"Der ESM ist ein Reparaturbetrieb"

Christoph Frank im Gespräch mit Ute Welty · 04.01.2013
Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Christoph Frank, hat für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) Regeln gefordert, die auch strafrechtliche Schritte erleichtern. Gegen die Mitarbeiter könne zwar ermittelt werden, aber nur wenn der ESM zuvor ihre Immunität aufgehoben habe.
Ute Welty: 70 Mitarbeiter und 700 Milliarden Euro, das macht zurzeit den ESM aus, den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Mit Notkrediten und Bürgschaften greift der ESM klammen Euroländern unter die Arme, und das unter Auflagen. Die ESM-Mitarbeiter unterliegen einer beruflichen Schweigepflicht und genießen Immunität, das heißt, sie sind vor Strafverfolgung geschützt – und das muss so sein, sagt zumindest Ralf Jansen, der Chefjurist des ESM, im Interview der "Ortszeit":

"''Wenn der ESM keine Immunität hätte, dann bestünde natürlich die Gefahr, dass der ESM von 17 verschiedenen nationalen Gerichten verklagt wird. Deshalb hat man sich darauf geeinigt: 'Wir einigen uns auf ein Rechtssystem, das ist das internationale Völkerrecht, und wir haben den Zugang zum europäischen Gerichtshof.' Also quasi dient das der Sicherheit und eben auch, dass man eben vor nationalen Gerichten partikulare Interessen vertritt. Und das ist auch absoluter Standard im internationalen Bereich, das ist auch genau das, was man zum Beispiel bei internationalen Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds wiederfindet, der UN oder auch europäischen Institutionen.""

Welty: Ganz anders sieht das Christoph Frank, Vorsitzender des deutschen Richterbundes. Guten Morgen, Herr Frank!

Christoph Frank: Guten Morgen!

Welty: Immunität bedeutet für Sie: keine Durchsuchung der Büros zum Beispiel und auch keine Beschlagnahme von Unterlagen. Heißt das, die Justiz ist gegenüber dem ESM machtlos?

Frank: Die Justiz ist nicht machtlos. Wie Herr Jansen das beschrieben hat, könnten einzelne Staaten gegen einzelne Mitarbeiter des ESM versuchen zu ermitteln, wenn der ESM deren Immunität aufhebt. Herr Jansen beschreibt zutreffend den Zielkonflikt zwischen dem Interesse an der Funktionalität, der Konstruktion der Einrichtung des ESM auf der einen Seite, und der Rechtssicherheit, der Abschätzung der strafrechtlichen Risiken des Handelns der Mitarbeiter auf der anderen Seite. Und da sind wir eben im Deutschen Richterbund der Auffassung, dass für ein im Wesentlichen wirtschaftlich ausgerichtetes Handeln dieser Institution Regeln gefunden werden müssen, die eine strafrechtliche, aber auch zivilrechtliche Überprüfung dieses Handelns möglich machen, ohne dass dies in die Entscheidung des ESM selbst gelegt wird.

Welty: Welche Regeln, welche Handhabe hätten Sie denn gern und warum?

Frank: Es gibt ja eine Diskussion innerhalb der EU, wie nun die finanziellen Interessen der EU – und um die geht es hier – geschützt werden können. Wir sind in einer Phase, in der Einrichtungen der EU über die ordnungspolitischen Instrumente hinaus mit dem ESM direkt in wirtschaftliche Abläufe eingreifen. Der ESM ist ein Reparaturbetrieb, er versucht, gescheiterte wirtschaftliche und finanzpolitische Konzepte zu korrigieren und hat dabei eben auch die finanziellen Interessen der europäischen Union wahrzunehmen. Finanzielle Interessen, die nun auch aus Sicht der Kommission einheitlich definiert werden sollen, die in eine einheitliche Strafverfolgungsstruktur durch einen europäischen Staatsanwalt überführt werden sollen und damit einen Rechtsrahmen auch auf europäischer Ebene bieten, der dem nationalen Strafverfolgungsrechtsrahmen vergleichbar ist.

Welty: Aus welchem Grund wäre denn Strafverfolgung notwendig, oder anders gefragt: Welche Art von krimineller Energie unterstellen Sie dem ESM und seinen Mitarbeitern?

Frank: Ich unterstelle den Mitarbeitern keine kriminelle Energie. Sie bewegen sich aber – und ich möchte betonen, dass es sich dabei nicht um einen Generalverdacht handelt – sie bewegen sich in einem Geschäft, in einem Bankengeschäft, in einem Abwicklungsgeschäft schon gescheiterter, wirtschaftlicher Unternehmungen, das erfahrungsgemäß auch die Gefahr von Straftaten bietet. Die sollten doch Anlass geben, jedenfalls die Möglichkeit der Strafverfolgung zu eröffnen.

Welty: Als besonders problematisch empfinden Sie, dass der ESM auch Banken direkt unterstützen kann ohne den Umweg über die jeweilige Landesregierung. Warum, glauben Sie, reicht es nicht aus, dass gleichzeitig dann die gemeinsame Bankenaufsicht ihre Arbeit aufnimmt?

Frank: Nun, wir haben dieses Konzept ja noch nicht umgesetzt, das ist eine politische Willenserklärung.

Welty: Trotzdem funktioniert das eine ja nicht ohne das andere.

Frank: Das eine funktioniert nicht ohne das andere, wir gehen davon aus, dass es politisch gewollt ist, dass Banken direkt rekapitalisiert, refinanziert werden können, sodass wir den unmittelbaren Kontakt zwischen ESM und wirtschaftlichen Unternehmen haben, und in diesem Kontakt können alle Straftaten begangen werden, die auch im sonstigen wirtschaftlichen Leben begangen werden.

Welty: Und da reicht die Bankenaufsicht, um die Frage noch mal zu stellen, nicht aus Ihrer Meinung nach?

Frank: Die Bankenaufsicht ist eine Kontrollmöglichkeit, sie ergänzt aber nur das im nationalen Recht völlig selbstverständliche strafrechtliche Schutzgefüge.

Welty: Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang eines seiner berüchtigten Sowohl-als-auch-Urteile gefällt. Jetzt muss der ESM zumindest die Bundestagsabgeordneten informieren. Warum hat Karlsruhe nicht radikaler entschieden?

Frank: Nun, es handelt sich um ein vorläufiges Verfahren. Die abschließende endgültige Entscheidung steht noch aus, und zentraler Punkt in diesem Verfahren war, inwieweit die nationalen Parlamente in die Entscheidungsprozesse des ESM einbezogen werden müssen. Die Frage der Immunität war nicht Gegenstand dieser Entscheidung. Man wird abwarten, ob in der Hauptsache Entscheidungen da zur Ausführung kommen werden.

Welty: Welche Chance sehen Sie denn, die Immunität für ESM-Mitarbeiter generell aufzuheben, also die Rechtsgrundlage zu verändern, in Ihrem Sinne?

Frank: Wir haben aus Sorge um diese Wertbrüche auf europäischer und nationaler Ebene die politisch Verantwortlichen angeschrieben, also die Bundeskanzlerin, den Bundestagspräsidenten, den EU-Parlamentspräsidenten, den Euro-Gruppenchef und die EU-Justizkommissarin Viviane Reding, und da auch Reaktionen bekommen, die uns durchgängig versichert haben, dass, jedenfalls, wenn es um die direkte Rekapitalisierung von Banken geht, die Aufhebung der Immunität nochmals geprüft wird. Unsere Bedenken, die wir in den politischen Prozess geben wollten, werden also durchaus ernst genommen. Mit welchem Ergebnis, muss man abwarten.

Welty: Der ESM-Chefjurist hat es ja eben gesagt noch einmal: Es bleibt der Weg vor den Europäischen Gerichtshof. Ist das nicht überhaupt die Institution, die in einem zusammenwachsenden Europa die entscheidende Instanz sein muss?

Frank: Der Europäische Gerichtshof in seiner derzeitigen Konstellation kann eine Strafverfolgung nicht leisten. Er kann Staaten verurteilen, aber nicht einzelne Personen, wegen strafrechtlichem Fehlverhalten. Man wird in einem Gesamtkonzept eines europäischen Strafverfolgungssystems, das sich natürlich beschränken muss auf die Verfolgung von Straftaten zum Nachteil des EU-Vermögens, sicher auch neben dem Europäischen Staatsanwalt über europäische Strafgerichte nachdenken müssen.

Welty: Christoph Frank, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes. Er ist gegen die Immunität der Mitarbeiter beim Europäischen Stabilitätsmechanismus als Teil des Rettungsschirms und sagt das im Interview der "Ortszeit", das wir aufgezeichnet haben, und für das ich danke!

Frank: Ich bedanke mich!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Links bei dradio.de:
"Wir sind sehr transparent" - ESM-Chefjurist Ralf Jansen verteidigt Immunität der Mitarbeiter (DKultur)
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