Der gebrochene Dichter

Von Joachim Scholl · 25.05.2005
Er war eine exzentrische Erscheinung, durch seine Theaterstücke und seinen Witz wurde der irische Dichter Oscar Wilde zum Liebling der englischen Gesellschaft. Im Alter von 39 Jahre verließ ihn sein Glück - er wurde wegen homosexueller Beziehungen zu zwei Jahren Zuchthaus mit Zwangsarbeit verurteilt. Das geschah am 25. Mai 1895, heute vor 110 Jahren.
Anwalt: "Mein einziger Junge! Dein Sonett ist einfach herrlich, und es kommt einem Wunder gleich, dass deine Rosenblätterlippen für die Melodie von Liedern so gut geschaffen sind wie für die Raserei von Küssen ..."

Kläger: "Ja?"

Anwalt: "Wollen Sie damit sagen, Sir, dass dies eine natürliche und anständige Art und Weise sei, einen jungen Mann anzureden? "

Kläger: "Ich glaube, das war ein sehr schöner Brief! Wenn Sie mich fragen, ob er 'anständig' sei, dann können Sie mich ebenso gut fragen, ob "König Lear" anständig sei oder ein Shakespeare-Sonett. Es war ein schöner Brief. Er wurde mit dem Ziel verfasst, etwas Schönes zu schaffen."

Anwalt: "Aber außerhalb der Kunst?"

Kläger: "Ich kann keine Fragen beantworten, die von der Kunst absehen wollen ..."

So selbstbewusst - wie in diesem Hörspiel seines Enkels Merlin Holland - gab sich Oscar Wilde am 3. April 1895 im Kreuzverhör gegenüber dem Anwalt von John Sholto Douglas, Marquess of Queensbury. Der war der Vater von Lord Alfred Douglas, jenes "einzigen Jungen" in Oscar Wildes Brief. Und nun stand der Adelige vor Gericht. Der berühmte Schriftsteller hatte ihn wegen Verleumdung verklagt. Stein des Anstoßes war eine Karte Queensburys, die man Wilde im mondänen Albemerle Club überreichte. Nur sieben Worte waren darauf geschrieben:

"Für Oscar Wilde, der als Sodomit posiert."

Das Wort "Sodomit" war falsch geschrieben, was die Anschuldigung nicht minderte: Homosexualität, ein Verbrechen und gleichbedeutend mit Schande und gesellschaftlichem Absturz. Oscar Wilde zögerte.

Sollte er wirklich einen Skandal riskieren? Mühsam hatte der einstige Habenichts sich emporgearbeitet, hell glänzte jetzt sein Ruhm: Seine bissig komischen Theaterstücke waren Stadtgespräch, er bewegte sich in den vornehmsten Kreisen der Londoner Society, speiste in den teuersten Restaurants, die Reichen und Schönen lauschten hingerissen, wenn der Snob, Dandy und Ästhet seine witzigen Bonmots formulierte, etwa:

"Vergib stets deinen Feinden. Nichts ärgert sie mehr."

Hätte er sich nur daran gehalten! Doch sein engelshübscher und geliebter "Bosie", wie Oscar Wilde den um 15 Jahre jüngeren Lord Alfred zärtlich nannte, drängte ihn zur Klage. Bosie hasste den Vater, wollte ihm eins auswischen - und das ging furchtbar schief. Vor dem Kriminalgericht Old Bailey kam alles raus: erotische Diners im Separee, gekaufter Sex mit Stallknechten und Hotelpagen - die Anwälte des Marquess Queensbury hatten bestens recherchiert.

Der Angeklagte wurde prompt freigesprochen, Oscar Wilde noch selbigen Tags verhaftet und wegen "grober Unzucht" angeklagt, darauf stand Gefängnis. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, in der gleichen Nacht setzten 600 Gentlemen von Dover nach Calais über. Auch Oscar Wilde hätte fliehen können.

In einem ersten Prozess Ende April waren sich die Geschworenen uneins, man setzte den Angeklagten zunächst auf freien Fuß. Er schöpfte neue Hoffnung, schlug die Ratschläge seiner Freunde, sich schleunigst davonzumachen, in den Wind. Das Wiederaufnahmeverfahren wurde zum Desaster. Noch mehr Belastungszeugen traten auf, und so kam es am 25. Mai 1895 zur Verurteilung durch den Honourable Judge Alfred Wills:

" Das ist der schlimmste Fall, über den ich je zu urteilen hatte. Dass Sie, Wilde, der Mittelpunkt eines Kreises maßloser Verderbnis der widerlichsten Art unter jungen Männern waren, ist unmöglich zu bezweifeln. Unter diesen Umständen wird erwartet werden, dass ich das strengste Urteil fälle, das das Gesetz erlaubt. "

Zwei Jahre Haft mit Zwangsarbeit im berüchtigten Zuchthaus Reading Gaol bedeuteten für Oscar Wilde den völligen materiellen, körperlichen und seelischen Ruin. Die englische Gesellschaft ließ ihren weiland stürmisch gefeierten Dichter fallen wie eine heiße Kartoffel, die Theater strichen ihn vom Spielplan, sein Besitz wurde versteigert.

Nach der Entlassung 1897 verließ Oscar Wilde Großbritannien für immer, bettelarm lebte er in Frankreich in einer heruntergekommenen Pension. Beim ersten Anblick seines Zimmers soll er gesagt haben:

" Diese Tapete oder ich - einer von uns muss verschwinden. "

Die Tapete blieb. Oscar Wilde starb am 30. November 1900 im Alter von nur 46 Jahren an den Folgen einer Ohrenoperation. Die Inschrift des Grabes auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise entstammt seinem letzten Werk "Die Ballade vom Reading Gefängnis":

Und fremde Tränen werden für ihn
Des Mitleids lang zerbrochne Vase füllen
Und seine Totenkläger werden Ausgestoßene sein
Und Ausgestoßene klagen immer.