Der holprige Weg des Ostens bei seiner Aufholjagd

Von Andreas Baum · 16.05.2012
Sozial und wirtschaftlich hinken die ostdeutschen Länder weiter hinterher. Die Wirtschaftsleistung stockt bei 70 Prozent des Westniveaus. Die so notwendige eigene Kraft nimmt auch jetzt mit neuen Insolvenzen ab. Viele Gründe für die Strukturschwäche liegen in der jüngeren Geschichte.
Es ist der späte Nachmittag des 17. April 2012 – eine hastig einberufene, improvisierte Pressekonferenz im Berliner Nobelhotel Hilton am Gendarmenmarkt: Zwischen 20 und 30 Journalisten sind erschienen, die großen Tageszeitungen, Rundfunk, Fernsehen. Der Presssprecher eröffnet pünktlich:

"Guten Tag. Vielen Dank, dass Sie so zahlreich heute hier erschienen sind, auch wenn’s sehr kurzfristig war."

Am Pult sitzen drei Männer. Neben dem Pressemann sind es Burghard von Westerholt, der Leiter des Photovoltaik-Werks Frankfurt an der Oder. Es beschäftigt 1200 Menschen. Und Christopher Burghardt, der europäische Vertriebsleiter des weltweit agierenden Herstellers von großflächigen Sonnenkollektoren, First Solar, mit Sitz in Tempe, Arizona. Seine Aufgabe ist es, die schlechte Nachricht zu überbringen.

Christopher Burghardt: "Nach einer intensiven Analyse- und Prüfungsphase mussten wir einige harte Entscheidungen treffen, die uns nicht leicht gefallen sind."

Das vergangene Jahr ist nicht sonderlich gut gelaufen für First Solar. Die Bilanz im ersten Quartal 2012 weist einen Verlust von 449,4 Millionen US-Dollar aus. Um seine Aktionäre nicht zu verschrecken, muss das Unternehmen zeigen, dass es bereit ist, alles zu tun, um wieder in die Gewinnzone zu kommen:

"Als Teil des globalen Restrukturierungsprogramms wird das Werk in Frankfurt/Oder geschlossen und die Vertriebsaktivitäten in Europa den neuen Marktgegebenheiten angepasst."

Christopher Burghardt scheut sich nicht, die aus seiner Sicht Schuldigen beim Namen zu nennen. Die Bundesregierung plant, die Förderung für Strom aus Solar-Energie erheblich zu kürzen. Die Branche spricht davon, dass 30 bis 40 Prozent der Arbeitsplätze in ihrer Industrie bedroht sind. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz soll nun der Grund dafür sein, dass 1200 Menschen in Frankfurt an der Oder, insgesamt 2000 weltweit, ihren Job verlieren. Denn die großen Photovoltaikanlagen von First Solar, die nicht auf Dächern, sondern nur auf großen Freiflächen wirtschaftlich sind, lohnen sich nicht mehr, wenn der Staat nicht zuschießt:

"Ausschlaggebend waren politische Entscheidungen, die zu einem Kollaps der Nachfrage in Deutschland geführt haben, und insbesondere im Freiflächensegment, das unser Kerngeschäft ist. Die Novellierung des EEG führt bei uns sogar dazu, dass PV-Anlagen, die größer als Megawatt sind, gar nicht mehr gefördert werden. "

Nun ist es nicht so, dass die Förderung des Stroms aus Solarenergie die einzige Subvention wäre, von der First Solar profitiert hätte. Hinzu kommen rund 27 Millionen Euro vom Land Brandenburg, um das Werk überhaupt zu errichten. Mittel aus den Töpfen des Aufbaus Ost. Bis heute verhandelt Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck über das Ob, Wann und Wieviel einer Rückzahlung. Als am 17. April die Nachricht von der Schließung des Werkes in Frankfurt an der Oder kam, hatten Platzeck und seine Regierung nur einen Wissensvorsprung von zwei Stunden:

"Wir sind von dieser Mitteilung überrascht worden, weil wir mit dem Unternehmen bis vor kurzem in intensiven Gesprächen waren zur Ausgestaltung und Sicherung des Standortes, und dann kam diese Entscheidung. "

Bis kurz vor der Schließung hatte First Solar noch behauptet, das Werk halten zu können, und um weitere Hilfen gepokert. Für die Region gleicht die Nachricht einer Naturkatastrophe: Die Stadt Frankfurt an der Oder rechnet mit Gewerbesteuerausfällen von 28,5 Millionen Euro. Es könnten auch mehr werden, denn an der Fabrik hängen Zulieferer und Dienstleister, die nun ebenfalls von Pleiten bedroht sind. Vorläufig hat die Kämmerin der Stadt deshalb eine Haushaltssperre erlassen.

Ralf Christoffers, Wirtschaftsminister in Brandenburg: "Klar ist eins. Mit der Schließung von First Solar, 1.200 Arbeitsplätze, hat Frankfurt wieder ein Strukturproblem, und zwar ein erhebliches Strukturproblem. Und dieses Strukturproblem ist ein größeres als nur die Schließung von First Solar. Das bezieht sich auch auf den Bereich der gesamten Zulieferindustrie, der ja auch in dem regionalen Wachstumskern in Frankfurt/Oder und Eisenhüttenstadt eine spezifische Bedeutung hatte – und hat. "

Ob Brandenburg seine Fördergelder jemals zurück bekommt, ist offen. Momentan verhandelt das Land mit First Solar über eine Auffanggesellschaft für die fristlos Gekündigten – auch die wird kosten. Den Verdacht, dass die Förderung in Arizona eingestrichen wurde, solange dies in einem globalen Maßstab lukrativ war, versucht First Solar erst gar nicht zu entkräften: Die Angestellten an der Oder werden arbeitslos, heißt es in Tempe, weil Lieferketten in Malaysia unrentabel wurden, und weil in China immer günstigere Solar-Panel auf den Markt geworfen werden.

Aus betriebswirtschaftlichen Gründen sei man verpflichtet gewesen, die Förderungen anzunehmen und es gibt es keine Alternative zur Schließung, sobald die Hilfen nicht mehr ausreichen. Wie groß der Schaden für den Steuerzahler ist, ist noch nicht beziffert. Woran liegt es, dass seit über 20 Jahren immer wieder Aufbau-Ost-Gelder scheinbar nutzlos versickern – und wie lange wird es dauern, bis Ost und West gleichauf sind?

Ulrich Blum, Wirtschaftswissenschaftler aus Halle: "Sicher noch 30, 40 Jahre. Das liegt einfach daran, dass wir in Ostdeutschland eine völlig andere Wirtschaftsstruktur haben, und die wird man nicht kurzfristig heilen können. Wenn man die westdeutschen Regionen nimmt, die ungefähr ähnliche Strukturen haben wie Ostdeutschland. Zu deutsch: Man nimmt aus Westdeutschland München, Stuttgart, Frankfurt, Rhein/Ruhr und Hamburg heraus, dann sinkt die restliche westdeutsche Wirtschaftsleistung auf ungefähr 85 bis 88 Prozent ab, und das ist das, was Ostdeutschland erreichen kann. "

Anfang des Jahres wurde bekannt, dass die Bundesregierung über Monate eine Studie in der Schublade hatte, ohne sie zu veröffentlichen, die genau dies besagt: Die Lebensbedingungen in Ost und West auf gleiches Niveau zu bringen, dauert noch Jahrzehnte. In manchen Regionen wird es nie gelingen. Einzelne Siedlungen müssen sogar aufgegeben werden.
Federführend bei der Untersuchung war Ulrich Blum. Sein unromantischer Blick auf die Verhältnisse, so sagen Beobachter, könnte ihn den Job gekostet haben: Im September 2011 kündigte er an, nicht länger Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts bleiben zu wollen. Seine für die Bundesregierung unbequemen Analysen wurden immer wieder angegriffen und der wissenschaftliche Ausstoß seines Instituts kritisiert. Ulrich Blum neigt zu wenig gefälligen Thesen. Die Gründe für den Stolperfortschritt im Osten sieht er in der Geschichte der Bundesrepublik und der DDR:

"Berlin erfüllt halt seine ökonomischen Aufgaben nicht. Das heißt, wäre Berlin ein Magnet wie München, also praktisch doppelt so reich pro Einwohner, dann hätte auch Ostdeutschland kein Problem und da ist natürlich die wesentliche Wachstumsbremse auch drin. "

Vor der deutschen Teilung war Berlin hoch industrialisert, ein Leuchtturm ohnegleichen. Nach der Wiedervereinigung wurden hier folgenreiche Fehler begangen: Im Osten Berlins wurden Betriebe geschlossen, im Westen wanderte die Industrie ab, weil sie nur durch Subventionen im Kalten Krieg überleben konnte. Die Politik blieb untätig, weil sie glaubte, die Haupstadtfunktion Berlins würde alle Wunden heilen. Die Rechnung ging nicht auf. Denn Dienstleistungen allein, sagt Blum, reichen nicht. Ohne ein Minimum an Industrie kann der Dienstleistungssektor nicht florieren:

"Wenn Sie sich das anschauen, dann ist Berlin in der echten industriellen Produktion etwa bei der Hälfte des bundesdeutschen Durchschnitts. Und es bedeutet faktisch, dass nur zwölf bis 14 Prozent der Wirtschaftsleistung international eingeworben wird. Und der Rest ist alles Wirtschaftsleistung, die aus der öffentlichen Hand kommt. Entweder direkt durch Gelder des Bundes oder von anderen Behörden oder durch soziale Unterstützungsmaßnahmen von Hartz IV bis zur Rente."

Kurt Biedenkopf, sagt Blum, wäre die Sache vermutlich anders angegangen. In Sachsen habe der CDU-Politiker in den 90er Jahren an eine alte Industrietradition angeknüpft. Ähnlich ist die Lage in Teilen Thüringens und Sachsen-Anhalts, sofern dort auch vor dem Krieg Industrien standen. Wenn schon fördern, dann nicht mit der Gießkanne, sondern auf eingefahrenen Wegen. Mit Ausnahme von Berlin sind die ostdeutschen Großstädte deshalb heute Leuchttürme, Dresden und Leipzig, aber auch Jena - Ulrich Blum zufolge ist dies die Perle des Aufbaus Ost:

"Wenn Jena in Baden-Württemberg oder in Bayern läge, dann wäre das völlig unauffällig, wahrscheinlich besonders schön noch anzusehen. Das sind Städte, bei denen ist der Aufbau Ost gelungen, und da muss man ohne Wenn und Aber sagen, da hat sich die Investition gelohnt. "

Anders ist es, wenn ohne Zielführung Geld in eine strukturschwache Region gesteckt wird. Dann können die Subventionen den schwächelnden Gegenden sogar schaden. Genau dies ist dem Wirtschaftswissenschaftler zufolge nach der Wende in den Neuen Ländern geschehen. Es fehlte das Angebot, die Nachfrage wurde gestärkt, die Baukosten stiegen, und mit ihnen die Löhne der Bauarbeiter.

"Dann haben die Industriearbeiter ähnliche Löhne gewollt, dann haben sie ihre Produkte nicht mehr verkaufen können, und dann hat man Industriebetriebe geschlossen. Das nennt man holländische Krankheit, die Abart davon ist dann die ostdeutsche Krankheit, in Holland ist das passiert durch die Gaseinnahmen, mit denen man soziale Wohltaten geschenkt hat, die Lehrer besser bezahlt hat, die Sozialarbeiter, und irgendwann wollten die Arbeiter bei Fokker auch mehr Geld, und dann haben sie keine Flugzeuge mehr verkauft, da hat der Schrempp den Laden dicht gemacht. "

Gemeint ist der deutsche Manager Jürgen Schrempp. Das holländische Beispiel zeigt: Geld allein ist nicht genug. Es schadet, wenn es nur verkonsumiert wird – wie dies nach der Wende geschah. Es muss investiert werden:
"Die Erfahrung lehrt gerade im westdeutschen Finanzausgleich, dass das Erfolgsbeispiel Bayern zeigt ja, dass wenn mal Geld zur Verfügung gestellt kriegt, von reichen Regionen, das war damals vor allem Nordrhein-Westfalen, dass man diese Gelder eben nicht konsumtiv verwendet und damit letztlich nur Preise erhöht und Löhne erhöht, sondern dass man weitgehend investiv damit umgeht."

Hinzu kommt, dass es 40 Jahre lang gedauert hat, von 1948 bis 1988, bis Bayern vom Nehmer- zum Geberland im Finanzausgleich werden konnte. Außerdem hatte der Freistaat einen einflussreichen Lobbyisten in der Bundesregierung. Franz-Josef Strauß hat in den 50er und 60er Jahren, am Ende als Bundesfinanzminister, das Seinige dazu getan, Industrieansiedelungen nach Bayern zu holen. In Ostdeutschland soll, bei schlechteren Bedingungen, das gleiche in 20 Jahren geschafft werden.

Angstgegner der Politiker sind große Wanderungsbewegungen von Ost nach West – obwohl es solche Bewegungen immer gegeben hat– "Der Seppel hilft dem Anton" hieß der Slogan, mit dem junge Arbeitskräfte in den 60er Jahren aus dem Süden ins Ruhrgebiet geholt werden sollten. So konnte Bayern sich gesund schrumpfen. Doch wurden in Ostdeutschland in den 90ern durch falsche Förderung nicht nur Preis- und Lohnstrukturen zerstört. Auch die Treuhand hat ihren Teil zur Deindustrialisierung beigetragen:

"Man hat immer gesagt: 'Soll die Braut schön sein oder soll sie schlank sein?' Und dann hat man die Betriebe, es waren ja keine Unternehmen, zurechtgeschnitten auf die Produktion im Rahmen ihrer Kernkompetenz und hat sie verkauft. Damit hat man natürlich die ganzen Lieferketten in Ostdeutschland zerschnitten. "

So gab es in Ostdeutschland einen funktionierenden Anlagenbau, eine komplette Hydraulik- und Fahrzeugindustrie. Nachdem die Betriebe einzeln verkauft worden waren, konnten sie, da in kleine Teile zerschlagen, nur an westdeutsche Unternehmens-Mütter angekoppelt werden. Die interne Systematik ostdeutscher Handels- und Zulieferkreisläufe ging dabei verloren. Spätestens seit dem neuen Jahrtausend bedeutet Wirtschaftspolitik in den Neuen Ländern Ulrich Blum zufolge nur noch eins: Die Schäden der Treuhand zu reparieren:
"Das hat jetzt 20 Jahre gebraucht, um es wieder halbwegs in den Griff zu bekommen. Das nennen wir heute Cluster. Die ganze Clusterpolitik ist der Versuch, die dezentrale Privatisierungspolitik der Treuhand wieder aufzufangen. "

Die Lösung des Hallenser Ökonomen: Fördern ja, aber anders. Heute geht es darum, Ostdeutsche Unternehmen nicht mehr klein zu halten, sondern ihnen zu helfen, in einem extremen Maß zu wachsen. Anders können sie sich nicht ins Ausland ausbreiten. Eine Firma muss, um global zu bestehen, eine Mindestgröße haben. 50 bis 60 Mitarbeiter genügen nicht:

"Irgendwann müssen sie in der Lage sein, selbständig zumindest zentrale externe Märkte der Welt zu beliefern. Und wenn sie die erfolgreichsten westdeutschen Unternehmen anschauen, dann sind das alles Unternehmen, die haben zwei-, dreitausend Mitarbeiter, die Hälfte beschäftigen sie im Ausland und sind damit international aufgestellt."

Außer diesen Maßnahmen, die den Mut bedeuten, den Aufkauf ausländischer Töchter durch ostdeutsche Unternehmen zu fördern, fehlt es Blum zufolge an gezielter Ordnungspolitik. Würde es erlaubt, auch auf Dächern in denkmalgeschützten Altstädten Solarpanels aufzustellen, die sich ins Stadtbild einpassen, wäre die chinesische Konkurrenz bald erledigt. Und schon einmal hat falsche Regulierung zu einer Firmenpleite und dem Versickern von Staatssubventionen geführt: Die Cargolifter, moderne Zeppeline für den Lastenverkehr, hätten bei anderer Ordnungspolitik überleben können:

"Hätte man gesagt, wir verbieten den Transport gefährlicher Güter durch enge Straßen, dann wäre der Cargolifter dringend erforderlich gewesen für die Montage des Airbus A 380. Also der Cargolifter war eigentlich schon eine brillante Idee. Aber wenn man Dinge erlaubt, die an der Grenze des Erlaubbaren sind, muss man sich nicht wundern, wenn so ein Markt nicht da ist."

Stattdessen wurden in Frankreich Dörfer verlegt und Brücken angehoben. Das Drama deutscher Förderpolitik lässt den Unmut dort besonders hörbar werden, wo für Solidarität kein Spielraum mehr ist. Beispielsweise im Ruhrgebiet. Mehrere Großstädte, allen voran Dortmund, rüttelten im März an einem Tabu und forderten entweder ein Ende des Transfers, oder ein Teil vom Kuchen, oder beides.

Städte wie Oberhausen und Duisburg waren es leid, Schwimmbäder zu schließen und sich zu verschulden, um Geld in den Osten zu überweisen. Matthias Machnig, selbst gebürtiger Westfale, ist heute SPD-Wirtschaftsminister in Thüringen. Er versteht den Unmut in der alten Heimat, erinnert aber daran, dass die Verfassung der Politik keine Wahl lässt. Wir müssen, sagt er, gleiche Lebensverhältnisse herstellen, so steht es im Grundgesetz:

"Die neuen Bundesländer liegen, was die Einkommenspyramide angeht, immer noch ganz hinten. Thüringen ist Vorletzter. Mecklenburg-Vorpommern ist Letzter. Und das heißt, wir müssen etwas tun, weil: Wir können nicht akzeptieren, dass es auch in Deutschland einen Mezzogiorno gibt wie in Italien, der heißt dann 'Neue Bundesländer'. Das halte ich nicht für akzeptabel."

Machnig ist ebenfalls ein Freund der Umleitung von Fördergeldströmen. Er will seine Thüringer Unternehmen wetterfest für den Weltmarkt machen. Dazu müssen sie wachsen. Von einem Umsatz von 80 bis 100 Millionen Euro jährlich auf eine Größe von 200 bis 300 Millionen Euro. Geld aus den Aufbau-Ost-Töpfen würden dann dazu verwandt, Firmen zu helfen, zu internationalen Konzernen zu werden durch Zukäufe, die zu ihrem Portfolio passen.

Es ist klar, dass dies der kritischen Öffentlichkeit und den klagenden Kommunen im Ruhrgebiet noch schwerer zu erklären sein wird, als die bisherige Förderung von Straßenbau und Kleinunternehmertum: Es gibt keine Wahl, sagt Machnig. Denn das Geld fließt sowieso in den Osten. Die Frage ist nur, ob es investiert oder konsumiert wird:

"Es gibt immer ein Vorurteil: Es gibt Milliardentransfers, wird immer suggeriert. Das stimmt auch. Der Großteil sind aber Sozialtransfers. In die unternehmerische Entwicklung gehen vielleicht zehn bis 15 Prozent der Fördermittel."

Machnigs Plan ist so schlicht wie eingängig: Er will das Geld, das er hat, auf Wachstumskerne konzentrieren. Denn die haben sich als erfolgreich erwiesen, das vorbildliche Jena etwa, das Prognosen zufolge bis zum Jahr 2020 das bundesweit zweithöchste Wachstum aufweisen wird. Nur noch eine Stadt liegt dann vor Jena: Regensburg. Thüringens Wirtschaftsminister ist zufrieden. In den Wachstumskernen sei etwas geleistet worden, jetzt zögen andere Regionen nach. Schon sieht Matthias Machnig das nächste Problem auf sich zukommen, eines, von dem andere Bundesländer nur träumen können:

"Ich brauche bis zum Jahr 2020 200.000 Fachkräfte. Ich hab Schulabgängerzahlen von 11.000 im Jahr. Das heißt rein rechnerisch habe ich heute schon eine Beschäftigungslücke von 90.000. Tendenz steigend. Das müssen wir lösen durch massive Qualifizierungsanstrengungen, weil das die Voraussetzung dafür ist, dass unsere Wirtschaft in den nächsten Jahren wachsen kann."

Machnig und die Sozialdemokraten haben, um dieses Wachstum auch dort zu erreichen, wo die industriellen Kerne noch nicht vorhanden sind, die Solarenergie zur Leitbranche für den Aufbau Ost erklärt. Dass dies in offenkundigem Widerspruch zu der Politik von Union und FDP steht, die bei der Energie aus Sonnenkraft Subventionen abbauen will, ist ohne Zweifel Absicht.

Und die Ereignisse scheinen ihnen Recht zu geben. Die Firmenpleiten als Folge der Solar-Kürzung häufen sich. Gerade bei den Erneuerbaren sparen zu wollen, ist Matthias Machnig zufolge fatal – nicht nur für die Perspektive der Neuen Länder:

"Ich kenne keinen Unternehmensbereich, der innerhalb von so kurzer Zeit eine so radikale Veränderung der Investitionsrahmenbedingungen erlebt hat. Das Ziel der Degression ist unstrittig. Es darf aber nicht zu einem führen: Alles, was vom deutschen Markt geht, wird durch die Chinesen ersetzt. Und das, sage ich, ist unverantwortlich, weil die Herren das Ziel der Energiewende aus den Augen verloren haben."

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