Der geniale Getriebene

Von Gesa Ufer · 10.06.2012
Nach einer chaotischen Kindheit findet Rainer Werner Fassbinder seine Familie in einer Münchener Action-Theater-Gruppe. Erste Filme lassen nicht lange auf sich warten. Während seines kurzen Lebens hat er 44 Filme und 14 Theaterstücke produziert - getrieben von der Einsamkeit, wie er selbst sagte.
Er war ein Besessener, ein Arbeitstier. Als Rainer Werner Fassbinder am 10. Juni 1982 mit nur 37 Jahren nach einer Mischung aus Kokain, Alkohol und Schlafmitteln an Herzversagen stirbt, hinterlässt er 44 Filme, 14 Theaterstücke, zahlreiche Drehbücher und Hörspiele:

"Dass ich soviel gearbeitet habe, habe ich seit Jahren immer wieder gesagt, das hat eher mit einer Krankheit zu tun als mit Potenz. Vielleicht ist es auch Angst vor der Einsamkeit. Wenn man arbeitet, ist man ja nicht so einsam, wie wenn man nicht arbeitet. Ich hab schon ganz konkrete, menschliche Gründe, warum ich das getan habe."
Eine chaotische Nachkriegskindheit soll Fassbinder gehabt haben, voller Brüche und ohne feste Bezugspunkte. Fassbinders Eltern, ein Arzt und eine Übersetzerin, ließen sich scheiden, als der Sohn 10 Jahre alt war. Zunächst wuchs der Junge bei der Mutter und deren Familie in München auf. An der Wucht der Pubertät sei er fasst zerbrochen, heißt es, das Gefühl der Verlassenheit habe sich durch seine gesamte Kindheit und Jugend gezogen. Mit 16 schmeißt Fassbinder die Schule und zieht zu seinem Vater. Er schreibt erste Stücke, Kurzgeschichten, Filmtreatments und träumt davon, zum Film oder Theater zu gehen.

Doch weil ihn weder Filmhochschule noch Schauspielschule aufnehmen, wird er Autodidakt. In einer Münchner Action-Theater-Gruppe trifft er Ende der 60er-Jahre bereits viele der Menschen, mit denen er die ganzen nächsten Jahre über immer wieder zusammenarbeiten wird: Den jüngst verstorbenen Günther Kaufmann, Harry Baer, aber auch die vielen starken Frauen, die seine Filme auszeichnen: Irm Hermann, Ingrid Caven und Hanna Schygulla, die er 1963 auf der Schauspielschule kennengelernt hatte und die ihn von Anfang an inspiriert und antreibt. Die gesamte Gruppe um ihn, "der Clan" wird für Fassbinder zu einer Art Familienersatz.

Erste Film-Erfolge lassen nicht lange auf sich warten: "Katzelmacher" und der Krimi "Liebe ist kälter als der Tod" entstehen, und schon bald wird Fassbinder Meister darin, schnell hintereinander anspruchsvolle Filme mit geringem Budget zu drehen. Der Filmemacher Uli Lommel:

"Er war eine Art Hexenmeister, der die dritte Dimension transzendieren konnte. Und er konnte ein Drehbuch in elf Studenten schreiben, wo andere drei Wochen brauchen, und er konnte ein Stück in zwei Stunden inszenieren, wo andere vier Wochen brauchten. Weil er einfach die Gesetze nicht akzeptierte."
Einen seiner größten Erfolge feiert Fassbinder 1973 mit "Angst essen Seele auf", der Liebesgeschichte zwischen dem 30-jährigen Gastarbeiter Ali und der 50-jährigen Putzfrau Emmi. Beiden schlägt nur Hass und Verachtung ihrer Umwelt entgegen. Überhaupt geht es Fassbinder häufig um den Konflikt einzelner in einer zutiefst feindlichen Gesellschaft.

"Meine Motivation, Filme zu machen, hat sich geändert. Anfangs war es so, dass ich mir über meine eigenen Obsessionen klar werden wollte, während ich Filme machte. Hab' dann in dieses Aufarbeiten von Leidenschaften ein kritisches Gewissen mit eingebracht und bin dann irgendwann mal aufs reine Erzählen – meiner Ansicht nach – gekommen - ein Erzählen in dem alles drin ist."
Neben zahlreichen Filmklassikern wie "Berlin Alexanderplatz", "Faustrecht der Freiheit" oder seinem letzten Werk "Querelle" schuf Rainer Werner Fassbinder wichtige Frauenrollen der Nachkriegsfilmgeschichte. "Effi Briest", "Maria Braun" oder "Lili Marleen" bleiben unvergessen – auch dank der großen schauspielerischen Leistung Hanna Schygullas.

Beitrag in Kino und Film, Deutschlandradio Kultur (MP3-Audio) Interview mit Hanna Schygulla über Fassbinder
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