Der einsame Emissär

Von Reinhard Mutz · 01.08.2012
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat davor gewarnt, dass das Blutvergießen in Syrien auch die Nachbarländer gefährden könnte. Die Vereinten Nationen und ihr Emissär Kofi Annan sind mit ihrer Friedensinitiative gescheitert - meint der Friedensforscher Reinhard Mutz.
Schreckensbilder stumpfen ab, wenn sie sich Tag für Tag wiederholen. Die Schauplätze des blutigen Bürgerkriegs in Syrien liefern den aktuellen Beleg. Da geht eine unscheinbare Meldung vom Rand des Geschehens leicht unter, selbst wenn sie eine alarmierende Botschaft enthält: In New York hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen das Mandat der Beobachtermission für Syrien um 30 Tage verlängert, aber nur um das Personal geordnet abzuziehen. Eine brisante Nachricht.

Gescheitert ist damit nicht nur die UNO-Mission unter dem norwegischen General Robert Mood, eine der kürzesten in der Geschichte der Weltorganisation. Gescheitert ist auch der Friedensplan des Syrien-Sondergesandten Kofi Annan. Dessen Umsetzung sollte die Mission beaufsichtigen.

In unverantwortlicher Weise legt die internationale Gemeinschaft ihren einzigen ernsthaften Versuch zu den Akten, den Syrienkonflikt mit politischen Mitteln zu lösen.

Warum? Das Assad-Regime habe sich geweigert, so heißt es, die Kampfhandlungen einzustellen und seine schweren Waffen aus den Städten abzuziehen. Die Vorwürfe treffen zu. Ebenso wenig hielt sich die bewaffnete Opposition an die vom Annan-Plan dekretierte Feuerpause.

Längst gehört das medial kolportierte Bild der brachialen Staatsmacht gegen wehrlose Demonstranten der Vergangenheit an. Heute setzen auch Regimegegner Maschinengewehre und panzerbrechende Waffen ein. Zur Brutalisierung des Krieges, z.B. durch die berüchtigten "Gruppenmorde", tragen sie wesentlich bei. Die Freie Syrische Armee gibt es seit Juli 2011.

Ihr politischer Mentor, der vom türkischen Exil aus agierende Nationalrat, beansprucht die Anerkennung als einzig legitime Vertretung des syrischen Volkes. In ihm dominieren die Muslimbrüder. Menschen verschiedener Gruppen im Land – Kurden, Drusen, Palästinenser, orthodoxe und katholische Christen, säkulare politische Kräfte, städtisches Bürgertum – fühlen sich nicht repräsentiert.

Die Grundidee des Annan-Plans bestand darin, sie alle in einem politischen Dialog zusammenzuführen, Vertreter des Regierungslagers wie des oppositionellen Spektrums. Zunächst eine Übergangsregierung, schließlich ein reformiertes Verfassungssystem sollten daraus hervorgehen. Aber weder der Syrische Nationalrat noch die Freie Syrische Armee fand sich zur Mitwirkung bereit.

Warum sollten sie auch? Niemand drängte sie. Im Gegenteil: Ein beträchtlicher Teil der internationalen Gemeinschaft belohnt den Unwillen einer Bürgerkriegspartei zur Kooperation mit den Vereinten Nationen durch politischen Zuspruch, finanzielle Unterstützung und militärische Waffenhilfe. Mindestens zwei NATO-Staaten, die USA und die Türkei, sind aktiv daran beteiligt.

Wenn die syrischen Aufständischen inzwischen ganze Landesteile unter Kontrolle halten, so sind sie ihnen nicht durch friedliches Demonstrieren in den Schoß gefallen. Dazu hat das internationale Recht eine Meinung. Die Abwehr eines gewaltsamen Regimewechsels fällt weder unter die Strafbestandsmerkmale von Verbrechen gegen die Menschlichkeit noch von Kriegsverbrechen.

Natürlich war Assads Syrien nie ein Hort der Menschenrechte. Hätte Ex-Präsident George W. Bushs CIA sonst in Damaskus foltern lassen? Menschenrechte kann vielerlei heißen. Das erste und wichtigste ist das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. So jedenfalls will es die Charta, die 1948 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde.

Es ist die erste Deklaration, die Menschenrechte völkerrechtlich begründet. Deshalb gilt das Lebensrecht auch als Recht auf Freiheit von Krieg. Oder um mit Henry Kissinger zu sprechen: "Dem Frieden gebührt die moralische Priorität. Die Verbrannten, die Erschossenen haben keine Menschenrechte mehr".

Dr. Reinhard Mutz, Jahrgang 1938, studierte nach dem Militärdienst Politikwissenschaft, Soziologie und Neueren Geschichte, promovierte über Probleme der Analyse, Kritik und Kontrolle militärischer Macht und habilitierte sich über Konventionelle Rüstungskontrolle in Europa.

1966 bis 1984 arbeitete er am Institut für internationale Politik und Regionalstudien der Freien Universität Berlin, zuletzt als Assistenzprofessor. Von 1984 bis 2006 am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, zuletzt als Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor. Von 1992 bis 2008 war er Mitherausgeber des Jahresgutachtens der friedenswissenschaftlichen Forschungsinstitute in der Bundesrepublik. Seine Arbeitsgebiete sind Friedensforschung, Rüstungskontrolle, internationale Sicherheitspolitik.
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