Der Glaube versetzt Filme

Von Thomas Kroll · 23.05.2009
In der Literatur ist der Glaube schon immer ein großes Thema gewesen. Aber im Film? Der Regisseur Wim Wenders konfrontierte auf dem Evangelischen Kirchentag in Bremen Bibeltext und Lichtspiel - und das Publikum war begeistert. Sogar die Theologen.
Dirk von Jutrczenka: "Die Bibelarbeit von Wim Wenders war für mich persönlich der Höhepunkt des Kirchentages."

Barbara Westphal: "Für mich ein bisschen Bibelarbeit der anderen Art."

Theologe: "Also ich hab’s als sehr positiv erlebt, sehr theologisch fundiert. Ich habe auch als Theologe neue Einsichten in den Text gewonnen."

Begeisterte Stimmen nach der morgendlichen Bibelarbeit mit Wim Wenders. Im Mittelpunkt stand ein Text aus dem ersten Buch der Bibel mit Bedeutung für Juden, Christen und Muslime: Die Geschichte von Abraham und seiner Geliebten, der ägyptischen Sklavin Hagar. Für den Filmemacher ist es eine unglaubliche Geschichte des gegenseitigen Hörens und Sehens.

Wim Wenders: "Und genauso unglaublich ist wirklich: Die erste Erscheinung eines Engels in der Heiligen Schrift gilt keinem Hauptdarsteller, keinem der Helden, sondern einer Außenseiterin, einer Ausländerin, einer Magd."

Zum Stichwort Engel könnte Wenders ja viel erzählen. Doch der Regisseur hält sich streng an den Bibeltext. Dabei betont er: Hagars Sohn Ischmael und der bekanntere Isaak, beide sind Söhne Abrahams. Der Erstgeborene, Ischmael, wird Stammvater der Muslime, Isaak wird Stammvater der Juden. Beide begraben ihren Vater gemeinsam und friedlich.

Den biblischen Text konfrontiert Wenders mit einem längeren Ausschnitt aus dem Film "Martyr Street". Shelley Saywells Dokumentarfilm zeigt Juden und Muslime im heutigen Hebron – aus der Sicht von Kindern. In Hebron findet man Abrahams Grab, doch keinen Frieden. Intifada, Ignoranz und Angst regieren die Stadt.

Konsequenzen aus Film und Bibeltext sind für Wenders zum Beispiel:

"Aufmerksam zu lesen, dass Gott diesen Erstgeborenen von Abraham, Ischmael, ausdrücklich segnet, ihn beschützt, will, dass er geboren wird, und wenn dieser erste Sohn Ischmael zwölf Stämme hervorbringt, aus denen letztendlich der Islam und auch Mohammed hervorgehen, dass man da auch einen Willen Gottes erkennen muss und diese Verteuflung, die mit Ischmael passiert ist, vor allem im Mittelalter, einfach mal Schluss macht."

Karsten Visarius: "Wir haben für dieses Kirchentagsfilmprogramm mehrere Arten der Auseinandersetzung mit Film vorgesehen. Das eine, der Beginn ist jeden Tag eine Filmbibelarbeit, ein neues Format, was wir ausprobieren, wo Theologen sich mit Bibeltexten und Filmen auseinandersetzen und die in einen Dialog bringen."

Karsten Visarius, Referent im Filmkulturellen Zentrum der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die drei Bibelarbeiten waren prominent besetzt. Neben Wim Wenders gingen an den Start: Petra Bahr, die Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, und Hanns-Werner Dannowski, der frühere Filmbeauftragte der EKD.

Visarius: "Dann haben wir eine Art Workshop-Einheit, auch jeden Tag, die sich grundsätzlich mit der Frage auseinandersetzen: Was hat Kirche, was hat Religion mit Film zu tun?"

Andreas Mertin: "Meine These ist, dass das Christentum im Bereich von Literatur so ‘ne Art Enzyklopädie der wichtigsten Texte und wichtigsten Bezugstellen hat, dass es das beim Film aber nicht hat. Mit dem Film argumentieren muss ein Standard im Christentum werden. Das gehört zur religiösen Kompetenz."

Dem Kurator, Publizist und Medienpädagogen Andreas Mertin geht es vor allem um populäre Filme. Denn auch jenseits von Tarkowski und Wenders, Kiarostami und Lars von Trier findet man in seinen Augen Filme von theologischem Belang. Kassenschlager wie "Batman" und "Nachts im Museum" sind Sinnressourcen. Und das Kino ist Sinnmaschine.

Mertin: "Wir müssen zu jedem Film, der ins Kino kommt, eine religiöse Deutungsperspektive entwickeln können. Wir müssen sagen können: Unter der Frage des Sinns, meine ich zu diesem Spaß-, Unterhaltungs-, Action, oder Horrorfilm folgendes: Jeder Film, das ist meine These, gibt eine Antwort auf die Sinnfrage, und sei es nur: Man soll Spaß haben, oder man soll sich aufregen."

Das Filmprogramm des 32. Evangelischen Kirchentages bot genügend Stoff zur Überprüfung dieser These, angesichts von Filmen wie etwa "The Dark Night", "Eisenfresser" und "Novemberkind". Dabei wurde deutlich: Filme sind keine Instrumente kirchlicher Mission. Sie sind, nochmals Karsten Visarius, Herausforderungen an die Kirche:

"In dem Falle würde ich das nennen: an ihre kulturelle Kompetenz, also umgehen zu können, mit dem, was die Gegenwartskultur uns an Erfahrungen liefert und das in einen religiösen Kontext einbetten zu können."