Der Filmnachwuchs macht ernst

Von Bernd Sobolla · 22.08.2006
Zum siebten Mal wurde in Berlin der First-Steps-Award verliehen, mit dem der deutsche Filmnachwuchs ausgezeichnet wird. So manche Karrieren von Filmemachern wie Hans Weingartner oder Vanessa Joop haben hier ihren Anfang genommen. Die eingereichten Filme drehten sich um das gegenwärtige Deutschland und sind von Ernsthaftigkeit und dem Bemühen um eine eigene Filmsprache gekennzeichnet.
Andrea Hohnen: "Das Prinzip von First Steps besteht tatsächlich darin, dass wir noch unbekannten Absolventen von Filmhochschulen - das ist ja unsere Zielgruppe - einen roten Teppich ausrollen. Wir stellen die sehr bewusst ins Rampenlicht, weil wir sagen, und unsere Erfahrung bestätigt das: Das sind die künftigen Kollegen derjenigen, die in dieser Preisverleihung als Gäste sitzen. Und die Idee ist an diesem Abend, so vielen wie möglich die Gelegenheit zu geben, miteinander in Kontakt zu treten und diese Kontakte zukunftsmäßig auszubauen."

Andrea Hohnen, die First-Steps-Programmleiterin, sieht die Veranstaltung vor allem als Kontaktbörse. Kein Wunder, sitzen doch unter den rund 1.800 Besuchern viele Produzenten, Redakteure und Talentsucher aller Couleur. Denn in den letzten Jahren hat sich First Steps zu einer wichtigen Brücke zwischen Nachwuchs und Filmbranche entwickelt.

Und die jungen Filmemacher können neben Ruhm und Ehre auch Bares mitnehmen. Denn die Preise sind mit insgesamt 72.000 Euro dotiert und werden in fünf Kategorien vergeben: Im Bereich Dokumentarfilm, Kurzfilme bis 25 Minuten Länge, Spielfilme bis 60 Minuten Länge und "Abendfüllende Spielfilme" sowie für den besten Werbefilm.

Insgesamt 25 Filme waren dafür nominiert, die von drei Jurys bewertet wurden. Mit unter den Juroren saßen zum Beispiel der Regisseur Hannes Stöhr sowie die Schauspieler Nadia Uhl und Burkhard Klaußner. Letzterem fiel eine Tendenz besonders auf:

"Es betrifft fast alle eingereichten Filme, die beschäftigen sich mit dem Deutschland heute und sparen nichts aus und sind unheimlich zum Teil weit in den Mitteln und haben aber eben auch eine Filmsprache gelernt, die über so eine Plattitüdenerzählweise hinausgeht. Die auch nicht nur so einfach dokumentarisch Realität abbildet, sondern das ganze auf ein filmisches Niveau zu heben vermag. Das finde ich bemerkenswert."

Ein Blick auf die heutige First Steps-Filmemacher lohnt sich aber nicht nur, um Talente zu entdecken, sondern auch um zu sehen, welche Themen die jungen Regisseure bewegen, wie sie die Welt erleben und was sie davon erzählen wollen. Dabei fällt auf, dass viele Regisseure für ihre Stoffe tief in die Gesellschaft eintauchen und sich auf gesellschaftliche Außenseiter und ungewöhnliche Individualisten konzentrieren. So zum Beispiel Bülent Akinci, der in seinem Film "Der Lebensversicherer" auch eigene Erlebnisse verarbeitete.

"Ich war mal selber für kurze Zeit Lebensversicherer. Das war auch in einer Zeit, wo in Deutschland so die Zeit begann, Unsicherheit in diesem Land. Und ich dann ein Bild hatte von einem Mann, der im Auto lebt. Und dann habe ich daraus die Geschichte gemacht."

"Der Lebensversicherer" lebt ohne soziale Kontakte, befindet sich auf einer nie endenden Verkaufstournee und wird als traurige Gestalt nur noch von seinen Kunden übertroffen. Ein grandioses Drama.

Szene aus "Der Lebensversicherer":
"Heutzutage fahren wir ja eher im Schlaf als im wachen Zustand. Wird die Summe dann trotzdem ausbezahlt?"
"Na nicht, wenn Sie sich eine Kugel in den Kopf jagen wollen oder zum Geisterfahrer mutieren. ... Wissen Sie, ich verstehe Sie sehr gut. Ich meine, in Ihrem Fall, da bräuchten Sie während einer Fahrt einfach nur einzuschlafen. Ich meine, es würde dann wie ein Unfall aussehen."


Noch weiter im gesellschaftlichen Abseits stehen die vier Mädchen, die uns Regisseurin Birgit Grosskopf in ihrem Film "Prinzessin" zeigt und die den Hauptpreis des Abends verdient gewann. Die fast erwachsenen Frauen hängen irgendwo zwischen Automatenhotels und Wohnsilos herum. Ein Ort, den man nicht näher bestimmen kann und auch nicht können soll.

Birgit Grosskopf: "Dieses Nichtgesicht dieser Vorstädte, das ja auch in anderen Ländern ein gewisses Nichtgesicht hat, dass in jedem Land variiert, hat aber in Deutschland auch was Spezifisches, das war mir sehr wichtig. Dass man es nicht wieder erkennt, dass es eine Anonymität hat, in der sich die Individuen in meiner Geschichte behaupten, zu behaupten versuchen."

In dieser Vorstadt hängen die Frauen perspektivlos herum, gehen keiner körperlichen Auseinandersetzung aus dem Weg und befinden sich auf dem geraden Weg ins Gefängnis.

Szene aus "Prinzessin":
"Nächste Woche bin ich weg."
"Ja? Und wohin ist weg?"
"Afghanistan, ich habe mich freiwillig gemeldet. Dann sehe ich wenigstens mal was von der Welt."
"Wirst du da auch Menschen töten?"
"Wenn es für eine gute Sache ist."
"Würde ich gerne mal spüren, wie das so ist, wenn man einen Menschen tötet."


Und wenn es dann mal ein Lichtblick gibt, wie die Familie, die uns Mathias Luthardt in seinem Film "Pingpong" zeigt, dann wird das Glück gnadenlos demontiert. Oder eine Hochzeitsnacht endet mit einem tödlichen Autounfall, für das dem Verursacher in Dennis Todorovic' Film "Amor Fati" nur einfällt, dass niemand dem Schicksal entgehen kann. Das alles sieht reichlich düster aus. Auch wenn Andrea Hohnen es differenzierter ausdrückt.

"Es sind sehr ernste Filme, es sind sehr ernsthafte Filme, und es sind Filme, die in diesem Jahr weitgehend von einer großen sowohl filmischen als auch menschlichen Reife zeugen. Wenn man das so sagen darf. Das heißt es sind Filme, die einen nachdenklichen Blick haben auf die Welt, in der die Filmemacher leben."

Und dazu gehört auch Jan Henrik Stahlberg. Er schafft mit seiner Politfarce "Bye, bye, Berlusconi", die die fiktive Entführung des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten schildert, den Spagat zwischen Witz und Ernst.

In der Kategorie Film bis 25 Minuten Länge gewann Michael Dreher mit seinem Film "Fair Trade" den First Steps Award, den Preis für einen Spielfilm bis 60 Minuten Länge erhielt Bastian Günther für "Ende einer Strecke" und als Bester Dokumentarfilm wurde "The end of the Neubacher Project" von Marcus J. Carney ausgezeichnet.

Die First Steps Teilnehmer wirkten alle in dem, was sie machen, sehr überzeugend. Allerdings fragt sich, ob sie ihre Radikalität auch im schnöden Fernsehalltag umsetzen können. Denn dort sind vor allem Telenovelas und nette Unterhaltung gefragt.