Der Erfinder der Antike

04.02.2011
Es ist schwierig, eine Biografie über jemanden zu schreiben, der sich und seinen Lebenslauf immer wieder neu erfand, der Spuren legte und verwischte und über den es kaum Verbürgtes in Archiven gibt. Konstantin Simonides war so ein Mensch. Er war ein Fälscher, Betrüger und Hochstapler. Der Journalist Rüdiger Schaper hat jetzt trotzdem den Versuch unternommen, Simonides Leben aufzuzeichnen. Und das ist ihm überzeugend gelungen.
Schaper hat eine hervorragende biografische Skizze über den größten Fälscher antiker Manuskripte vorlegt. Die spärlichen, aber auch nicht unstrittigen Fakten sind schnell erzählt: Geboren vermutlich 1820 auf Symi, einer Insel vor Rhodos, wird er wahrscheinlich als Zehnjähriger nach Aigina in die Schule geschickt, wo er eine klassische Bildung erhält. Er wird von einem Mönch namens Benedikt, einem Freund des Vaters, jahrelang missbraucht, versucht als 15-Jähriger ihn und seinen Vater zu töten und wird daraufhin ins Kloster nach Athos geschickt. In die Mönchsrepublik, in der nur Männer leben, unter anderem auch Benedikt.

Simonides verbringt seine Tage in der Klosterbibliothek und bekommt durch Benedikt Zugang zu den geheimen Verstecken, zu unendlichen Mengen von alten Pergamentrollen, Dokumenten und Zeichnungen, die er später – als er als Händler antiker Manuskripte durch Europa zieht – verkauft oder für seine Fälschungen nutzt. Antike Texte sind oft nur als sogenannte Palimpseste überliefert, das heißt die Mönche nahmen ältere Pergamente, die sie abschabten, um dann einen neuen Text draufzuschreiben. Unter dem neuen Text sind oft ältere Originaltexte erhalten. Simonides nutzte nun echte, alte Papyrusfragmente, um darauf mit blasserer Tinte einen vorgeblich chronologisch älteren, gefälschten Text zu verfassen.

So schreibt er die Symais, die Geschichte einer angeblichen Schule von Symi, seiner Heimatinsel. Dort sollen die antiken Wissenschaftler schon das Papier, das Teleskop oder dampfkraftbetriebener Schnellboote erfunden haben. Die Symais wird schnell als Fälschung entlarvt, andere seiner Werke haben mehr Bestand: Denn im 19. Jahrhundert sind die Europäer vernarrt in die Antike. Sie suchen das klassische Griechenland, auch um sich selbst als Nachfahrer zu verorten. Briten und Deutsche graben aus, sie plündern die Tempelanlagen Griechenlands, erschwindeln wie Lord Curzon Manuskripte aus den Klöstern und Simonides – Simonides macht nur zugespitzter das, was die europäischen Wissenschaftler selbst tun: Er erfindet die Antike.
Was Schapers Buch so lesenswert macht, sind solche Überlegungen: dass sich jede Zeit ihre Antike erfindet, dass er sein eigenes Schreiben reflektiert, dass er drüber nachdenkt, was überhaupt eine Fälschung ist, wann der Begriff des Originals überhaupt entstand und wie beides miteinander zusammenhängt. Dass er dabei durchaus Sympathie für seinen Helden empfindet, ist zu verstehen. Und so zitiert er das Motto seines Helden: "Wenn man nur Bücher herausgeben wollte, die nichts als die Wahrheit enthalten, dürfte man auch Homer und Herodot nicht mehr herausgeben, weil darin bekanntermaßen so viel Unwahres enthalten ist."

Besprochen von Günther Wessel

Rüdiger Schaper: Die Odyssee des Fälschers. Die abenteuerliche Geschichte des Konstantin Simonides, der Europa zum Narren hielt und nebenbei die Antike erfand
Siedler Verlag, München 2011
208 Seiten, 16,99 Euro