"Der Aufschwung muss bei den Menschen ankommen"

Moderation: Marcus Pindur · 16.05.2008
Nach einem offenen Brief aus den Reihen der CDU für Steuersenkungen vor der Bundestagswahl besteht Mitinitiator Peter Rauen (CDU) auf spürbaren Verbesserungen für die Steuerzahler schon mit Beginn des kommenden Jahres. Das Ziel der Haushaltskonsolidierung werde damit nicht aufgegeben, betonte der ehemalige Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung.
Marcus Pindur: Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen Schuldenberg in dreifacher Höhe Ihres Jahreseinkommens und Sie würden jedes Jahr noch zusätzlich ein paar Tausend Euro neue Kredite aufnehmen. Geht nicht, sagen Sie. Geht doch! Jedenfalls machen das alle Bundesregierungen seit ungefähr 40 Jahren so. Finanzminister Steinbrück will das ändern. Er will 2011 den Haushalt zumindest so weit haben, dass der Staat nicht mehr mehr ausgibt, als er einnimmt. Aber er steht mittlerweile allein auf weiter Flur. Die Begehrlichkeiten wachsen. Vor den Wahlen 2009 melden alle noch Bedarf an, die Bürger mit zusätzlichen Wohltaten zu beglücken. Der CDU-Arbeitnehmerflügel, aber auch die Mittelstandsvereinigung der Union fordern in einem Brief an die Kanzlerin Steuersenkungen ab Januar 2009. Und mit dem Bundestagsabgeordneten Peter Rauen von der CDU-Fraktion sprechen wir jetzt. Er ist einer der Initiatoren der Steuersenkungsdebatte. Guten Tag Herr Rauen!

Peter Rauen: Guten Tag!

Pindur: Jetzt hat die Kanzlerin erstmals erkennen lassen, dass auch sie Steuerentlastungen nicht grundsätzlich ausschließt. Aber im Prinzip sagt sie, die Haushaltssanierung geht vor. Konterkarieren Sie mit Ihrer Steuersenkungsinitiative nicht genau diese Politik der Bundeskanzlerin?

Rauen: Wir wollen im Wesentlichen erreichen, dass die Haushaltskonsolidierung auch weitergeht. Denn in den letzten zwei Jahren ist ja erreicht worden, dass in den öffentlichen Haushalten (also Bund, Länder, Gemeinden und die sozialen Kassen), die in den Jahren 2002, 2003, 2004, 2005 im Schnitt eine Neuverschuldung von 72 Milliarden hatten, im Jahr 2007 zum ersten Mal eine schwarze Null geschrieben wurde. Das heißt, die Haushaltskonsolidierung ist sehr weit fortgeschritten. Worum es jetzt geht ist, dass der Aufschwung, der da ist, nicht nur dazu dienen kann, dass der Staat sich saniert, sondern auch dass bei den Menschen, die arbeiten gehen, der Aufschwung ankommt. Das ist unser Vorschlag, den wir konkret gemacht haben, bereits zum 01. 01. 2009 die Steuer erheblich zu senken und dafür zu sorgen, dass die Menschen von ihren Lohnerhöhungen netto mehr in der Tasche behalten.

Pindur: Steuererleichterungen nimmt sicherlich jeder freudig zur Kenntnis, aber zunächst mal ist es so, dass eben die Haushaltssanierung noch nicht gelungen ist und wir immer noch mehr Geld ausgeben als wir einnehmen. Das soll erst 2011 anders sein, und erst dann kann ein Abbau der Schulden erfolgen. Greifen Sie da nicht etwas zu forsch nach vorne?

Rauen: Herr Pindur, die Haushaltssanierung ist erfolgreich gewesen, denn beim Gesamthaushalt - ich darf nicht nur den Bundeshaushalt sehen; ich muss den Gesamthaushalt sehen, der nach Brüssel gemeldet wird; das sind die Haushalte von Bund, Ländern, Gemeinden und den sozialen Kassen gemeinsam – ist aus einer Netto-Neuverschuldung jährlich von 73 Milliarden Euro im Schnitt der letzten Jahre vor 2005 mittlerweile eine schwarze Null geworden. Natürlich muss auch der Bund noch dafür sorgen, dass sein Haushalt ausgeglichen ist, aber dazu brauchen wir weiterhin mehr Beschäftigung, mehr Menschen, die in Arbeit kommen, und vor allen Dingen brauchen wir auch, dass die Menschen, die arbeiten gehen, vom Lohn ihrer Arbeit sich selbst ernähren können und nicht weiterhin in eine armutsgefährdete Schicht heruntergezogen werden.

Pindur: Sie sind aber da ganz klar auf einer gefährlichen Linie, denn viele Experten sagen, das sind konjunkturbedingte Mehreinnahmen des Staates. Die können in zwei Jahren genau wieder wegbrechen. Der Steuerschätzungskreis hat ja schon seine Erwartungen für die Steuereinnahmen 2009 nach unten korrigiert.

Rauen: Natürlich sind das konjunkturbedingte Mehreinnahmen, aber im Wesentlichen sind sie auch geschuldet der kalten Steuerprogression, die durch das Zusammenwirken von Inflation und der Steuerprogression entsteht, wonach wenn ein Arbeitnehmer ein Prozent mehr Lohn bekommt er zwei Prozent mehr Lohnsteuer zahlen muss. Diese heimliche Steuererhöhung gehört eigentlich nicht dem Staat. Dies entsteht deshalb, weil der Steuertarif nicht wie oft von uns versprochen (von der CDU) jedes Jahr inflationsbedingt angepasst wird. Diese kalte Progression führt sofort zu Kaufkraftverlust bei den Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, und das wollen wir beenden. Das muss auch beendet werden, denn es ist wichtig, dass ein Aufschwung auch bei allen Menschen ankommt. Das macht man daran fest, was die Menschen letztlich netto von ihrem Bruttolohn übrig behalten.

Pindur: Aber warum sollten die Bürger Ihren Vorschlag für mehr als ein Wahlgeschenk halten, das dann der Steuerzahler später wieder mit Zinsen zurückzahlen müsste? Machen Sie zum Beispiel auch Vorschläge, wo man bei den Ausgaben sparen könnte?

Rauen: Ja, natürlich! Wir haben darüber hinaus ja auch gesagt, dass der Spielraum, der bei der Bundesagentur für Arbeit jetzt entsteht durch mehr Beschäftigung, in eine weitere Senkung des Beitragssatzes gesteckt werden kann. Und es ist volkswirtschaftlich völlig klar: wenn den Menschen mehr Kaufkraft verbleibt, wird das die Binnenkonjunktur ankurbeln. Es ist ja die Frage: Zu welchen Lasten geht die Konsolidierung? Und es gibt in der Wissenschaft mittlerweile auch zu der Zahl, die ich vorgelegt habe, überhaupt keinen Widerspruch mehr, dass in einem Jahr, wo die Löhne um zwei Prozent steigen, durch die kalte Steuerprogression den Menschen fünf Milliarden Kaufkraft entzogen wird. Das kann einfach nicht sein! Das wird auf Dauer letztlich den Aufschwung gefährden.

Pindur: Herr Rauen, warum dann keine Steuerreform aus einem Guss und nur Stückwerk in einem Wahljahr? Sie könnten ja mehr Steuerschlupflöcher abschaffen, dafür die Steuertarife senken, einen einfacheren Tarif einführen - die FDP hat ja gerade da einen Vorschlag gemacht - und nebenbei noch Personal bei den Finanzämtern sparen.

Rauen: Wir haben ja mit den Leipziger Beschlüssen ein einfaches Einkommensteuerrecht vorgeschlagen gehabt. Das war aber mit dem Koalitionspartner heute nicht zu machen. Worum es jetzt geht ist, dass zum 01.01.2009 der Grundfreibetrag erhöht wird und der Tarif so verändert ist, dass bei Lohnerhöhungen der Steuertarif nicht über Gebühr bei den mittleren und unteren Einkommensgruppen zuschlägt. Das ist jetzt das Ziel, und das ist kurzfristig zu machen. Längerfristig wollen wir ja auch erreichen, dass jährlich der Einkommensteuertarif gemäß der Inflation angepasst wird, damit diese heimlichen Steuererhöhungen aufhören. Damit wird überhaupt nicht das wichtige Ziel solider Staatsfinanzen gefährdet.

Pindur: Da sind andere anderer Ansicht, zum Beispiel der Fraktionsvorsitzende der SPD oder auch der Finanzminister. Mit dem werden Sie sich noch einigen müssen.

Rauen: Ich meine, es ist schon gesamtwirtschaftlich, für die gesamte Volkswirtschaft eine wichtige Frage, ob ein Aufschwung auch bei den Menschen ankommt. Und er kommt dann nicht an, wenn die Steuer über Gebühr zuschlägt, das heißt wenn die Steuerentwicklung nicht parallel der Bruttolohn-Entwicklung geht. Es ist einfach nicht mehr in Ordnung, wenn bei einer Lohnerhöhung von 100 Euro einem verheirateten Vater mit zwei Kindern von diesen 100 Euro Lohnerhöhung lediglich noch 43 Euro verbleiben und gleichzeitig der Staat etwa 80 Euro davon kassiert.

Das ist schlicht und einfach nicht mehr in Ordnung. Es ist gesellschaftspolitisch von allergrößter Bedeutung, dass die Mittelschicht, die sich selbst helfen kann durch ihre Arbeit, immer mehr in eine armutsgefährdete Schicht abdriftet. Genau dieser Erscheinung müssen wir jetzt massiv entgegentreten und das hat keine Zeit zu warten bis 2010 oder 2011. Und dass der Staat sparsam mit seinen Geldern umgehen muss, ist ohnehin ein Gebot der Stunde.

Pindur: Es wird aber ständig mehr Geld ausgegeben von der großen Koalition!

Rauen: Wir haben im nächsten Jahr 273 Milliarden Steuereinnahmen. Das sind rund 73 Milliarden mehr als noch im Jahr 2005. Da sind ja schon viele Dinge noch ausgegeben worden, wo man sich die Frage stellen muss: Hätte man nicht besser das Geld zunächst mal bei den Menschen belassen, die es erarbeiten, und dadurch deren Realkaufkraft gestärkt?

Pindur: Vielen Dank für das Gespräch! - Peter Rauen. Er war lange Jahre Vorsitzender der CDU-Mittelstandsvereinigung. Er sitzt für die Union im Bundestag und hält Steuersenkungen bereits für nächstes Jahr für möglich.