Der Herbst des Patriarchen

Von Kirsten Serup-Bilfeldt · 14.09.2013
"Gottes Rottweiler" und "Katholiban von Köln" wurde Joachim Kardinal Meisner schon genannt. Er gilt als autoritär und reaktionär. Gegenstimmen lasse er nicht gelten, werfen ihm Kritiker vor. Nach mehr als 20 Jahren im Amt hat er kürzlich seinen Abgang angekündigt.
Zweifellos eine bunt durcheinandergewürfelte, wenn auch etwas skurrile Gesellschaft: die lange Reihe der Kölner Bischöfe und Erzbischöfe, die seit rund 1500 Jahren Gesicht und Geschichte der Domstadt mitgeprägt haben:

Da war der umtriebige Karrierist Wichfried, der es tatsächlich bis zum Erzkaplan Kaiser Ottos des Großen brachte oder der sinnenfrohe Gebhard von Waldburg, der nicht nur zum evangelischen Glauben konvertierte, sondern auch noch heiratete! Oder auch der nervige Hypochonder Everigisil, der die Kölner durch die Behauptung befremdete, sein Kopfweh könne nur durch Staub aus dem versandeten Brunnen der Kirche St. Gereon Linderung erfahren. Dort nämlich vermoderten die Gebeine von den Märtyrern und Heiligen der Thebäischen Legion.

Tja, und dann gab es natürlich noch den Erzbischof Siegfried von Westerburg, der 1288 gegen ein Bündnis von Fürsten und Bürgern die berühmte Schlacht bei Worringen verlor, aus Köln verjagt und gezwungen wurde, per Vertrag die Souveränität der stolzen Domstadt anzuerkennen!

Vielleicht, so ist heute manchmal spöttisch hinter vorgehaltener Hand im Erzbistum zu vernehmen, brauche man ja eine Neuauflage der Schlacht bei Worringen! Eine andere Möglichkeit, den augenblicklichen Kölner Erzbischof loszuwerden, bestehe wohl nicht... So jedenfalls wird seit vielen Jahren immer wieder über den 94. Amtsinhaber auf dem Kölner Erzstuhl, Joachim Kardinal Meisner gespottet.

Das Ächzen unter Meisners Joch
Der regiert seit 1989 mit harter Hand Deutschlands heiterste Katholikenschar - allerdings nur selten zu deren Wohlgefallen. Nach seinem 80. Geburtstag im Dezember dieses Jahres, wird er, so hat er kürzlich angekündigt, sein Amt aufgeben. Was bei sehr vielen Kölner Katholiken, Laien und Klerikern gleicher-maßen einen Seufzer der Erleichterung auslösen dürfte. Gibt es doch zahllose Gläubige, die seit fast einem Vierteljahrhundert unter dem als autoritär und reaktionär empfundenen Meisner-Joch ächzen:

Rudolf Lill: "Man kann sich gar nicht vorstellen, wohin der Wahnsinn dieser Rückorientierung gegangen ist. Kardinal Meisner hat in Köln ein 1000jähriges Pfarrsystem zerstört."

Was der Kölner Historiker Rudolf Lill hier bilanziert, umfasst nur einen Bruchteil dessen, was in der Amtszeit des Kardinals an Porzellan zerschlagen, an Vertrauen zerstört, an Hoffnungen enttäuscht wurde.

Denn immer wieder sorgte dieser Erzbischof für Schlagzeilen: mit Predigten, Hirtenworten, Interviews, öffentlichen Äußerungen. Immer wieder hagelte es Proteste, Brandbriefe, Beschwerden, Mahnwachen, Kirchenaustritte. In der Presse wurde die Frage diskutiert, ob dieser Kardinal "noch tragbar" sei.

Er hatte Schwangerschaftsabbrüche mit dem Holocaust und das Medikament
zum Abbruch mit Zyklon B verglichen, er handelte sich Strafanzeigen wegen angeblich diffamierender Äußerungen gegen Homosexuelle ein, er kritisierte das neue von Gerhard Richter gestaltete Südquerhausfenster im Dom als "entartete" Kunst (Anm. d. R.: Hier liegt ein Fehler vor. Kardinal Meisner hat das Südquerhausfenster im Kölner Dom nicht als "entartete Kunst" bezeichnet.), beanstandete die Familienverhältnisse der - geschiedenen und wiederverheirateten - Bundeskanzlerin und die des Bundespräsidenten und seiner Lebensgefährtin, erließ Redeverbote, versetzte widerborstige Priester, gängelte und drangsalierte Theologen und Laien gleichermaßen und fegte nach Gutsherrenart Menschen und Institutionen hinweg, die ihm unliebsam erschienen:

Rudolf Lill: "Sein Stil, der päpstliche Stil, der ihm von Rom vorgegeben war, besagte: wer nicht eindeutig zu uns gehört, und wer zuviel Kritik übt, der soll überhaupt nicht den Mund aufmachen in der Gemeinde."

"Sie ahnen ja nicht, wie wir seit Jahren geknebelt werden! Oft hilft nur noch die Flucht in den Sarkasmus: Wer freitags das Generalvikariat verlässt, soll bloß seinen Stuhl mitnehmen, damit er ihn nicht vor die Tür gesetzt bekommt ... "

Zitierte der "Kölner Stadtanzeiger" einen Geistlichen. Ähnliche Erfahrungen nach dem Motto "Hier das lehrende Amt, dort das hörende Gottesvolk" machte auch Pfarrer Franz Decker, ehemaliger Caritas-Direktor in Köln:

"Nach meinem Eindruck war es Kardinal Meisner immer sehr wichtig, deutlich zu machen, dass in der Kirche nicht diskutiert, sondern dass in der Kirche gehört wird. Einer spricht, das ist der Bischof ... "

Die Reaktionen auf diese Haltung blieben nicht aus: "dialogunwillig", "rückständig" "anmaßend", "kommunikationsunfähig" waren noch die behutsameren Attribute, mit denen der Gottesmann belegt wurde. Andere waren weniger feinfühlig und lauteten schlicht:

"Hassprediger", "Katholiban von Köln", "Gottes Rottweiler", "Geistiger Brandstifter", "Der Krawall-Kardinal", "Hetzer auf dem Bischofsstuhl ... "

Der "Spiegel" notierte:

"Joachim Meisner ist der gefürchtetste unter den katholischen Kirchenfürsten der Republik. Der Gotteskrieger von Köln ist mittlerweile zum Wortführer der katholischen Fundamentalisten in Deutschland avanciert. In seinem Erzbistum geben obskure rechtskatholische Gruppen den Ton an - vom Geheimbund Opus Dei, dessen Deutschlandzentrale in Köln sitzt, bis zu dubiosen Missions- und Frömmigkeitszirkeln ... "

Dennoch - an dem Kölner Kirchenfürsten kommt in der katholischen Hierarchie keiner vorbei. Immerhin ist seine Erzdiözese nicht nur die größte, sondern mit Kirchensteuereinnahmen von rund 752 Millionen Euro - das ist die erwartete Summe für dieses Jahr - auch die reichste in Deutschland.

Das gläubige Volk am Rhein wollten den "Neuen" nicht
Schon die Wahl Meisners zum Erzbischof von Köln stand unter keinem guten Stern. Wochenlange Turbulenzen begleiteten 1988 das Wahlverfahren des Geistlichen, der zuvor das sehr schwierige Bistum von Berlin - West und Ost - innegehabt hatte.

In Köln runzelte man bereits die Stirn, als nach dem Rücktritt Kardinal Höffners Meisners Name als Nachfolger ins Spiel kam. Das, was man bis dahin über ihn wusste, wollte so gar nicht zur rheinischen Mentalität und der spezifisch kölschen, liberal-gelassenen Spielart des Katholizismus passen.

Bei Klerus und Gläubigen löste die vermutete doppelt autoritäre Sozialisation des Kandidaten Unbehagen aus. Immerhin kam er aus einer autoritären katholischen Kirchenstruktur in einer diktatorischen DDR. Überdies waren die Kölner Frommen verwöhnt, hatten sie doch zuvor mit Kardinal Höffner und dem legendären Joseph Kardinal Frings zwei Seelenhirten von ganz außergewöhnlichem Format gehabt, wie sich Rudolf Lill erinnert:

"Die Kölner Kirche, in der ich ja großgeworden bin, war eine Kirche eines gewissen Pluralismus ... Der Kardinal Frings hat in der Zeit nach dem Krieg eine große gesellschaftliche Rolle beim moralischen und strukturellen Wiederaufbau geleistet. Und er und die Mehrzahl seines Klerus und die von ihm belassenen und geförderten Laienorganisationen haben dafür gewirkt, dass der Katholizismus auf neuartige Weise in der Gesellschaft präsent war ... Damals war ein relativ freiheitlicher Katholizismus im Rheinland weit verbreitet, ein reformistischer Katholizismus, der dann in das Konzil eingegangen ist, zu dessen großen Trägern ja der damalige Kölner Kardinal gehört hat."

Das gläubige Volk am Rhein, soviel wurde bald klar, wollte den "Neuen" nicht.
Was nichts half, da der einen mächtigen Fürsprecher hatte:

"Wer ihn gewollt hat, war der damalige Papst Johannes Paul II., der in den 80er Jahren begann, seine Umgestaltung der Kirche im zentralistisch-autoritärem Sinne durchzuführen. Und obwohl hier in Köln ja ein Wahlrecht des Domkapitels besteht, hat er alles getan, um seinen Kandidaten durchzusetzen, auch gegen den Willen der Beteiligten. Also, von einem Konsens der Diözese kann keine Rede sein ... "

Weshalb es nun ein heftiges Tauziehen um das Wahlverfahren gab: In Köln besitzt das Domkapitel seit dem Mittelalter das Recht zur Wahl des Erzbischofs. Nach dem Staatskirchenvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Preußen von 1929 muss das Domkapitel eine Liste von geeigneten Kandidaten bei der Bischofskongregation in Rom einreichen, um so die Mitsprache der Kurie zu gewährleisten. Doch diesmal, so Franz Decker, standen die Zeichen auf Sturm:

"Nach der Wahlordnung gab es ja Vorschläge des Vatikans, die aber eine Mehrheit des Domkapitels finden mussten und in drei Wahlgängen ist diese Mehrheit nicht zustande gekommen, sodass keine gültige Wahl möglich war. Dann hat der Papst in das Wahlverfahren eingegriffen und gesagt: es gilt jetzt die allgemeine römische Wahlordnung, und so ist dann Kardinal Meisner gewählt worden."

Erster Skandal nach zwei Jahren
Mit sechs Ja-Stimmen bei zehn Enthaltungen. Rom hatte gesprochen. Die Aufregung unter den Kölner Katholiken flaute ab. Vorerst. Doch die relative Ruhe dauerte nicht lange. Bald grummelte es hier und da, und zwei Jahre später gab es den ersten handfesten Skandal:

Rudolf Lill: "Wenn man die Reihe der Fehlleistungen aufzählen wollte, welche Joachim Meisner in Köln vollbracht hat, dann würde sicher diese Geschichte um den Theologen und Psychotherapeuten Eugen Drewermann und die Herdersche Buchhandlung den Anfang machen ... "

Die nämlich, nur einen Steinwurf vom Dom entfernt und gut katholisch sortiert, hatte sich erdreistet, den Priester, Kirchenkritiker und Psychotherapeuten Eugen Drewermann zu einer Lesung einzuladen. Als das ruchbar wurde, forderte der Kardinal, außer sich vor Zorn, die Lesung abzusagen:

"Und weil die Buchhandlung sich nicht fügte, wurde sie so sehr geschädigt, durch Entzug von Bestellungen und so weiter, dass sie dann schließlich Schluss machen musste."

Ein ähnliches Schicksal erlitt die Karl-Rahner-Akademie, ein vom Jesuitenorden und vom Bildungswerk des Erzbistums getragenes renommiertes Begegnungszentrum, dessen Anfänge bis in die Zeit von Kardinals Frings, Ende der 1950er Jahre zurückgingen.

Die Akademie, die sich in der Tradition des Zweiten Vatikanischen
Konzils sah, galt als lebendiges und offenes Forum mit einem breiten Veranstaltungs- und Meinungsspektrum:

"Weil dort eben so diskutiert wurde wie man es auf dem Konzil gelernt hatte und wie es eigentlich selbstverständlich für eine christliche Kirche ist - vergessen wir nie, dass der Autoritarismus und dieser Zentralismus neue Dinge sind, die nicht zur gesamten Geschichte gehören - weil dort frei diskutiert wurde, ist dann aus dem Generalvikariat Meisners immer wieder angefragt oder kritisiert worden und dann ist man schließlich 2004 dazu übergegangen, dass man die gesamte finanzielle Förderung gestrichen hat ... "

Die Akademie besteht zwar bis heute, weil große Teile katholischer Laien und Priester sich erbarmten und ihr finanziell unter die Arme griffen, aber natürlich kämpft sie um ihre Existenz. Das mag einerseits belastend sein, gibt ihr andererseits aber ein Stück neu gewonnene Freiheit:

"In dem Zusammenhang hat der damalige Leiter des Bildungsreferats im Erzbistum, ein Mann Meisners erklärt, dass der Begriff der akademischen Freiheit, auf den man in der Rahner-Akademie rekurrierte, nicht in das Bild einer katholischen Akademie passte. Also, deutlicher kann man ja nicht sagen, dass man freiheitsfeindlich ist. Eine Kirche, die unterdrückt und nicht befreit. Und deswegen auch eine Kirche, die nicht barmherzig sein kann, sondern unbarmherzig geworden ist."

Der unbarmherzige Katholik
Es mag vor allem diese "Unbarmherzigkeit" sein, die aus vielen Kölner Gläubigen - oppositioneller oder gar rebellischer Umtriebe unverdächtig - regelrechte "Wutchristen" macht. Diese "Unbarmherzigkeit" kann Institutionen und Personen gleichermaßen treffen.

Sie traf Ende letzten Jahres die offenbar durch K. O.-Tropfen betäubte und später vergewaltigte junge Frau, deren Betreuung in zwei katholischen Kölner Kliniken abgelehnt wurde. Begründung: Information über und ein Rezept für die "Pille danach" könne aus ethischen Gründen nicht gegeben werden; das sei, so die vom Erzbistum erlassene Richtlinie, mit christlichem Gedankengut nicht vereinbar.

Sie traf den homosexuellen Theologen und Autor David Berger, dem Meisner die Erlaubnis zur Erteilung von Religionsunterricht entzog. Berger habe durch die in seinem Buch "Der heilige Schein" geäußerte Kirchenkritik das Vertrauen des Kardinals zerstört.

Sie traf den langjährigen Bistumssprecher Manfred Becker-Huberti, der kurzerhand seines Postens enthoben und durch ein Mitglied des extrem konservativen "Opus Dei" ersetzt wurde. Die Kosten der Abfindung, so Rudolf Lill, hatten die Kirchensteuerzahler zu tragen.

Und sie traf vor einigen Jahren den ökumenisch engagierten Priester Günter Fessler, der von seinem Kardinal zu einem "Dialog" eingeladen worden war.
Eröffnet worden sei der mit den Worten:

"Sie können mit mir gern diskutieren, am Ende aber müssen Sie mir aber doch gehorchen ... "

Franz Decker: "Es findet kein Gespräch statt in dem Sinne, dass es einen Austausch von Erfahrungen, Meinungen, Standpunkten gibt ... Und damit wird natürlich jedes lebendige kreative Miteinander schwer beeinträchtigt."

"Extrem unchristlich und herzlos ... Nichts als Befehl und Kasernenhofton statt Dialog. Da wird denunziert, verleumdet, unterdrückt und verfolgt. Meisner verordnet ein Christentum, von dem man sich nur mit Grausen abwenden kann."

So beschrieb der Kölner Journalist und Schriftsteller Ulrich Harbecke die Amtsführung des Kölner Kardinals, der sich anscheinend nur noch mit Ja-Sagern und Opportunisten umgebe, die Laien in den Gemeindeleitungen konsequent entmachtet, sich von der Lebenswirklichkeit seines Kirchenvolks immer weiter entfernt habe.

Blanke Angst im Erzbistum
Die Auswirkungen dieser selbstherrlichen Amtsführung sind deutlich sichtbar. Auch wenn zum Erzbistum Köln noch immer rund zwei Millionen Katholiken und über 700 aktive Priester gehören, traten seit Meisners Amtsantritt rund 300 000 Gläubige aus der katholischen Kirche aus. Mehr als in allen anderen deutschen Diözesen.

Widerstand ist kaum noch auszumachen. Und auch die offenkundige Frage, warum nicht irgendein Prälat mal die Geduld verliere und sage "verdammt noch mal, jetzt reicht's", dürfte schnell beantwortet sein, sagt Franz Decker:

"Die Prälaten, die sagen, "verdammt noch mal, jetzt reicht's", die gibt es nicht mehr ... Die sind selber sprachlos geworden, und es sind keine mehr nachgewachsen ... "

Dass, wie Hannelore Bartscherer, Vorsitzende des Kölner Katholikenausschusses sagt, die "blanke Angst" im Erzbistum umgehe, mag aber nicht nur dem dikatorischen Amtsverständnis des Kardinals geschuldet sein, sondern auch den rigorosen Sparmaßnahmen, mit denen die Kölner Kirchenführung ihre Gemeinden an die kurze Leine gelegt hat. So werden, bedingt durch immer neue Zusammenlegungen, von den insgesamt 800 Pfarreien im Erzbistum, in Zukunft wohl nur noch etwa 200 übrigbleiben. Allerdings, so vermutete der "Kölner Stadtanzeiger", gelten diese Einsparungen auch als willkommener Anlass, Kritiker mundtot zu machen.

Den Kardinal ficht das alles nicht an. Kritik von unterschiedlichen Reformgruppen an seiner Amtsführung oder seinem Amtsverständnis interessiert ihn nach eigener Auskunft nicht. Wenn solche Gruppen ihn lobten, erklärte er, müsse er sich fragen, was er falsch gemacht habe. Von daher ist es wohl nur folgerichtig, dass er sich selbst als "Widerstandskämpfer Gottes" und "Wachhund der Kirche", als Hüter der reinen Lehre und vor allem als treuen Diener der Päpste Benedikts XVI. und Johannes Pauls II. sieht:

Rudolf Lill: "Wir würden wahrscheinlich gar nicht über Joachim Meisner diskutieren, wenn nicht Johannes Paul II. und Benedikt XVI. diesen restaurierten Stil des päpstlichen Zentralismus auferlegt und durchgesetzt hätten. Joachim Meisner ist in Deutschland der effizienteste Vollstrecker dieser Rechtswendung, welche die katholische Kirche um 1980 vollzogen hat.

Ein internationales rechtes Bündnis ist an die Stelle der konziliären Mehrheiten getreten und dieses Bündnis und dessen Exponenten, darunter Joachim Meisner, in Italien Camillo Ruini, in Wien sollte es Hermann Groër sein - wir wissen, wie das geendet hat - dieses rechte Bündnis hat diesen autoritär-klerikalen Stil wieder eingeführt.

Es wird von oben bestimmt, und die unten, dazu gehören schon die Priester, erst recht die Laien, haben auszuführen, was die Bischöfe sagen. Das ist ein Stil, der nicht der Kirchengeschichte und dem eigentlichen christlichen Bewusstsein entspricht. Und es ist das Gegenteil von dem Stil, mit dem das Konzil die katholische Kirche die Welt in die Moderne hineingestellt hatte."

Meisners verlorene Kirchenwelt
Joachim Meisner - auch das muss man sehen - hat sich mit dieser Welt in der Moderne nie anfreunden können. Gelockerte religiöse Bindungen und eine oftmals zerrissene katholische Kirche, die in einer säkularen und pluralistischen Gesellschaft nur noch mühsam Tritt fasst, bedrücken ihn.

Er sieht sich mit einer Kirche konfrontiert, die an Bedeutung und Bindungskraft verloren hat, die akzeptieren muss, dass sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden, dass ihre Macht zerronnen ist.

Dass er selbst seinen Teil zu diesem Machtverlust beigetragen hat, scheint ihm dabei entgangen zu sein. Folglich reiben sich seine Gegner bis heute an seinem herrisch-doktrinären Gehabe mit seinen teils kalkulierten, teils unfreiwilligen Ausfällen.
Und doch, so bilanzierte kürzlich der katholische Theologe Joachim Frank, sei Meisner im Strom des rheinischen Katholizismus, der den lieben Gott einen guten Mann sein lässt, eine Art "Stauwehr, ein Widerpart gegen religiöse Gemächlichkeit":

"Er stand für den "heiligen Ernst" und die Anstößigkeit des christlichen Glaubens. Aber er hat sich auch, fast 25 Jahre lang, einseitig zum Dulder stilisiert, den Widerspruch nicht nachdenklich macht, sondern bestätigt. Andererseits hat es ihn als "Wachhund Gottes" wenig gekümmert, wieviele er mit seinem Bellen und Beißen verängstigt, verletzt und verjagt hat.

Dabei kommt es für die Kirche mit ihrer schwindenden Bindewirkung darauf an, die eigene Anziehungskraft zu stärken. Dazu aber ist mehr Vertrauen notwendig als Meisners lebenslanges Fremdeln mit der Freiheit einer pluralen Gesellschaft es zuließ ... "


Vieles von diesem "Fremdeln" mag biographisch bedingt sein:

Der gebürtige Breslauer, der, früh vaterlos geworden, in den Wirren der Kriegs-
und Nachkriegszeit aufwuchs, mag voller Nostalgie einer Glaubenskraft, Kirchentreue und Volksfrömmigkeit nachhängen, wie er sie als Kind in Schlesien und später als junger Priester im Eichsfeld noch erlebt hat:

"In diesem Katholiken-Reservat der DDR fand er seine katholische Parallel-
welt zur realsozialistischen Gesellschaft. Überall in der geordneten Landschaft
Pilgerkreuze, Prozessionen, Wallfahrten, Kirchweih, arbeitsfreie Wochenenden mit gut besuchten Gottesdiensten. Dieses Bild einer heilen Welt in einer unheiligen Umgebung hat Meisner heute noch, dahin will er zurück. Hier liegen die Wurzeln seines Unwillens, irgendetwas an der katholischen Kirche zu verändern ... "


Glaubt der Journalist Peter Wensierski. Meisner selber, der seine Gläubigen oft mit einem eigenwilligen Predigtstil und gewöhnungsbedürftigen Metaphern überrascht, schrieb dazu, die Kirche erinnere ihn derzeit an eine Thermosflasche: die halte zwar die Wärme nach innen fest, strahle sie aber nicht nach außen aus. Weil auch hier, so Rudolf Lill, ein Großteil der Probleme im Erzbistum Köln hausgemacht sei:

"Wenn der Kardinal vor kurzer Zeit erklärt hat, er beobachte eine Katholikenphobie, dann muss ich ihm recht geben; aber ich muss zufügen: das ist eine Krankheit, die sie mitverursacht haben ... "

Was offenbar weder vom Kardinal noch von seinen Beratern wahrgenommen wird. Als typisches Beispiel für dieses selbstherrlich-unbekümmerte Vorgehen empfanden denn auch viele Gemeindemitglieder Handhabung und Organisation des vom Kölner Erzbistum veranstalteten Eucharistischen Kongresses Anfang Juni dieses Jahres.

Da die Zahl der Dauerteilnehmer an dem Kongress die erwarteten Zahlen des Erzbistums deutlich unterschritt, herrschte bei den Organisatoren eine gewisse Ratlosigkeit. Die nun wiederum zu einigen ungewöhnlichen Maßnahmen führte: Man verpflichtete zunächst die rund 4000 Kinder und Jugendlichen der erzbischöflichen Schulen zur Teilnahme. Weiter wusste der "Kölner Stadtanzeiger" zu berichten, dass die Priester in der Domstadt zuvor eindringlich ermahnt worden seien, den Kongress "weder durch eigene Veranstaltungen wie etwa Gemeindefeste noch durch abschätzige Bemerkungen über ´Meisners Abschiedsparty` zu torpedieren".
In manchen Pfarreien sollen sogar die Sonntagsmessen ausgefallen sein, um die Gläubigen zu bewegen, stattdessen an der Abschlussveranstaltung des Kongresses teilzunehmen.

Doch dieser ganze Eucharistische Kongress, ein Herzensanliegen des Kardinals, ist, so sagt Rudolf Lill, eigentlich ein verstaubtes Triumphinstrument des Kirchentums des 19. Jahrhunderts:

"Seitdem die ganzen liturgischen Bewegungen und das Zweite Vatikanische Konzil die Eucharistie in die Mitte der Gemeinden gestellt hat, dass der normale Mensch sie anfassen darf, was vielleicht auch wieder verboten wird - seitdem sind eucharistische Kongresse vollkommen überflüssig. Sie haben ja auch kaum noch stattgefunden. Es ist eine künstliche Wiederbelebung eines abgestandenen pastoralen Instruments."

Das, so glaubt Rudolf Lill in diesem Fall lediglich die schwelenden Konflikte und die drängenden Probleme, die sich seit vielen Jahren im Erzbistum Köln aufgestaut haben, zukleistere.

Um dem Kongress aber nun doch noch einen besonderen Glanz zu verleihen,
lud Kardinal Meisner den gerade neugewählten Papst Franziskus dazu nach Köln ein. Der Papst allerdings sagte ab.

Das wiederum befeuerte natürlich Spekulationen zum Verhältnis Papst Franziskus - Kardinal Meisner. Er habe sich, so wird der Kardinal nach dem Konklave zitiert, "einen anderen vorgestellt", es sei aber ein gutes Zeichen, dass der neue Papst "ganz anders" sei als er gedacht habe.

"Es gibt zwei Kirchenbilder: die verkündende Kirche, die aus sich selbst hinausgeht, die das Wort Gottes ehrfürchtig vernimmt und getreu verkündet, und es gibt die mondäne Kirche, die in sich, von sich und für sich lebt ... "

Hat Papst Franziskus einmal geschrieben. Ob der Kölner Kardinal das unterstreichen kann? Oder ob er nicht doch eher der Maxime huldigt:

"Hier die Heilsgemeinschaft - da der Rest der Welt ... "

Franz Decker: "Wenn man sich vor den Erfahrungen des Lebens der ganz normalen Menschen abschottet, wenn man sich weigert, sie zu den zentralen Themen der Kirche zu machen, entsteht ein selbstgemachtes Gefängnis, eine selbstgemachte geschlossene Gesellschaft ... Wenn ich mir nichts mehr sagen lasse von meinem Gegenüber kriege ich geschlossene Ohren und ein geschlossenes Herz. Und dann gibt es auch keine Barmherzigkeit mehr."
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