Der Geist der Provokation

Von Oliver Tolmein · 18.02.2008
Der Protest gegen das Engagement der USA im Vietnamkrieg erreichte 1968 in Deutschland seinen Höhepunkt. 12.000 Angehörige der außerparlamentarischen Opposition gingen am 18. Februar 1968 auf die Straße, um ihre Solidarität mit dem Vietcong zu demonstrieren - der Berliner Senat hatte vergeblich versucht, diese Aktion zu verhindern.
"Wir sind eine kleine radikale Minderheit, hahaha!"

Der Geist der Provokation regierte an diesem Wochenende im Februar 1968 in Berlin: Mehr als 4000 Menschen, die sich als radikale Minderheit fühlten, die aber Großes vorhatten, waren dem Ruf des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes zum Internationalen Vietnam-Kongress nach West-Berlin gefolgt. Der Vietnamkrieg und vor allem das militärische Engagement der USA waren seit einiger Zeit weltweit zu zentralen Punkten politischer Auseinandersetzung geworden. Längst setzten sich linke Bewegungen nicht mehr nur für Frieden in Vietnam ein, sondern forderten den "Sieg des Vietcong". Die Radikalisierung des internationalen Engagements ging auch mit einer Verschärfung der politischen Konfrontation innerhalb der Bundesrepublik einher. Vielen erschien die Revolutionierung der Verhältnisse notwendig - und möglich. Die außerparlamentarische Opposition befand sich am Scheideweg.

Rudi Dutschke, einer der wichtigsten Redner auf dem Kongress, schlug in seiner Rede die Verbindung vom Vietnamkrieg zur Studentenrevolte in der Bundesrepublik Deutschland. Sein zentraler Begriff damals war: Globalisierung.

"Jede radikale Opposition gegen das bestehende System, das uns mit allen Mitteln daran hindern will, Verhältnisse einzuführen, unter denen Menschen ein schöpferisches Leben ohne Krieg, Hunger und repressive Arbeit führen können, muss heute notwendigerweise global sein."

Zu dem Treffen in der Berliner Technischen Universität waren die unterschiedlichsten internationalen Gruppen und Organisationen angereist - Vertreter des gegen die Apartheid in Südafrika kämpfenden African National Congress meldeten sich hier ebenso wie deutsche Intellektuelle, Schriftsteller und Philosophen zu Wort. Peter Weiss, der durch sein Dokumentartheater berühmt geworden ist, beispielsweise forderte Aktionen statt bloßer Beobachtung des Weltgeschehens:

"Indem wir beginnen, die etablierten Oligarchien politisch zu verunsichern und ihre Machenschaften zu entlarven, sind wir nicht mehr Zuschauer, sondern Teilnehmer am Befreiungskampf."

Der Philosoph Günther Anders, der eine Grußadresse geschickt hatte, befasste sich vor allem mit dem damals populären Vergleich zwischen den in Vietnam kriegführenden USA und dem nazistischen Deutschland. Dabei verwies er auf Überlegungen aus dem US-amerikanischen Generalstab, in Vietnam möglicherweise taktische Atomwaffen einzusetzen:

"Weil wir so weit sind, muss der Kampf tatsächlich so weltweit werden, wie der Kampf gegen Hitler einmal gewesen war. Und weil Ihr als Bundesgenossen der Angegriffenen hier zusammen gekommen sei, sende ich Euch meine Freundschaftsgrüße."

Am Ende der Konferenz stand die Forderung, die der SDS-Politiker Hans Jürgen Krahl ins Zentrum seines so genannten "Organisationsreferats" gestellt hatte: "Zerschlagt die NATO". Und das war durchaus als praktische Handlungsanweisung gemeint.

"Die Stufen vom Protest zum politischen Widerstand können sich nur realisieren, wenn wir im Anschluss an diesen Kongress in gemeinsamer Aktion den Versuch machen, eine große und gemeinsame Kampagne zur Wehrkraftzersetzung der NATO-Armee in Westeuropa zu organisieren."

Den Abschluss des Kongresses, der den großen Schritt von der Debatte zur Tat inspirieren sollte, bildete eine große Demonstration: Nachdem das Verwaltungsgericht ein Verbot des Senats aufgehoben hatte, gingen über 12.000 Menschen am 18. Februar 1968 auf die Straße, um gegen den Vietnam-Krieg und die Indochinapolitik der USA zu protestieren. Auf der Abschlusskundgebung forderten sie die GIs zur Desertion auf. Die öffentliche Meinung konnten sie damit aber nur schwer für sich gewinnen:

"Was halten Sie als Berliner Arbeitnehmer denn von diesen Aktionen am unruhigen Wochenende?" – "Das können wir uns hier nicht weiter leisten, dass hier die Linke so viel zerstört, die machen alles kaputt. Das ist zum Kotzen für uns als Berliner!"

Der Vietnam-Kongress zeigte die außerparlamentarische Opposition noch einmal in ihrer alten Form: diskutierend und demonstrierend. In den Referaten deutete sich aber auch der neue, militantere Weg an, der die nächsten Jahre prägten sollte. Und auch die Reaktion der Bevölkerung auf die Studentinnen und Studenten fiel schärfer aus als gewohnt. Wenige Tage nach dem Vietnam-Kongress demonstrierten in West-Berlin - aufgerufen vom Berliner Senat - fast 80.000 Menschen für die USA - und gegen die revoltierende Opposition.