie ist er denn gestorben, dessen Niere ich bekommen habe. Und da geht man ja in den letzten Jahren sehr viel offensiver damit um.

Auch Leute, die zum Beispiel zugestimmt haben, dass Organe ihrer Angehörigen gespendet worden sind, möchten gerne Briefe bekommen, um zu wissen, ja, es lebt jemand anders noch sehr gut damit. Das ist auch ein Stück weit ein Trost. Es gibt aber auch Leute, die haben jetzt Organe bekommen, die reden wirklich mit dem Spender. Also die sagen so morgens, ja, jetzt geht es uns aber wieder gut. Umgekehrt jemand, der sagt, ich habe überhaupt keine Probleme, mein Herz ist eine Pumpe, der sieht es plötzlich beim Ultraschall, und dann hat er ganz andere Gedanken und Fantasien. Es ist, auch wenn es medizinisch klappt, oft wirklich eine Auseinandersetzung auch mit demjenigen, von dem diese Organe kommen, also auch ein Stück weit eine neue Identität, die man sich da schaffen muss.

Heise: Jetzt wechseln wir mal die Perspektive. Wenn ein Hirntoter auf einem Operationstisch liegt, dann kann man, krass gesagt, diesen Körper ja auch ausschlachten und mit den einzelnen Organen fünf oder sechs Menschen helfen. Die Medizinethikerin Silke Schicktanz von der Universität Göttingen sagt, der Körper wird eine Ware wie andere Waren auch und nach den Gesetzen des globalen Marktes feilgeboten. Und wir wissen auch, dass es einen Schwarzmarkt für Organe gibt. In welche Richtung sehen Sie die Entwicklung?

Kerner: Also sagen wir mal so: Seit das natürlich machbar ist, seit es möglich ist, Organe zu spenden, gibt es auch immer, wenn man jetzt in die Illegalität will, man will ein Organ schneller haben, es gibt ja relativ strikte Regeln dafür, gibt es natürlich immer einen Schwarzmarkt. Jetzt kann man umgekehrt sagen, okay, gehen wir das doch offensiv an, wie ist es mit paarigen Organen?

Heise: Also Nieren …

Kerner: Man braucht nur eine, also ist immer so das Beispiel. Und dann wird immer gesagt, stellen Sie sich vor, eine Familie in Indien braucht Geld. Warum soll der nicht eine Niere spenden, ordentlich medizinisch versorgt mit einem ordentlichen Vertrag. Es ist nicht meine Meinung, ich finde das nicht richtig, aber es wird diskutiert. Und ist es nicht besser, wenn es illegal gemacht wird? Also der Körper ist eine Ware geworden. Es geht ja auch um Sperma, Eizellen, Embryonen werden gehandelt über Grenzen, da gibt es sehr viele Dokumentarfilme, Bücher darüber. Da haben wir einen Markt.

Heise: Da haben wir einen Markt. Haben wir, Ihrer Meinung nach, auch eine entsprechende gesellschaftliche Debatte über all diese Fragen und ethischen Momente, die sich da stellen?

Kerner: Es gibt natürlich eine Debatte, weil es auch in Deutschland nach einer langen Debatte relativ strikte Gesetze gibt, zum Beispiel gerade im Bereich der Fortpflanzungsmedizin. Wir haben strikte Regeln, aber sicher ist, das ist, würde ich sagen, in nächsten Jahren noch ein großes Thema, was noch auf uns zukommen wird.

Heise: Inwieweit nähren diese medizinischen Fortschritte auch unsere Unsterblichkeitsphantasien?

Kerner: Ja, die nähren sie natürlich. Wir hatten ja schon öfters die Diskussion: Jemand ist jetzt 60, kriegt er noch ein Herz? Klar. Ist jemand 70, wie sieht es denn da aus? Oder wenn ich Geld habe: Will ich jetzt doch noch ein junges Herz haben vielleicht? Also wenn die Abstoßungsreaktionen besser im Griff sind, dann kommt man sehr schnell in diese Diskussion, einfach Verbesserung, wo es nicht mehr wirklich eine Therapie ist, sondern, wo ich es mir leiste, mich weiter aufzurüsten, sei es jetzt mit elektronischen Hilfen oder eben auch dann mit jungen Organen. Das ist sicher eine Sache, die auch noch in den nächsten Jahren kommen wird. Das wird so mit diesem Begriff Enhancement immer umfasst.

Heise: Was lässt Sie, Charlotte Kerner, eigentlich immer über solche Themen schreiben? Der Vorgänger zu Ihrem Roman "Kopflos" war der Roman "Blueprint", in dem geht es ums Klonen. Was führt Sie immer wieder dahin?

Kerner: Also ich finde an sich, dass diese ganzen Themen etwas gemeinsam haben. Sie stoßen uns sehr auf diese Frage: Was macht einen Menschen aus, was macht man ein Individuum aus, wie entsteht überhaupt ein Bewusstsein, dass ich ich bin. Und das hat mich beim Klonen interessiert und das hat mich jetzt auch bei diesem Thema der Körperspende oder Kopftransplantation interessiert. Das ist ja auch ein Thema, was schon in alten Legenden vorkommt, also diese Frage, wo verorten wir eigentlich unsere, jetzt sage ich es mal mit dem Begriff, Seele.

Wir machen ja auch immer die Unterscheidung zwischen Körper, können wir medizinisch, naturwissenschaftlich beschreiben, und einem Leib, also wenn man so will, einem beseelten Körper - also wo sind da die Unterschiede? Und das ist natürlich etwas, was uns beim Klonen genauso interessiert wie bei der Transplantationsmedizin.

Heise: Vielen Dank, Charlotte Kerner, Autorin des Buches "Kopflos", erschienen im Piper Verlag. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Kerner: Ja, danke auch.

Heise: Und in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Bild der Wissenschaft" ist außerdem ein Artikel mit dem Thema "Wann wird der erste Kopf verpflanzt" erschienen von Charlotte Kerner.