Der Freundeskreis einer Philosophin

13.11.2007
Ähnlich wie Briefe sind auch Adressbücher sehr intime Zeugnisse und nicht für jedermann bestimmt. Im jetzt von Christine Fischer-Defoy herausgegebenen Adressbuch von Hannah Arendt finden sich insgesamt 537 Namen. Zu allen Personen gibt es biographische Erklärungen sowie Hinweise, in welchem Verhältnis sie zu Arendt standen. Dieses Who's who ist ein literarisches Kleinod.
Ebenso wie Briefe sind auch Adressbücher sehr intime Zeugnisse und nicht für jedermann bestimmt. Doch in unserem voyeuristischen Zeitalter reizt gerade das Private. Das Auge ist ein trefflicher Jäger - es wildert besonders gern in jenen Bereichen, die aus Gründen der Intimität verboten sind.

Doch nichts bleibt geheim, selbst Könige müssen ihre Masken fallen lassen. Anders als Briefe, die durch ihren Mitteilungscharakter etwas über den Absender wie den Adressaten aussagen, scheinen Adressbücher auf den ersten Blick weniger "herzugeben". Dieser Eindruck täuscht allerdings, denn sie bewahren Geschichte auf.

Wie man ein privates Adressbuch zum Zeugnis werden lassen kann, darin hat die Herausgeberin Christine Fischer-Defoy inzwischen Übung. Nachdem sie die Adressbücher von Paul Hindemith (1999), Marlene Dietrich (2003), Walter Benjamin (2006) und Heinrich Mann (2006) herausgegeben hat, legt sie nun das Adressbuch von Hannah Arendt vor.

Das Denken der jüdischen Philosophin, unter anderem Autorin des "Berichts von der Banalität des Bösen" (1963) über den Adolf Eichmann Prozess, war geprägt von dem Wunsch, verstehen zu wollen. Nachdem ihr erstes Adressbuch bei einem Handtaschendiebstahl 1945 verlorenging, musste sie ein zweites anlegen, das Fischer-Defoy in Arendts Nachlass fand.

Gern hätte man natürlich in dem gestohlenen, nie wieder aufgetauchten Buch geblättert, das Hannah Arendt während ihrer Pariser Exiljahre und bei ihrer Flucht in die USA bei sich hatte. Wäre man unter "B" auf den Namen von Walter Benjamins gestoßen, den Hannah Arendt kannte?

Sicher wäre unter "H" Martin Heidegger zu finden gewesen, bei dem sie Philosophie studierte. Mit dem Denker, der 1927 mit "Sein und Zeit" Weltruhm erlangte, verband sie mehr als nur eine intellektuelle Nähe. Doch aus Liebe wurde Feindschaft und erst nach Jahren entwickelte sich daraus eine von Krisen geschüttelte Freundschaft.

Das Adressbuch, das sie 1951 begann und bis zu ihrem Tode am 4. Dezember 1975 benutzte, besteht aus 131 beschrifteten Seiten, auf denen sich insgesamt 537 Namen finden. Alle Seiten des originalen Adressbuches sind als Faksimile wiedergegeben. Zu allen Personen, die Hannah Arendt in ihr Adressbuch aufnahm, finden sich biographische Erklärungen sowie Hinweise, in welchem Verhältnis sie zu Arendt standen.

Die Liste derer, mit denen Hannah Arendt in Kontakt stand, ist lang. Dass sich darunter eine Reihe von äußerst interessanten Philosophen findet - genannt seien Martin Buber und Paul Tillich - überrascht nicht. Aber dass zum Bekanntenkreis auch die Dichterin Ingeborg Bachmann gehörte und Albert Camus, ist bemerkenswert. Der Name eines anderen Autors , der von Uwe Johnson, mit dem Hannah Arendt eng befreundet war, fehlt allerdings in diesem Adressbuch.

Dieses Who's who ist ein literarisches Kleinod. Man muss solche Art von Spurensuche mögen. Wer aber mit Neugier in diesem Büchlein blättert, wird reich belohnt werden. Vor dem Hintergrund der Vielzahl von Namen, die im Kontext mit Hannah Arendt aufgerufen werden, nimmt das Bild einer beeindruckenden, hoch intelligenten Frau Konturen an. Sie ist zu erkennen durch ihr Adressbuch.


Rezensiert von Michael Opitz


Christine Fischer-Defoy (Hg.): Hannah Arendt. Das private Adressbuch 1951-1975
Koehler & Amelang, Leipzig 2007, 240 Seiten, 24,90 Euro