Der Kampf um die Seelower Höhen

Von Wolf-Sören Treuschon · 16.04.2005
Zweieinhalb Millionen sowjetische Soldaten warteten Mitte April 1945 entlang der Oder auf ihren Einsatzbefehl. Ihr Ziel: die Eroberung der deutschen Hauptstadt. Die Truppen der westlichen Alliierten standen zur gleichen Zeit bereits an der Elbe - es begann der Wettlauf auf Berlin. Am 16. April 1945 startete die Rote Armee ihre Großoffensive gegen Deutschland. Drei Tage dauerte die Schlacht um die Seelower Höhen.
"Heute Morgen traten die Bolschewisten auf der ganzen Frontbreite des Küstriner Brückenkopfes zwischen Lebus und Freienwalde zum Großangriff an. Mit zahllosen Geschützen und Salvengeschützen begann noch während der Dunkelheit um 4 Uhr ein zweistündiges pausenloses Trommelfeuer,"

meldet die Propaganda-Kompanie der deutschen Wehrmacht am Morgen des 16. April 1945. Die Erde bebt unter den Artillerieschlägen, in den östlichen Vororten Berlins zittern die Fensterscheiben. Marshall Georgij Schukow führt die Rote Armee mit 68 Divisionen auf die Reichsstraße 1 gegen Berlin:

"Mit unseren Siegen, aber auch mit unserem Blut haben wir das Recht erkämpft, Berlin zu stürmen und als erste die Stadt zu betreten."

Die Zeit drängt: Die westlichen Alliierten befinden sich bereits an der Elbe. Doch der Eroberungsfeldzug der Sowjets gerät schnell ins Stocken. Das deutsche Heer, ein zusammen gewürfeltes letztes Aufgebot aus dem, was nach dem Zusammenbruch der Ostfront geblieben ist, leistet erbitterten Widerstand:

"Insgesamt gesehen gelang es den Sowjets zwar, am heutigen Tag unsere Vorfeldstellung in der Oderniederung zurückzudrücken. Trotz ihrer gewaltigen Artilleriemassierung und dem Einsatz ihrer Jagdbomberpulks, trotz der zahlenmäßig weit überlegenen Infanterie- und Panzerverbände konnten sie aber nirgendwo die entscheidend beherrschende Höhenstufe von Seelow gewinnen."

Das deutsche Heer besteht aus wenigen voll ausgerüsteten und ausgebildeten Einheiten, in der Mehrzahl aber aus Verbänden minderjähriger Soldaten und älterer Menschen, dem so genannten "Volkssturm": fast ohne Waffen, ohne erfahrene Führer und ohne Zusammenhalt. Die Angaben über ihre Stärke schwanken zwischen 60- und 200.000 Mann. Ihr Oberbefehlshaber ist General Theodor Busse:

"Und wenn uns die amerikanischen und britischen Panzer in den Rücken fahren, während wir den Russen jeden weiteren Schritt vorwärts verwehrt haben, so haben wir vor unserem Volk, unserem Gewissen und der Geschichte unsere soldatische Pflicht und Schuldigkeit getan!"

Ihnen gegenüber stehen an der gesamten Oderfront zweieinhalb Millionen Sowjetsoldaten. Als 16-Jähriger wird Heinrich Wüstefeld in die Schlacht um Seelow geschickt:

"Es gab noch zwei Motive, die noch zählten: Das eine war, den Russen soweit aufzuhalten, dass man selbst noch den Rückzug antreten konnte. Und ein zweites Moment war das, dass wir doch bei Gegenstößen erlebt hatten, was der Zivilbevölkerung passiert war. Nach dem Einmarsch der Russen."

Auf Dauer kann die deutsche Verteidigung der sowjetischen Offensive jedoch nicht standhalten. Der Schriftsteller Bodo Homberg, damals als junger Soldat an der Oderfront:

"Wir lagen also in diesem Waldlager und auf unsere Baracken wurden Luftangriffe geführt, sie warfen diese entsetzlichen Splitterbomben ab, die so fürchterlich waren, weil der Zünder durch einen langen Metallstab etwa einen Viertelmeter aus der Spitze der Granate herausragte. Und wie die Bombe zu Boden ging, dann entzündete sich diese Bombe bereits einen Viertelmeter über dem Boden. Das heißt sie verschleuderte unglaubliche Stahlsplitter und die machten entsetzliche Verletzungen, und ich habe diese fürchterlich verletzten Menschen gesehen in diesem Wald. Ich habe zum ersten Mal gekotzt. Wirklich gekotzt."

Am 19. April geht die letzte große Schlacht des Zweiten Weltkrieges in Europa zu Ende. Marshall Schukow gelingt es, die Verteidigungssysteme der Deutschen an den Seelower Höhen zu durchbrechen. Sechs Tage später erreicht die Rote Armee den Stadtrand von Berlin.

Die Erstürmung der Seelower Höhen kostet mehr als 30.000 sowjetischen Soldaten das Leben, die Zahl der gefallenen Deutschen wird auf mindestens drei Mal so hoch geschätzt. Ursula Fischer, deren Vater ebenfalls bei den Kämpfen stirbt.

"Wir haben dann auf den Oderwiesen, auf den Feldern, die so neben dem Oderdamm waren, eine Unmenge von toten Soldaten gefunden. Wissen Sie, das war Mai: Das ganze Frühjahr war sehr schön warm, wir konnten die gar nicht mehr anfassen. Die waren dermaßen in Verwesung übergegangen, es war furchtbar. Wir haben ein Loch gegraben an Ort und Stelle, wo der Mensch lag und haben die nur noch so rein gerollt und zugemacht. So war das."

Man schätzt, dass heute immer noch 3- bis 5.000 Gefallene der Schlacht um die Seelower Höhen unentdeckt im Oderbruch vergraben sind.