"Der Eiffelturm signalisiert Fortschritt"

Hans Kollhoff im Gespräch mit Joachim Scholl · 15.07.2013
Mehr als 20.000 Menschen haben Fragen bei der "Europa-Liste" des Goethe-Instituts beantwortet, auch nach dem bedeutendsten Bauwerk. Architekt Hans Kollhoff versucht zu erklären, warum sich die Menschen für das Pariser Wahrzeichen entschieden haben - und weshalb er einen anderen Favoriten hat.
Joachim Scholl: Über 20.000 Menschen haben auf die Fragen aus 30 europäischen und angrenzenden Ländern geantwortet, jeden Montag legen wir hier im "Radiofeuilleton" diese Antworten entsprechenden Menschen vom Fach vor und heute soll es um die Architektur gehen. Welches ist das bedeutendste europäische Bauwerk?

Und bei uns im Studio ist jetzt Hans Kollhoff, er gehört zu den bekanntesten deutschen Architekten mit europäischem Renommee, er unterhält auch Büros in der Schweiz und in den Niederlanden, hat in Zürich an der Eidgenössischen Technischen Hochschule unterrichtet. Willkommen im Deutschlandradio Kultur, Hans Kollhoff!

Hans Kollhoff: Guten Tag!

Scholl: Was hätten Sie, Herr Kollhoff, auf die Frage geantwortet, welches ist für Sie das bedeutendste europäische Bauwerk, und warum?

Kollhoff: Ich bin zu dem Entschluss gekommen, das müsste eigentlich das Kolosseum sein. Oder vielleicht noch besser, obwohl das hier etwas widersprüchlich in der Umfrage zum Ausdruck kommt, vielleicht eben auch das Partheon.

Scholl: Warum?

Kollhoff: Ja, ich denke, es sollte nicht nur ein Objekt sein, es sollte ein Raum sein. Weil ein Raum nicht nur Identifikation schafft über ein Symbol, sondern über ein gemeinsames Erlebnis.

Das Kolosseum oder auch ein Amphitheater wie in Verona beispielsweise, von dem Goethe gesprochen hat und sagte, ja, diese Masse von Individuen sieht sich dann plötzlich selbst und empfindet sich als Gemeinsames, als Form, das finde ich großartig. Insofern, das Kolosseum, das hier auftaucht, ist durchaus eine Option.

Scholl: Wir wollen unsere Hörer jetzt nicht weiter auf die Folter spannen: 25 Prozent der Befragten der Europa-Liste haben den Eiffelturm genannt als bedeutendstes Bauwerk Europas, zehn Prozent beziehungsweise neun Prozent votierten für das Kolosseum in Rom, wie Sie, Herr Kollhoff, sowie die Akropolis, das Parthenon in Athen. Wie schätzen Sie jetzt diese Entscheidung für den Eiffelturm ein, was ist daran für Sie interessant?

Eiffelturm ist "Weltausstellungsarchitektur"
Kollhoff: Der Eiffelturm signalisiert Fortschritt, es ist eine Weltausstellungsarchitektur, 1889 in Paris entstanden, damals der höchste Turm Europas. All das sind Faktoren, die uns heute faszinieren.

Aber wenn man etwas tiefer geht, dann stellt man die Frage des Einfügens in den städtischen Zusammenhang, die Frage nach der Architektur. Und da ist dann die Frage, ist das als Ingenieurbauwerk das Richtige als Identifikationsobjekt für dieses Europa? Und die Frage ist ja nach der Architektur gestellt, und damit nach der Stadt. Insofern kommt man dann sehr schnell zu anderen Beispielen, die hier auch genannt wurden.

Scholl: Wenn wir mal den Begriff europäische Architektur ein wenig reflektieren, wenn Sie den Begriff umreißen müssten: Wie weit würden Sie in die Geschichte zurückgehen, wo wären für Sie prägende Momente für eine europäische Architekturentwicklung?

Kollhoff: Na ja, man muss zurückgehen bis zum Hellenismus in jedem Fall, und natürlich wird man sich dann auch an die Einflüsse, die aus Mesopotamien kommen, aus Ägypten kommen, über Kreta unterhalten müssen. Aber das Europäische wird zum ersten Mal sehr präzise in der Architektur spürbar in Griechenland, und das ist der Ort, auf den sich dann viele Beispiele, die später kommen, beziehen.

Scholl: Auf den weiteren Plätzen der Umfrage liegen das Brandenburger Tor, die Sagrada Família in Barcelona, der Petersdom und der Kölner Dom. Und es ist schon bemerkenswert, dass unter den ersten zehn nur diese drei modernen Bauwerke sind, das wären das Europäische Parlament, das Reichstagsgebäude in Berlin und die Berliner Mauer mit immerhin noch drei Prozent. Das sind alles, wenn man so will, Geschichtsgebäude. Man könnte folgern, die Moderne ist im architektonischen Bewusstsein eher politisch. Würden Sie dem zustimmen?

Kollhoff: Ja, das kann man so sehen, aber das hängt natürlich auch damit zusammen, dass Gebäude, die weiter zurückgehen in der Geschichte, als prägnanter wahrgenommen werden, möglicherweise auch prägnanter sind, weil sie in der Regel nicht Erfindungen von individuellen Architekten sind, sondern eben eine ganze Kultur hinter sich haben, die vielleicht über Jahrhunderte geht.

Und daraus entstehen dann solche Bauten wie das Brandenburger Tor beispielsweise, das ja auch in dieser Traditionslinie liegt. Das kommt von Griechenland her, das ist der Eingang in das Spree-Athen, so wie die Propyläen der Eingang auf die Akropolis waren.

Scholl: Die Europa-Liste, die Umfrage der Goethe-Institute, über europäische Architektur sind wir im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Architekten Hans Kollhoff. In Berlin bestaunen jährlich Millionen Touristen das DaimlerChrysler-Gebäude am Potsdamer Platz, Herr Kollhoff, das Sie gebaut haben, den spektakulären Kollhoff-Tower, wie man ihn nennt. In Frankfurt sticht Ihr Wohnhaus Main Plaza ins Auge. Wie europäisch denkt denn der Architekt Hans Kollhoff?

Der Architekt Hans Kollhoff
Hans Kollhoff hält das Kolosseum für bedeutender als den Eiffelturm.© Deutschlandradio - Bettina Straub
Zusammenarbeit mit europäischen Architekten
Kollhoff: Ja, ich denke ausgesprochen europäisch, und das heißt natürlich auch traditionell. Ich schaue nicht nur nach vorne, sondern die Herkunft ist entscheidend und die Frage, wie man sich mit seiner Arbeit in diesem historischen Zusammenhang sieht. Ich arbeite auf dem Hintergrund dessen, was in der Geschichte passiert ist, und daran muss ich messen, da führt kein Weg dran vorbei.

Scholl: Sie unterhalten auch Büros in der Schweiz, den Niederlanden. Welche Einflüsse, würden Sie sagen, wirken hier denn auf Ihre Arbeit oder auf die Arbeit Ihres Teams, wie ist so die Zusammenarbeit mit europäischen Architekten?

Kollhoff: Ja, die Berührungspunkte sind sehr vielfältig. Ich glaube, was als gemeinsame Basis für uns europäische Architekten sich über die vergangenen Jahre herauskristallisiert hat, das ist das Phänomen der europäischen Stadt. Die haben wir alle gemeinsam, ob ich in Holland arbeite, in Italien, in der Schweiz, in Berlin, die Stadt ist sozusagen der Lackmustest für die Architektur, was leistet das Gebäude für die Stadt, ist es nur ein Objekt, das sozusagen vom Outer Space fallengelassen wurde, oder ist es etwas, was aus diesem Zusammenhang der Stadtstruktur heraus sich entwickelt hat?

Das muss nicht das alte, immer schon da Gewesene sein, ganz im Gegenteil, aber das Neue verdankt sich sozusagen dieser Überlieferung. Und da sind wir wieder bei dem Punkt, was ist ein europäisches Symbol? Ich denke, es müsste ein Gebäude sein, das nicht nur den städtischen Zusammenhang benutzt, sondern ihm auch etwas zurückgibt.

Scholl: Gibt es denn dann, in diesem Sinne weitergedacht, überhaupt noch nationale Architektur?

Kollhoff: In dem Sinn vielleicht nicht mehr. Wenn Sie aber genauer hinschauen, dann sehen Sie sehr genau, was die Franzosen bewegt, was die Deutschen bewegt, was die Italiener bewegt, weil sie eben sich auch aus ihrem spezifischen Kontext heraus entwickeln. Das ist für den Laien aber, denke ich, heute kaum mehr erkennbar, wir leben ja in einer Zeit, wo von der globalen Architektur, von der globalisierten Kultur geredet wird. Und da muss man dann durchaus kritisch sehen, als Europäer, wie weit man sich darauf einlässt.

Scholl: Alle großen zeitgenössischen Architekten arbeiten inzwischen international, und inzwischen gehört ja auch der ganz ferne Blick dazu, nach China, in die asiatische, in die arabische Welt. Dort werden ganze Städte am Reißbrett entworfen und gerade sagten Sie, die Stadt, das ist der Lackmustest für die Moderne und für die Architektur. Wie sehr verändert das den Blick auch zurück nach Europa? Oder spielen sich hier ganz getrennte Entwicklungen ab?

Kollhoff: Nein, ich glaube, dieses Auf-das-Ausland-Blicken, Auf-Amerika-Blicken oder -China-Blicken, das verändert schon auch unsere Wahrnehmung Europas. Was die europäische Stadt ist, habe ich in Amerika erfahren, und nicht in Europa. Und Ähnliches ist mit dem Blick auf China.

Ich denke, wir sind in Europa dabei, uns auf unsere Herkunft zu beziehen und hier auch mit dieser historischen Architektur und Stadt, die wir haben, ein Wertesystem zu verbinden, was letztlich dazu führt, dass wir uns auch gegenüber Tendenzen amerikanischer Provenienz oder chinesischer Provenienz oder der Globalisierung überhaupt abgrenzen.

Scholl: Stichwort Wertesystem, Herr Kollhoff, Sie haben es jetzt selbst gegeben. Eine zentrale, grundsätzliche Frage der Europa-Liste lautet: Was bedeutet Europa persönlich für Sie, nennen Sie drei Begriffe, die Sie mit Europa verbinden. Und die drei häufigsten Antworten der Umfrage waren: Kultur, Gemeinschaft, Reisefreiheit. Was wären denn die drei Begriffe des Hans Kollhoff?

Kollhoff: Ja, sicher gehört die Kultur dazu, es gehört mit Sicherheit ein bestimmtes Lebensgefühl dazu, mit allen Voraussetzungen, das geht ja in die Alltagskultur hinein, das ist nicht immer die hohe Kultur. Das hat etwas mit unserer Genussfreudigkeit beispielsweise zu tun, da gibt es in Europa ja auch Unterschiede, aber wir haben da noch eine große Gemeinsamkeit. Das sind vielleicht die beiden Punkte, die ich am höchsten einstufen würde. Und natürlich gehört dazu auch die Topografie Europas in ihrer Vielfalt, die auch wieder natürlich kulturell geprägt ist, das ist ja keine unberührte Natur mehr.

Scholl: Die Europa-Liste, die große Umfrage in 30 europäischen und angrenzenden Ländern. Heute haben wir den Architekten Hans Kollhoff gehört zur Frage, welches ist das bedeutendste europäische Bauwerk. Herr Kollhoff, herzlichen Dank für Ihren Besuch, alles Gute für Sie! Und am nächsten Montag geht es weiter mit den Analysen der Liste, dann mit dem ägyptischen Arzt und Schriftsteller Alaa al-Aswani, dann geht es um die Frage des Fortschritts, wieder hier im "Radiofeuilleton", kurz nach 14 Uhr.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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