Der Kandidat und das Mädchen

Von Rainer Burchardt · 15.08.2011
Natürlich: Das Politische ist privat und das Private politisch. Wenn es überhaupt einen Grund für diesen peinlichen Rücktritt geben kann, dann den, dass Christian von Boetticher dies außer Acht gelassen hat. Für einen angeblichen Vollblutpolitiker mehr als nur eine Petitesse.
Dieser Lehrsatz ist das Grundgesetz für politische Amtsinhaber. Das kann, muss aber nicht unbedingt mit dem jetzt wieder arg strapazierten Begriff der politischen Moral zu tun haben. Ganz davon abgesehen, dass Politik per se eher unmoralische Aspekte zu eigen sind.

Und in dieser Logik ist der 40-jährige lockere Blonde aus dem Norden weniger ein Opfer seiner eigenen Bedenkenlosigkeit gegenüber der nun in der Tat befremdlichen Liaison zu einer Minderjährigen als vielmehr des in Kiel offenbar auf ewig installierten Intrigantenstadels geworden. Kieler Kabale die Nächste.

Wenn schon Gerüchte vom Betroffenen unter Tränen als mögliches Erpressungspotenzial bezeichnet werden, dann muss es schlimm stehen um die Union und deren Protagonisten im Norden. Zumal der nicht nur in diesem Fall ziemlich naiv wirkende Spitzenkandidat offenbar seine skurrile Liebesbeziehung durchaus guten Freunden, vielleicht auch Parteifreunden anvertraut hatte. Diese, so sagt er nun, hätten sogar Verständnis für ihn gehabt. Damals jedenfalls. So, genau so, lässt man - und dies nicht nur in der Politik, aber eben vor allem dort - Konkurrenten ins offene Messer laufen.

Und da stellt sich dann schon die Frage, was denn eigentlich Ministerpräsident Peter Harry Carstensen gewusst hat, der von Boetticher als seinen politischen Ziehsohn betrachtete und alles erst Anfang Juli dieses Jahres erfahren haben will. Es habe Gerüchte gegeben. Damals hatte der offenbar schwächliche Kandidat sich aus Gründen der politischen Opportunität längst von seinem Mädchen getrennt.

Carstensen soll von Boetticher geraten haben, die "richtige Entscheidung" zu treffen. Politisch - versteht sich. Der schlaue und durchaus listige Landesvater hatte schließlich längst von der wachsenden Unzufriedenheit der Parteibasis mit von Boetticher Wind bekommen und musste um den Machterhalt der Union an der Waterkant mit dem umstrittenen Spitzenkandidaten fürchten. Nicht nur hinter der vorgehaltenen Hand wurde Carstensens Favoriten politische Farb- und Tatenlosigkeit vorgeworfen. Von Boetticher habe kein Profil hieß es. War das das mögliche Erpressungsszenario, von dem dieser jetzt sprach, jedoch privat- moralische Aspekte bemühte?

Dies allerdings sollte die CDU selbst einmal versuchen, denn ihre heuchlerische Haltung, die man auch Gnadenlosigkeit nennen könnte, entlarvt sie als ein Ensemble politischer Intriganten, die ihre Pfründe entgleiten sieht. Christliche Grundwerte jedenfalls sehen anders aus.
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