"Der Film war ein Experiment für alle Beteiligten"

Moderation: Ulrike Timm · 22.09.2013
Philipp Hochmair spielt Philipp Hochmair - in der preisgekrönten Doku-Fiction "Der Glanz des Tages". Im Interview spricht der Schauspieler über die filmische Suche nach Alltagsperlen, Einsamkeit und modernes Nomadentum.
Ulrike Timm: Der frühere Bärenbändiger Walter Saabel in "Der Glanz des Tages" und der Schauspieler Philipp Hochmair, so wie im Film auch jetzt immer unterwegs und deshalb am Telefon. Schönen guten Tag!

Philipp Hochmair: Hallo, guten Tag!

Timm: Herr Hochmair, alles ist echt bis darauf, dass Walter im richtigen Leben nicht der Onkel ist. So heißt es über diesen ganz und gar ungewöhnlichen Film mit einer einzigen Regieanweisung, wenn ich das richtig weiß: Sei du selbst! Wie findet man denn da in die Rolle?

Hochmair: Also, die Rolle musste erst erfunden werden, und das war die Aufgabe in dem Film. Die Regisseure arbeiten ja nur mit Laien, und die haben mich ja letztendlich auch zu einem Laien gemacht, und das war der Weg, den wir gegangen sind, und die Rolle hat sich letztendlich im Machen erfunden. Aber dass ich selbst meine Rolle bin, oder dass mein Leben die Plattform für die Rolle sein soll, das habe ich lange nicht so verstanden. Das war aber auch ein Trick der beiden, um mich ein bisschen aus der Reserve zu locken, und ich freu mich, dass das so ein schöner Film geworden ist.

Timm: Vielleicht ja auch ganz gut, dass Sie das eine Weile nicht verstanden haben. Denn "Sei du selbst!" ist ja auch eine ein bisschen ungewöhnliche Regieanweisung für einen Schauspieler, der immer so Dutzende Rollen bei sich trägt, auf eindrucksvolle Weise. Aber wenn man da hört, "Sei du selbst!" – ist das unheimlich?

Hochmair: Also, ich hab den Satz überhaupt nicht verstanden, hab aber darüber auch ganz viel gelernt. Also das war schon wirklich ein Geschenk, mich mit diesem Satz da herumschlagen zu müssen und den für mich knacken zu müssen. Weil, irgendwie dieses Geheimnis ist dann doch Privat-Sein heißt Schauspieler sein, aber das musste ich irgendwie über diesen Film erst lernen. Und das war eine tolle Reise. Also nicht ganz angenehm immer und auch ganz schön sonderbar und schwierig, weil, die beiden haben, wie gesagt, noch nie mit Schauspielern gearbeitet und wussten auch gar nicht, wie sie mit mir umgehen sollen. Die wussten überhaupt nicht, was sie mir anweisen sollen, weil sie sind eben gewohnt, zu beobachten …

Timm: Die beiden Regisseure meinen Sie?

Hochmair: Genau. Die sind ja nun ganz allein, es gibt da ja niemanden anderen, gelegentlich mietet man noch einen Tonmann an, aber sonst sind die immer nur alleine. Und es passiert eben, was passiert, aber sie können gar nicht anweisen, was sie wollen. Und so muss man das eben gemeinsam entwickeln. Und ich, der permanent spiele, konnte diese Situation lange nicht verstehen.

Timm: Vielleicht können Sie uns das einfach mal erzählen anhand einer Szene, wie sich das entwickelt hat. Philipp Hochmair spielt Philipp Hochmair. Wie ging das?

Hochmair: Also, ich hab mir ja überlegt am Anfang, dass ich gleich mit einer Rolle auftrete, um mir so ein bisschen so eine Rutsche zu legen, um hineinzurutschen in die ganze Geschichte, aber letztendlich hat so ein Drehtag ausgesehen, dass man sich an einem Ort verabredet hat, der einem wichtig ist – ich sag jetzt mal, die zugefrorene Alster oder meine Garderobe im Thalia-Theater oder ein wichtiges Antiquitätengeschäft, wo man sonderbare Möbel kaufen kann. Und dann hat man eben geschaut, was da passiert und hat einfach versucht, da so Alltagsperlen zu sammeln. Und die wurden dann letztendlich im Schnitt aneinandergereiht in einer Chronologie, die vorher noch nicht bekannt war.

Timm: Der alte Bärendompteur und Messerwerfer wirft auch auf das Modell für ihr Ehrenstandbild im Burgtheater, Philipp Hochmair, das finden Sie gar nicht toll. Also der Messerwerfer und Sie, der Schauspieler, dessen Realität die Kunst ist. Was verbindet Sie und was trennt Sie?

Hochmair: Also, was uns ganz klar verbindet, ist ein modernes Nomadentum. Also hier sieht man zwei Nomaden, die heimatlos durch die Welt schlittern und nach einem Platz suchen, wo sie hingehören. Und ich hab dann eben in der Literatur gefunden, und das sieht man immer wieder, mein Kampf mit diesen Texten und die Suche nach einer Identität in diesen literarischen Gefilden, und das ist das, was uns verbindet, und gleichzeitig auch, was uns trennt. Weil, Literatur ist für den Messerwerfer überhaupt keine Realität. Und so treffen sich eben zwei verwundete Nomaden, die scheinbar verwandt sind oder auch gar nicht verwandt sind. Und die Kommunikation zwischen den beiden oder die Begegnung dieser beiden, das ist der Film.

Timm: Auch zwei einsamen Nomaden, nicht?

Hochmair: Ja, absolut. Einsamkeit ist ein großes Thema in dem Film –

Timm: Nur im Film?

Hochmair: War mir vorher nicht so bewusst, dass das auch ein wichtiges Lebensthema ist, weil mich die Kunst ja dann doch sehr schützt oder mir einen Mantel gibt oder einen Raum gibt, wo ich was ausleben darf, was vielen Leuten verwehrt bleibt oder wo man eben auch ganz feinstoffliche Energien erleben darf und die einen auch fundamental befriedigen.

Timm: Philipp Hochmair spielt Philipp Hochmair. Wie ist denn das für Sie jetzt, wo der Film fertig ist, sich zuzugucken?

Hochmair: Also, ich hab mich jetzt dran gewöhnt, aber die ersten Male war das schon eigenartig. Weil, natürlich ist von den Regisseuren eine Interpretation da. Das ist ja nicht nur mein Leben, und das bin ja nicht nur ich oder so was. Man benutzt meine privaten Räume oder meine Kleider, meine Stimme, meinen Namen, um was zu erfinden. Und das ist da passiert. Aber dass ich das jetzt privat bin, würde ich jetzt nicht sagen. Aber was ist man schon privat?

Timm: Sie sind ja in dem Film auch nicht immer grundsympathisch, wenn Sie Rollen lernen, ungeduldig sind mit dem anderen – Sie sind auch ein bisschen eitel. Also, eigentlich – zum einen ist es mutig, sich so hinzustellen und so zu tun, als wär man's oder vielleicht so zu sein. Auf der anderen Seite ist es vielleicht ein bisschen befremdlich, wenn man mich sieht und denkt, oh, irgendwie bin ich ja auch ein merkwürdiger Kerl.

Hochmair: Absolut. Also, die Antwort habe ich auch bekommen, und über der brüte ich auch ein bisschen. Das ist ja auch ein Rätsel, das man da sieht, oder so ein Kaleidoskop, und da schaue ich schon gern rein oder gern. Aber ich bin gezwungen, da reinzuschauen und mich diesen Fragen zu stellen, aber ich würde das jetzt weder als unangenehm noch als angenehm beschreiben. Es ist ein natürlicher Vorgang für mich geworden.

Timm: Philipp Hochmair spielt Philipp Hochmair. Dass man sich zu Beginn auf so was Spannendes, gerade als neugieriger Spieler gerne einlässt, das kann ich mir vorstellen. Aber dabei bleiben? Also, haben Sie nicht irgendwann gedacht, okay, als Woyzeck trage ich meine Haut zu Markte und kehr mich nach außen, aber als Philipp doch nicht?

Hochmair: Ich konnte es gar nicht so definieren, was jetzt da ich bin oder Rolle bin, weil das für mich ja schon so alltäglich ist. Und genau diese Verwechslung oder diese Mutation hat die beiden ja interessiert. Also, das wurde aber mir nicht so erzählt, nicht so kommuniziert, weil das war das Geheimnis, das uns da verbunden hat und das es galt, zu formulieren und zu bergen.

Timm: Wie? Sie haben erst beim fertigen Film gesehen, wohin Sie sich eingelassen hatten?

Hochmair: Sozusagen. Aber alle! Also ich glaube, der ganze Film war ein Experiment für alle Beteiligten. Da gab es kein Drehbuch oder keine klare Verabredung, was das werden soll. Ich hab auch mehrere Versionen gesehen, und die haben alle so unterschiedlich ausgesehen und es waren so unterschiedliche Charakterzeichnungen. Niemand wusste, wo die Reise hingeht, ja, und dass das jetzt so ein erfolgreicher Film wird, das überrascht mich so unglaublich, und ich freu mich sehr, weil das war ein sehr langer Prozess, ein sehr undurchschaubarer Prozess.

Timm: Und wie war das, als Sie beide, der Bärendompteur und Messerwerfer und der erfolgreiche Schauspieler, beide Rampensäue auf ihre Weise – wie war das, als Sie sich kennengelernt haben?

Hochmair: Also, unser Kennenlernen ist der Film. Die erste Szene im Film ist der erste Moment, wo wir uns überhaupt getroffen haben. Das war so ein bisschen Konzept, also dass wirklich das passiert, was passiert. Und die Intuition der beiden, dass die uns aufeinanderhetzen sozusagen, hat sich ja bewahrheitet. Wir haben uns im Film kennengelernt, aber das war auch unser
Territorium. Wir haben uns danach nie wieder gesehen, also außer auf Filmfestivals für die Premiere oder so was. Aber wir haben jetzt keine tiefere Beziehung nach dem Film.

Timm: Philipp Hochmair, was ist für Sie der "Glanz des Tages"?

Hochmair: Also im Film sage ich es ja eh, glaube ich, mal: Das Glück, wenn so eine Aufführung gelungen ist oder wenn man da das Universum irgendwie berührt mit einer gelungenen Aufführung, das ist ein Glanz, der unwiederbringlich ist und der auch unbekannt ist. Und der immer mehr wächst und mit den Rollen, die ich spielen darf und mit dem Erfolg, den ich hab, darf ich immer wieder in neue Sphären hineinschauen. Meine letzte Premiere war in Salzburg, "Jedermann" als Monolog. Das hat jetzt in einem Monat in Hamburg Premiere. Das war auch noch mal eine ganz neue "Glanzerfahrung". Und das ist für mich der Glanz des Tages.

Timm: Dann wünsche ich Ihnen, dass Sie den Glanz des Tages noch häufig erleben können, wohlbehalten, und sich nicht verstruwweln zwischen Ich und Rolle. Philipp Hochmair war das, er spielt gemeinsam mit Walter Saabel – ob er spielt oder nicht, darüber sprachen wir – in dem Film "Der Glanz des Tages", der viele Preise schon bekommen hat. Herzlichen Dank fürs Gespräch und alles Gute!

Hochmair: Danke schön!

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