Der geniale Songschreiber

25.01.2013
Lange haben Fans des Rockmusikers Pete Townshend auf seine Autobiographie gewartet. Jetzt liegt sie auch auf Deutsch vor. Ausgehend vom ersten Auftritt seiner Band "The Who", kommt Townshend auch auf seine Kindheit zu sprechen - als Scheidungskind und Missbrauchsopfer.
"Who I Am" hat Pete Townshend, Songschreiber und Gitarrist der englischen Rockband The Who, seine Autobiografie genannt - und scheint diesen Titel seiner Rückschau mehr als Frage, denn als Antwort vorwegzuschicken.

Townshend, dessen Band The Who zu den einflussreichsten und erfolgreichsten Gruppen der Rockmusikgeschichte zählt, war trotz großer künstlerischer Erfolge jahrzehntelang auf der Suche nach innerer Ruhe und künstlerischer Befriedigung - und ist an diesem Anspruch fast gescheitert.

Der heute 67-jährige Musiker, der in den frühen sechziger Jahren Kunst studierte und zunächst nur nebenbei Mitglied einer Rockband wurde, ehe er sich endgültig für die Musik entschied, hat vor gut zehn Jahren angefangen, seine Tagebücher als biografische Rückschau umzuschreiben.

Townshend beginnt seine Erzählung 1964, mit dem ersten Auftritt seiner Gruppe The Who in London, und leitet dann mit einem Zeitsprung zu seiner schwierigen Kindheit in den Vierzigern des vorigen Jahrhunderts über.

Das Scheidungskind war Missbrauchsopfer, später ein überaus schüchterner Jugendlicher, der sich letztlich erst mit seiner Musik Respekt verschaffte. Townshend, der selbst als Schriftsteller und einige Jahre als Lektor für einen Verlag arbeitete, erzählt in bildhafter Sprache und sehr wortgewandt von den phänomenalen musikalischen Erfolgen seiner Band, von Problemen mit Alkohol und Drogen, seinem übersteigerten Perfektionismus, der verzweifelten Suche nach spiritueller Ruhe im chaotischen Rock‘n Roll-Betrieb und von der nicht immer einfachen Zusammenarbeit mit seinen Kollegen, bei der seine Kreativität fast zerrieben wurde.

Townshend ließ sich als Neuer Wilder feiern
Doch statt daran zu zerbrechen, nutzte Townshend dieses problematische Umfeld, um ikonische Songs wie "My Generation" oder "The Seeker" und grandiose Konzeptalben wie "Tommy" oder "Quadrophenia", zu schaffen.

Als Anhänger der Theorie autodestruktiver Kunst - darin dem deutschen Exilanten Gustav Metzger folgend, den Townshend an der Kunsthochschule kennengelernt hatte - sorgte er mit der Zerstörung seiner Gitarren während der Konzerte zwar für Furore und ließ sich als Neuer Wilder feiern, fühlte sich jedoch von Fans und Kritikern gleichermaßen missverstanden, die dergleichen als Macho-Pose interpretierten und als Höhepunkt eines jeden Who-Konzertes einforderten.

"Who I Am" ist eine komprimierte Musikgeschichte mit Blick auf die britische Gesellschaft der letzten sechs Jahrzehnte. Zudem nutzt Townshend das Buch als Selbsttherapie, um die Erinnerungen an die eigenen Missbrauchs-Erfahrungen zu verarbeiten und gleichzeitig dem Pädophilie-Vorwurf zu begegnen, der nach seinen bekannt gewordenen Recherchen im Internet aufkam.

Bei aller Offenheit bleibt das unbestimmte Gefühl, dass Townshend viele Details seiner Erinnerungen nur lückenhaft wiedergegeben hat. Möglicherweise liegt das an den zahllosen Zeitsprüngen im Buch oder aber an Kürzungen durch das Lektorat, das einige Mühe hatte, die Lebenserinnerungen des Musikers überhaupt zwischen zwei Buchdeckel zu pressen, denn das Manuskript soll anfangs den doppelten Umfang der vorliegenden Ausgabe gehabt haben. Dennoch ist alles in allem ein mehr als kurzweiliges Buch geblieben, das dem Leser den genialen Songschreiber und Texter sehr nahe bringt.

Besprochen von Uwe Wohlmacher

Pete Townshend: Who I Am - Die Autobiografie
Aus dem Englischen von Astrid Finke, Kathrin Bielfeldt und Jürgen Bürger
Kiepenheuer & Witsch 2012
576 Seiten, 24,90 Euro
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