"Der deutsche Film hat nicht die geringste Bedeutung"

Klaus Lemke im Gespräch mit Katrin Heise · 29.02.2012
Der 71-jährige Klaus Lemke ist das "enfant terrible" unter den deutschen Filmemachern. Auf der Berlinale werden seine Filme regelmäßig abgelehnt. Möglicherweise hängt das auch mit seiner unduldsamen Haltung gegenüber der Filmförderung und den meisten seiner Kollegen zusammen.
Katrin Heise: Das Oberhausener Manifest wird als Ausgangspunkt für den deutschen Film gesehen, für den jungen deutschen Film: Die Unterzeichnenden wie Kluge, Reitz, Schamoni wendeten sich vor 50 Jahren ab von Konventionen, Bevormundung durch Interessengruppen und Beeinflussung durch kommerzielle Partner.

Aber vor allem, wie Edgar Reitz und einer der Unterzeichnenden es gestern an dieser Stelle beschrieb, wandten sie sich gegen Filme wie damals, bloß ohne Goebbels – also Aufbruch vor 50 Jahren. Hat nicht geklappt, ruft ihnen der Filmemacher Klaus Lemke seit Jahr und Tag hinterher. Von Lemke sind die Filme beispielsweise "Brandstifter" oder "Rocker" oder "Amore" bekannt. Der heute 71-Jährige hat auch ein Filmmanifest verfasst, 2010, das Hamburger Manifest. Und darin stellte er fest: Unsere Filme sind wie Grabsteine – brav, banal, begütigend, Goethe-Institut. Herr Lemke, ich grüße Sie, schönen guten Tag!

Klaus Lemke: Hallo, Katrin!

Heise: Ihren letzten Protest gegen das aktuelle Film-Establishment haben Sie ja am roten Teppich der Berlinale vollzogen, indem Sie Stars und Sternchen und dem Berlinale-Leiter Dieter Kosslick Ihren nackten Hintern gezeigt haben. War das Wut, die da zum Ausdruck kam oder Lust an der Provokation?

Lemke: Auch nicht. Also ich habe Kosslick gesagt, wenn er im siebten Jahr meinen siebten Film ablehnt, dann gehe ich auf die Matratzen. Und in der Filmsprache weiß jeder, was das bedeutet: Krieg. Und dann habe ich Kosslick mal gezeigt, was Krieg ist. "Berlin für Helden" war der meistbesprochene Film, Talk of the Town während der Berlinale, und kein anderer Film kam dagegen an. So leicht geht das, wenn man den Arsch zeigt.

Heise: Na ja, also doch Wut. Wut, dass Ihr neuester Film, eben "Berlin für Helden abgelehnt wurde?

Lemke: Ich habe darauf gewartet, dass der abgelehnt wird. Denn ein Film, der dort gelaufen wäre in diesem Apparat, hätte nie diese Aufmerksamkeit bekommen, die ein abgelehnter Film bekommen hat.

Heise: Also Sie wollen eigentlich gar nicht auf einem konventionellen Festival gezeigt werden?

Lemke: Ich bin auch noch nie gezeigt worden. ich werde auf allen Festivals abgelehnt, bis auf die Viennale. Die zeigen meine Filme immer im Eröffnungsprogramm oder an allerbester Stelle. Aber ich fühle mich keineswegs als Protestierer, ich fühle mich als Sieger in dieser Geschichte. Ich bin der Einzige, der unabhängige Filme macht, der Rest ist bezahlt von diesen ganzen Fördersystemen.

Heise: Da kommen wir jetzt auf das Staatskino, auf Papas Staatskino, wie Sie das nennen. Welche Filme rechnen Sie dazu? Alles, was produziert wird?

Lemke: Schauen Sie, das ist – ich darf es ganz kurz erklären, der Kluge wird in Ohnmacht fallen, wenn er das jetzt hört, aber es ist die Wahrheit: Ich meine, dass der deutsche Film seit den Oberhausenern bestenfalls, bis heute, bestenfalls Klatschen mit einer Hand ist, liegt daran, dass die Jungs damals in Soziologieseminare gegangen sind anstatt ins Kino. Und wenn sie ins Kino gegangen sind, sind sie in die falschen Filme gegangen…

Heise: Da hat Herr Reitz gestern das Gegenteil gesagt, er hat gestern erzählt, dass er fünfmal in der Woche, manchmal in zwei Filme gleichzeitig – nein, gleichzeitig natürlich nicht –, an einem Tag gegangen ist.

Lemke: Ja, bloß in die falschen, die sind in diese Ostblock-Schmonzetten reingegangen, währenddessen das Kino auf der linken Seite, das französische, die Nouvelle Vague, die haben sie so als postfaschistisch und amerikanisch beschimpft.

Und die Jungs hatten die Idee, dass Film ein Intelligenzbeschleuniger sein könnte, das haben die in ihren Seminaren und bei der Frankfurter Schule gelernt. Und aus dieser Mentalität heraus haben die Filme gemacht, die kein Mensch sehen wollte, die Filme wollte niemand sehen – die Filme der Oberhausener. Und da kommt dieser kluge Doktor Kluge auf die geniale Idee, das Publikum dafür zu bestrafen, dass sie nicht in die Filme der Oberhausener gehen, und geht zum Innenminister und bittet um Förderung für das Kulturgut deutscher Film. Und seitdem ist der deutsche Film nicht existent.

Heise: Also die eigentliche Auszeichnung für einen Filmemacher ist, kein Geld zu bekommen.

Lemke: Das will ich nicht sagen, aber beim Film sollte es so – ich habe nicht viele Taschen, in die ich greifen kann, es sollte in meine eigenen sein. Es ist einfach so, wenn man als Filmemacher morgens aufwacht und man hat die Miete nicht bezahlt, das macht kreativ. Aber wenn diese ganzen Jungs aus besseren Familien morgens ein paar Millionen ausgeben müssen, da wird man verantwortungslos und dreht diese Filme am Publikum vorbei, die seitdem – das Ergebnis sind Filme wie "Anonymous" oder "Hotel Lux" oder "Zettl", einfach Subventionsleichen, die für ein Hundertstel des Budgets möglicherweise was geworden wären.

Heise: Aber es gibt auch noch ganz andere Filme, also ohne jetzt Ihrer Bewertung mich da anschließen zu wollen. Was ist zum Beispiel mit Andreas Dresens letztem Film über einen Sterbenden oder Wnends "Kriegerin" von der jungen Neonazifrau, oder "Barbara" von Christian Petzold? Das sind ja nicht alles unbedingt …

Lemke: Ja, ich finde Petzold und die "Kriegerin" wirklich gute Sachen, den Dresen-Film kenne ich nicht. Ich finde, Dominik Graf das Größte überhaupt für den deutschen Film. Es gibt halt ein paar Leute, die das Gift des Systems schlucken können und daraus etwas machen, ohne dabei zugrunde zu gehen. Der Rest verkommt einfach in diesen Massengräbern allerbester Absichten, deswegen ist der deutsche Film auch – hat überhaupt nicht die geringste Bedeutung im Ausland. Wir sind absolut fünfte Welt.

Heise: Na ja, das ist Ihre Meinung, andererseits werden wir ja auch, wird der deutsche Film eingeladen. Wie sieht denn Ihrer Meinung nach die Zukunft des deutschen Filmemachers aus?

Lemke: Die sieht so aus, dass es in zehn Jahren sowieso keinen deutschen Film mehr gibt – das ist das eine –, weil die zwischen 20 und 45 gehen nicht mehr ins Kino, das heißt, jeder, das wird nur immer noch so ein bisschen verschleiert. Und das andere ist, wenn sowieso niemand ins Kino geht, fällt diese ganze Förderung zusammen. Auch gibt es Bestrebungen, das, was die Deutschen initiiert haben in Europa, und ganz Europa zu Europafilmmüll gemacht haben, nämlich staatliche Förderung, eine unvorstellbare Sache für Amerikaner, dass der Staat seine schmutzigen Finger im Film drin hat. Vollkommen unmögliche Vorstellung weltweit, nur bei uns ist so was möglich und wird seit 40 Jahren akzeptiert. Und darüber wird gar nicht geredet, aber das fällt sowieso zusammen, weil es gibt sehr viele Leute, die dagegen auf EU-Ebene protestieren.

Heise: Im Deutschlandradio Kultur der Filmemacher Klaus Lemke, der seit Jahrzehnten Filme macht ohne festes Drehbuch, meist mit Laien, aber auch mit Cleo Kretschmer beispielsweise, Iris Berben, Wolfgang Fierek hat er zusammengearbeitet. Herr Lemke, Ihr neuester Film – haben wir ja schon erwähnt – "Berlin für Helden" spielt im – wie ich gelesen habe – brodelndem Untergrund Berlins: viel Sex, viel Kampf, viel Coolness. Ist das eigentlich eine Liebeserklärung an Berlin oder eher eine Hasserklärung?

Lemke: Ich habe eigentlich Berlin wirklich überhaupt nicht gemocht, so wie ich auch Hamburg nicht gemocht habe. Aber das waren genau die Städte, in denen ich meine besten Filme gedreht habe: "Rocker" in Hamburg und jetzt "Berlin für Helden". Diese Filme kommen nur, wenn ich ziemlich schlechte Laune habe und gar nicht drehen will in Berlin. Es ist ja auch mein eigenes Geld, ich kann ja jeden Tag abbrechen, meinen Film. Und wenn ich dann trotzdem weiterdrehe und so ganz langsam schleicht sich Berlin in meinen Film rein, und plötzlich sehe ich diesen Film und sehe das, was wirklich Berlin ist im Moment, erschreckend und berauschend zugleich. Diese Stadt ist vollkommen auf Drogen, vollkommen auf Subvention und rast von einer Katastrophe in die nächste. Aber in Berlin wird plötzlich eine Antwort gefunden auf diese Situation, dass man sich immer nur in die nächstgrößere Katastrophe retten kann. Das ist das Einzige, um auf diese moderne Welt zu reagieren. So ist ganz Berlin, und so sind auch die Leute, die einzelnen Leute in Berlin. Und das ist dem Film drin – ohne dass ich das wollte.

Heise: Also Sie haben den Ausschnitt geschildert, und meinen aber das Ganze abgebildet zu haben?

Lemke: Ich bin ziemlich sicher, dass so wie – nein, das Ganze kann ich nicht abbilden, so "Rocker", die Rocker sind nicht symptomatisch für ganz Hamburg, aber sie sind symptomatisch für das, was in Hamburg lebt. Und den Teil von Berlin, den ich abgebildet habe – sagen wir Mitte und Kreuzberg und Friedrichshain –, ist nicht das ganze Berlin. Aber der Westen interessiert sowieso niemanden mehr in Berlin, also ich meine, das ist einfach noch so eine Trümmerstätte wie früher der Osten, der Westen heutzutage.

Heise: Für Morgen war ja eigentlich der Kinostart von "Berlin für Helden" angesetzt. Warum ist der jetzt verschoben worden?

Lemke: Weil wir durch diese Oscar-Filme leider nicht die Kinos bekommen haben, die wir dringend brauchen, nämlich die Kinos am Hackeschen Markt und ein paar andere Kinos, damit wir auch einen deutschlandweiten Start durchsetzen können. Denn nur wenn die Zahlen dort gut sind, kommen wir überhaupt in die Kinos in der Bundesrepublik, weil wir zahlen auch das, den Verleih und das, was dazugehört, zahlen wir auch aus eigener Tasche. Das wird sonst alles finanziert von der Bundesrepublik.

Heise: Was bedeutet so ein Rebellentum im Filmbusiness? Das zehrt doch auch unheimlich.

Lemke: Das man wirklich glücklich sein kann. Überhaupt nicht, das ist das Einzige, was aufbaut. Schauen Sie sich doch diese anderen abgefischten Stornos an, die hier rumlaufen und den ganzen Tag heulen. Dazu gehört aber auch Petzold, der sich dauernd am Leben "rumbitscht" und sich über irgendwas beschwert – dabei macht der wirklich gute Filme und hat alles Geld der Welt, im Gegensatz zu Dominik Graf, der wirklich sein Ding immer wieder aufs Spiel setzt.

Heise: Sie haben aber nach wie vor so viel Schaum vorm Mund. Also so richtig glücklich wirkt das doch nicht.

Lemke: Schaum vorm Mund? Ich habe eine Zigarre im Maul, also gerade.

Heise: Die hören wir nicht, wir hören nur das, was Sie sagen!

Lemke: Okay, dann puste ich mal.

Heise: Sie leben seit Jahr und Tag in München, in Schwabing.

Lemke: Ja.

Heise: Das passt irgendwie, denkt man immer, so gar nicht zu dem, was Sie so erzählen, was hält Sie in München?

Lemke: Schauen Sie, wenn ich – ich drehe viel mit Nicht-Schauspielern, und ich drehe Filme ohne Drehbuch. Wenn ich zu nahe an den Leuten dran bin, über die ich dann drehen werde – ich besetze die Leute ja auch während des Films, ich will ja nichts anderes, als dass die Stadt in mich reingeht und die Stadt diesen Film selber dreht –, wenn ich zu nahe da dran bin, sieht man Hamburg nicht mehr. Und wenn man in Berlin Mitte fest lebt, sieht man Berlin Mitte auch nicht mehr, und Kreuzberg auch nicht mehr, und fängt das wie alle anderen Leute auch, wenn man zu lange irgendwo ist, man hasst das, wo man ist – man will immer woanders hin. Ich wohne aber in München in diesem absoluten Museum hier, wo nichts mehr ist in München, und sehne mich danach, endlich wieder nach Berlin zu gehen, meinen nächsten Film zu drehen: "Berlin Babylon", das mache ich Juni, Juli – das sind die großen Zeiten meines Lebens, wenn ich woanders einen Film drehen darf. Und der Rest der Zeit muss ich mich ein bisschen durchlangweilen, aber das gehört auch dazu.

Heise: Na dann wünsche ich Ihnen viel Glück beim Start von "Berlin für Helden" erst mal demnächst.

Lemke: Danke dafür!

Heise: Klaus Lemke, vielen Dank für das Gespräch!

Lemke: Danke schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Links auf dradio.de:

Kalenderblatt "Der alte Film ist tot" - Vor 50 Jahren veröffentlichten junge Filmemacher das "Oberhausener Manifest"

"Diese Freiheiten würden auch dem heutigen Film sehr gut tun" - Regisseur Edgar Reitz über das Oberhausener Manifest
Saralisa Volm (li.), Regisseur Klaus Lemke und Anneke Schwabe bei der Vorstellung des Films "Finale" 2007
Saralisa Volm (li.), Regisseur Klaus Lemke und Anneke Schwabe bei der Vorstellung des Films "Finale" im Jahr 2007© picture alliance / dpa - Ursula Düren
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